Hamburg. Immer mehr Anbieter liefern Energie zu flexiblen Preisen. Für Hamburger gibt es dabei eine hohe Hürde. Wichtige Fragen und Antworten.
Die Waschmaschine läuft, wenn in der Nacht der Strom günstig ist, dann wird auch die Batterie des E-Autos im Carport wieder aufgeladen. Eine Reihe von Start-ups und die ersten großen Energieversorger bieten jetzt Lieferverträge mit flexiblen Stromtarifen an. Vattenfall plant das noch. Grundsatz solcher Verträge: Wenn Solar- und Windkraftwerke gerade viel Strom produzieren, zahlt der Endkunde weniger.
Die Preise orientieren sich an den Werten an der Strombörse. Das soll dazu führen, dass sich der Verbrauch stärker an dem aktuell verfügbaren Angebot orientiert. Was steckt dahinter? Wie berechnen sich die Tarife? Wer kann die neuen Tarife überhaupt nutzen? Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen.
Energiepreise: Was sind dynamische Stromtarife?
Der Strompreis orientiert sich am aktuellen Börsenpreis und kann zigmal am Tag steigen oder fallen. In einigen der jetzt angebotenen Verträge wird auch ein durchschnittlicher Börsenpreis pro Monat abgerechnet. Nicht zu verwechseln sind die dynamischen Tarife mit den tageszeitabhängigen Tarifen, die bereits seit Jahrzehnten angeboten werden und etwa in den Nachtstunden einen günstigeren Preis pro Kilowattstunde Strom garantieren.
Warum gibt es solche Tarife jetzt?
Je mehr der Strom durch Wind und Sonne erzeugt wird, desto schwankungsanfälliger ist das Angebot an Energie. So führte starker Wind am Dienstag dieser Woche dazu, dass in Deutschland fast 40 Gigawatt (GW) Strom produziert wurden – mehr als die Hälfte der durchschnittlich täglich benötigten 75 GW. Zwölf Tage zuvor lieferten Windkraftanlagen an Land und auf See jedoch nur rund 7 GW.
Solarparks liefern derzeit hingegen wenig Energie, meist nicht mehr als 5 GW. Anbieter sehen in den dynamischen Tarifen eine gute Möglichkeit, Angebot und Nachfrage besser auszugleichen. „Die flexiblen Energieangebote müssen ausgebaut werden“, sagt ein Sprecher des Hamburger Ökostromanbieters Lichtblick. Eine Sprecherin von Tibber, einem Anbieter dynamischer Stromtarife, betont: „Tarife, die Verbrauchern finanzielle Anreize geben, Strom genau dann zu verbrauchen, wenn dieser günstig und damit auch besonders grün ist.“
Denn elektrische Energie sei in der Regel umso günstiger, je mehr Sonne und Wind im Strommix enthalten sind. Das zeigt sich an den unterschiedlichen Preisen an der Strombörse (siehe Grafik). Am 10. März, als Windkraft nur 26 GW zum Gesamtverbrauch beisteuerte, lag der Durchschnittspreis an der Strombörse mit fast 14 Cent je Kilowattstunde (kWh) 62 Prozent über dem Durchschnittspreis vom Dienstag, als es besonders viel Windstrom gab. Die Börsenpreise können im Laufe eines Tages durchaus um zehn Cent je kWh schwanken.
Wie setzen sich die Preise zusammen?
Große Anbieter wie E.on, EnBW oder Lichtblick setzen auf einen Grundpreis, auf den der Börsenpreis aufgeschlagen wird. „Der jeweils gültige Börsenpreis berechnet sich aus den pro Stunde geltenden Spot-Marktpreisen (EPEX Spot), gewichtet mit der in dieser Stunde verbrauchten Strommenge“, erläutert ein Sprecher von EnBW.
Das klingt für den Verbraucher sehr kompliziert. Lichtblick hat das offenbar erkannt und verspricht „ein deutliches verbessertes Produkt“, wie ein Sprecher des Ökostromanbieters sagt. Die Grundpreise haben einen Grund: Mehr als 50 Prozent des Strompreises entfallen auf Steuern, Abgaben, Netzkosten und Messstellenbetrieb. Der Anbieter Voltego listet das in seiner Preisprognose transparent auf.
Der in der Beispielrechnung angenommene Stromverbrauch von 4000 kWh einer Familie kostet bei einem angenommenen Börsenpreis von 17,6 Cent je kWh, einem Grundpreis von 96 Euro und einem Aufschlag von 2,5 Cent auf jede kWh rund 900 Euro im Jahr. Hinzu kommen aber noch Umlagen und Steuern, Netzkosten und Messstellenbetrieb. Das ist insgesamt teurer als die Grundversorgung bei Vattenfall.
Andere Start-ups für dynamische Stromtarife wie Tibber oder rabot.charge gehen in ihren Preisprognosen für den Jahresverbrauch vom durchschnittlichen Börsenpreis der letzten zwölf oder drei Monate aus (siehe Tabelle) und müssen die anderen Kostenbestandteile des Strompreises natürlich auch berücksichtigen.
Sind dynamische Tarife günstiger?
Das hängt vom persönlichen Verbrauch ab. Für ein großes Einfamilienhaus mit vielen Bewohnern und hohem Stromverbrauch durch Wärmepumpe, viele elektrische Geräte und E-Auto erscheint ein dynamischer Stromtarif grundsätzlich geeigneter als für einen Single in einer kleinen Wohnung.
Das Verbraucherportal Finanztipp rechnet vor: „Wenn man das Wäschewaschen vom Abend auf den Nachmittag vorzieht, können bei einem 60-Grad-Waschgang mit voller Trommel rund 13 Cent gespart werden“, sagt Benjamin Weigl, Energieexperte bei Finanztipp.
Wenn das E-Auto nachts statt am Abend geladen werde, seien 4 bis 5 Euro bei einer Vollladung an Einsparung möglich. Zwar sind bei einem Jahresverbrauch eines Hamburger Haushalts von 4000 kWh die Tarife von rabot.charge und Tibber rund 300 Euro günstiger als die Grundversorgung bei Vattenfall.
Aber eine Garantie für diese Einsparung gibt es nicht, weil diese Summe auf den Strompreisen der Vergangenheit beruht. Feste Abschläge pro Monat gibt es bei dynamischen Tarifen nicht. Abgerechnet wird monatsgenau, wie der Anbieter Tibber an einem Beispiel zeigt. Im August 2022, als die Energiekrise ihren Höhepunkt erreichte, kostete der Strom 255 Euro, im Februar 2023 nur noch 123 Euro.
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Wie läuft das in der Praxis?
Nutzer eines dynamischen Tarifs können in der App ihres Anbieters die Strompreisentwicklung verfolgen. Dort werden die Preise für den nächsten Tag vorhergesagt oder festgelegt. Die Kunden regeln selbst, zu welcher Tageszeit sie wie viel Strom verbrauchen. Die Vorhersagen beruhen auf Wetterprognosen.
Wie groß ist die Nachfrage?
„Grundsätzlich ist die Nachfrage nach dynamischen Tarifen noch begrenzt“, sagt ein Sprecher der EnBW. Denn weniger als ein Prozent der Kunden habe ein intelligentes Messsystem installiert. Nicht jeder Stromversorger hat schon solche Tarife im Angebot, obwohl sie verpflichtend sind, wenn das Unternehmen mehr als 100.000 Kunden hat. „Ein dynamischer Tarif ist in Vorbereitung“, sagt ein Sprecher von Vattenfall. Hamburg Energie hat noch keinen dynamischen Tarif.
Wer kann solche Tarife nutzen?
Experten gehen davon aus, dass dynamische Tarife für bis zu 40 Prozent der Haushalte in Deutschland infrage kommen. Doch es gibt eine hohe Hürde. In den meisten Haushalten drehen sich nur analoge Stromzähler. Um einen dynamischen Tarif nutzen zu können, sind aber zumeist sogenannte Smart Meter notwendig.
Das sind intelligente Zähler, die mit dem Internet verbunden sind und Daten an ein Smartphone oder den Netzbetreiber schicken können. In Hamburg sind nach Angaben von Stromnetz Hamburg jedoch erst 5000 intelligente Messsysteme installiert. „Geplant ist, im Jahr 2032 alle analogen Stromzähler durch digitale ersetzt zu haben“, sagt eine Sprecherin von Stromnetz Hamburg.
„Probleme mit der Hardware und fehlende Installationskapazitäten machen den Ausbau schwierig“, sagt ein Sprecher von Lichtblick. Deshalb werde der neue, flexible Tarif des Unternehmens auch ohne Smart Meter nutzbar sein. Noch sind die laufenden Kosten der Smart Meter, die sich in der Grundgebühr niederschlagen, deutlich höher als für konventionelle Zähler. Künftig sollen Privathaushalte aber nicht mehr als 20 Euro im Jahr für ein Smart Meter zahlen.
Wie kommen Hamburger an ein intelligentes Messsystem?
Anspruch haben zunächst Kunden mit einem Verbrauch von mehr 6000 kWh im Jahr. Das betrifft in Hamburg rund 80.000 Messstellen. Kunden können zwar ein Smart Meter auf der Homepage von Stromnetz Hamburg beantragen. Aber, die Sprecherin sagt: „Die Nachfrage ist bereits heute hoch, die Montagekapazitäten jedoch begrenzt und auf die Pflichteinbaufälle konzentriert.“
Energiepreise: Welche Alternativen gibt es?
Das Vergleichsportal Check24 führt Stromtarife auf, bei denen der Preis pro kWh nur für einen Monat festgelegt ist. Auch die Vertragslaufzeit beträgt einen Monat, die Kündigungsfrist zwei Wochen oder einen Monat. Fallen die Strompreise im Frühjahr und im Sommer, könnte ein Kunde mit einem solchen Tarif wohl schneller davon profitieren als mit einem Festpreis über zwölf Monate. Die Preise dieser Tarife liegen aktuell zwischen 36 und 38 Cent je kWh. So sind Einsparungen von bis zu 250 Euro gegenüber der Grundversorgung von Vattenfall möglich.