Hamburg. Die Currywurst wird dem Zeitgeist angepasst, es gibt sie zunehmend in Veggie-Variante. Wie Hamburger Firmen es halten.
Als VW vor zwei Jahren ankündigte, die Currywurst aus dem Speiseplan der Kantine im Wolfsburger Markenhochhaus zu nehmen, gab es einen prominenten Deutschen, dem das alles andere als Wurst war. Gerhard Schröder äußerte seinen Unmut unverhohlen: „Wenn ich noch im Aufsichtsrat von VW säße, hätte es so etwas nicht gegeben“, stellte der Altkanzler klar, gab zwar zu, „vegetarische Ernährung ist gut, ich selbst mache das phasenweise auch“, fand aber, dass der Autobauer mit dem Aus für das Gericht entschieden zu weit gehe. Auf die rhetorische Frage: „Ob die Beschäftigten bei VW das wirklich wollen?“ gab der SPD-Politiker gleich selbst die Antwort: „Currywurst mit Pommes ist einer der Kraftriegel der Facharbeiterin und des Facharbeiters in der Produktion. Das soll so bleiben.“
Currywurst in fast jeder zweiten Firma vegetarisch
Auf der Internorga ging es am Freitag in Hamburg erneut um die Wurst. Eine Studie im Auftrag des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé hat ergeben, dass sich allein mit klassischer Currywurst kaum ein Mitarbeiter noch in die Kantine locken lässt: In 42 Prozent der Betriebe ist bereits eine vegetarische Alternative im Angebot, das Traditionsgericht ist quasi abserviert. Grundsätzlich bieten heute über 90 Prozent der Kantinen und die bei der Studie ebenfalls befragten Mensen an Universitäten täglich ein vegetarisches Menü an. Fast drei Viertel der Campusgastronomen haben sogar täglich auch ein veganes Angebot im Programm, bei den Kantinen stimmten hier ein Drittel zu.
„Es gibt einen massiven Wandel in unserer Esskultur“, bringt es Hanni Rützler auf den Punkt. Die Trendforscherin hat die Studie ebenso umgesetzt und begleitet wie der Deutsche Fachverlag (dfv) und die Business Target Group. Während Corona sei viel in den Köpfen passiert. Fleisch sei stets die „Leitsubstanz“ deutscher Gerichte gewesen, doch hier versuchten sich Kantinen heute neu auszurichten. Sie entwickelten sich damit, ebenso wie Mensen, zum Trendsetter und überholten die klassische Gastronomie. Diese versuche zwar, es allen recht zu machen, doch seien es die Betriebsküchen, die sich bereits heute zukunftsfähig aufstellten.
Vegan in der Kantine – eine Imagefrage
Bei den gut 260 befragten Chefs und Chefinnen der Kantinen gehen zudem mehr als die Hälfte davon aus, dass der Anteil von vegan-vegetarischen Gerichten weiter zunehme. Hanni Rützler führt diese Prognose auch darauf zurück, dass kulinarische Angebote in Firmen zum Aushängeschild werden. Zum Teil einer Identität, die sich häufig Nachhaltigkeit auf die Fahnen schreibe, sodass auch beim Essen der umweltverträglichere Weg eingeschlagen werde.
Wie aber kommen die Öffentlichkeitsarbeit in Sachen Klimaschutz und der gelegentliche Heißhunger auf die scharfe Wurst zusammen? In seiner Werbung für den Verbleib des Kantinen-Kults setzte der social-media-affine Altkanzler damals einen markanten Hashtag: „#rettetdieCurrywurst“ schrieb er im sozialen Netzwerk LinkedIn.
Bei Google gibt's keine Currywurst
Zumindest in etlichen Hamburger Betrieben ist dieser Wunsch nach wie vor Wirklichkeit. Eine Umfrage des Abendblatts ergab, dass etwa Beiersdorf, Jungheinrich, Tchibo, Airbus und Aurubis die Currywurst noch in ihrer fleischlichen Variante servieren. Nur bei Google wird sie nicht mehr gebraten. „Wir achten darauf, dass sich die Googlerinnen und Googler gesund ernähren, ein Drittel des Angebotes ist vegan und vegetarisch“, sagte ein Sprecher des US-Konzerns, der in Hamburg eine Kantine mit legendär gutem Ruf betreibt – auch, um die raren Fachkräfte in der IT anzulocken und ans Unternehmen zu binden.
Aber ein Umdenken ist auch bei den übrigen Firmen der Stadt zu beobachten: Bei Otto gebe es die gute alte Currywurst noch, sagt ein Sprecher des Handelshauses. „Obgleich sie nicht mehr unangefochten auf Platz 1 steht, was sie zuvor häufig war.“ Im Januar beispielsweise habe ein veganes Kichererbsen-Curry in der Gunst der Gäste ganz vorn gestanden.
Bei Tchibo ist Mittwoch Veggie-Tag
Meist zusätzlich bieten etliche Unternehmen an Alster und Elbe pflanzenbasierte Alternativen an: Bei Aurubis wurde vor einem Jahr eine vegane Currywurst ins Angebot der Kantine genommen. Der Küchenchef von Tchibo serviert seit diesem Monat jeden Mittwoch ausschließlich vegetarische und vegane Gerichte.
Die Möglichkeiten, mit Speisen aus Pflanzen eine köstliche Mittagspause zu verbringen, wachsen derweil von Jahr zu Jahr. Die Internorga bietet als buntes Schaufenster für die Gastronomie einen Blick auf das, was wir in Zukunft essen und trinken. Etliche der 1000 Aussteller in zwölf Messehallen und auf dem Freigelände präsentieren ihre neuesten Ideen in Sachen Veggie-Trend.
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Selbst eingefleischte Steakanbieter wie die Hamburger Block-Gruppe zeigen hier etliche Varianten ohne Rind, etwa Sauce Bolognese vegan, Chili sin Carne oder Veggie-Chicken Teriyaki. Der Feinkosthersteller Homann setzt auf vegetarische „Fleischküchle“, der Tiefkühlspezialist Frosta präsentiert einen ganzen Katalog mit veganen Gerichten aus Proteinersatzprodukten.
VW blieb doch bei der scharfen Wurst
Wie groß das Potenzial für solche Alternativen ist, zeigt wiederum das Beispiel Volkswagen: Mehr als 1.000.000 Kilo Fleisch würden allein bei dem Wolfsburger Konzern eingespart, wenn man bei dem Klassiker, den die Österreicherin Hanni Rützler das Wiener Schnitzel der Deutschen nennt, auf Schwein oder Rind verzichten würde. Denn noch immer gehen bei dem Autobauer gut sechs Millionen Currywürste über die Kantinentheke.