Hamburg. Das Modell kann ein Martinshorn automatisch erkennen – und die Stimme des Besitzers. 2026 soll die Technik auf dem Markt kommen.
Es ist eines der Geräusche, die bei Menschen am leichtesten Aufmerksamkeit erregen: Ein herannahendes Martinshorn wird von Autofahrern auch bei geschlossenen Scheiben und im Gebraus des Stadtverkehrs in der Regel problemlos wahrgenommen. Doch wie ist das eigentlich bei einem autonom steuernden Fahrzeug? Könnte es ein solches Warnsignal auch „hören“ und daraufhin eine Rettungsgasse freimachen?
Ein Volkswagen T5, der aktuell vor dem Congress Center Hamburg (CCH) im Rahmen der Deutschen Jahrestagung für Akustik (DAGA) präsentiert wird, beherrscht genau dies. Forscher des Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie (IDMT) in Oldenburg haben die entsprechende Technik entwickelt. Der VW-Bus ist mit nicht weniger als 24 Mikrofonen ausgestattet, deren Signale automatisch mittels Künstlicher Intelligenz verarbeitet werden.
Congress Center Hamburg: Neuer "hörender" VW wird hier präsentiert
„Am Steuer eines Autos ist das menschliche Ohr eines der wesentlichen Sinnesorgane“, sagt Moritz Brandes, beim IDMT der Leiter des Forschungsprojekts „The Hearing Car“. In dem seit 2022 geltenden Bundesgesetz zum Autonomen Fahren sei aber sinngemäß festgelegt, dass ein Fahrzeug, das sich eigenständig im Verkehr bewegt, in der Lage sein müsse, wie ein Mensch zu agieren.
Für die optische Orientierung sind eine Reihe von Sensoren wie Videokameras, Radar und Lidar – eine Art Radar, das anstelle von Funkwellen unsichtbares Laserlicht nutzt – längst Standard, aber die Fähigkeit zum Hören ist noch recht neu. .„Wir beschäftigen uns seit 2014 mit dieser Technik“, erklärt Brandes. „Den Anstoß gab damals ein Industrieunternehmen, das bei uns anfragte, ob wir eine Lösung für das Öffnen und Schließen einer Auto-Heckklappe per Sprachbefehl entwickeln könnten.“ Später kam dann die Aufgabe der automatischen Martinshorn-Erkennung hinzu.
Auch bei lautem Fahrtwind auf der Autobahn wird ein Rettungswagen erkannt
Schon die Positionierung der Mikrofone am Auto erforderte viele Versuche. Die Kleinstmikrofone, wie man sie aus Smartphones kennt, müssen so angebracht sein, dass sie durch Fahrtwindrauschen möglichst ungestört bleiben, nicht leicht durch Verschmutzung unbrauchbar gemacht und nicht durch Waschanlagen beschädigt werden. Noch schwieriger war aber die Signalauswertung. „Wer einmal auf der Autobahn die Seitenscheibe ein Stück weit öffnet, bekommt eine Vorstellung davon, dass es bei höherem Tempo nicht einfach ist, den Martinshorn-Klang aus den dann sehr lauten Wind- und Abrollgeräuschen herauszufiltern“, sagt Brandes.
Mittels der intelligenten Software gelingt es nun aber trotz solcher Bedingungen, auch die Richtung und die Annäherungsgeschwindigkeit des Polizei- oder Rettungswagens zu ermitteln. Zwar habe sich sein Team bisher auf die in Deutschland gebräuchlichen Signalhörner konzentriert, „wir sind aber im Besitz von entsprechenden Klangdaten unter anderem aus Europa, den USA und China.“
In Zukunft kann das Auto auch rechtzeitig vor Motorschäden warnen
Nach Einschätzung von Brandes ist die Aufgabe nun so gut wie erfüllt. „Heute sind wir so weit, dass unsere Lösung durch den Industriepartner in die Serie gebracht werden könnte“, sagt er. „Das Ziel ist es, die Technologie spätestens im Jahr 2026 praktisch anzuwenden.“ Zu dem Industriepartner will sich Brandes noch nicht näher äußern. Man sei aber offen für weitere Partner aus dem Bereich der Automobilindustrie, mit denen man unter anderem auf Messen und Kongressen wie der aktuell in Hamburg stattfindenden DAGA ins Gespräch komme.
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Auch wenn die Martinshorn-Erkennung wegen ihrer Relevanz für das Autonome Fahren bisher die höchste Priorität hatte, dienen die meisten der 24 Mikrofone an dem T5-Versuchsfahrzeug gar nicht diesem Zweck. Denn das „hörende Auto“ der Zukunft wird noch viel mehr können. „Ein unrunder Motorlauf, der einem Schaden vorausgeht, kann durch Künstliche Intelligenz ebenso akustisch erkannt werden wie ein Nagel im Reifen, noch bevor der gefährlich an Druck verliert“, sagt der IDMT-Projektleiter.
„Das Auto soll zwar hören können, aber niemanden belauschen“
Denkbar sind darüber hinaus aber auch Anwendungen, die nicht so sehr der Sicherheit dienen, sondern die Fahrt für die Menschen im Wagen angenehmer machen. Brandes nennt ein Beispiel dafür: „Wenn die Straße durch einen Wald führt, kann man im geschlossenen Auto das Vogelzwitschern hörbar machen, indem alle Fahrgeräusche weggefiltert oder unterdrückt werden.“
Daneben bleibt die Verarbeitung von Sprachbefehlen – so wie ursprünglich für die Bedienung der Heckklappe vorgesehen – weiter interessant. Zweifellos ist es für den Fahrzeugbesitzer komfortabel, wenn er eine Tür entriegeln und öffnen kann, obwohl er gerade mit beiden Händen Gepäck trägt. Dazu hat das IDMT einen Spracherkenner selbst entwickelt. „Damit das Auto nur auf Sprachbefehle einer dazu befugten Person reagiert, muss die Elektronik auf die entsprechende Stimme trainiert werden“, so Brandes. „Dazu reichen schon ein paar Worte.“
Und natürlich muss bei einem Fahrzeug, das mit Außenmikrofonen ausgestattet ist, der Datenschutz sichergestellt werden – Gespräche von Passanten müssen schon im Sensor herausgefiltert werden. Denn, so Brandes: „Das Auto soll zwar hören können, es soll aber niemanden belauschen.“