Wentorf bei Hamburg. Andrew Kowalec aus Wentorf bei Hamburg hat die Kosmetikmarke Holly Molly erfunden. Was seine Produkte so besonders machen.
Andrew Kawalec weiß so ziemlich alles über Wolle. Seit fast 50 Jahren ist der gebürtige Brite in der Branche tätig. Er kann die Qualität von Rohwolle in wenigen Minuten beurteilen, kauft und verkauft weltweit. Eigentlich könnte sich der 64-Jährige, der am Stadtrand von Hamburg lebt, so langsam auf den Ruhestand vorbereiten. Dass daraus erst mal nichts wird, hat auch mit Wolle zu tun.
Genau: mit Wollfett, einem Nebenprodukt aus der Wollproduktion, das im verarbeitetem Zustand Lanolin heißt und in der Kosmetik- und Pharmaindustrie unter anderem als Inhaltsstoff für Cremes und Salben verwendet wird.
Unternehmer wagt den Neustart mit eigener Produktlinie
Aber da geht noch mehr, ist Andrew Kawalec sicher. „Lanolin ist ein reines Naturprodukt, das vielen Menschen mit Hautproblemen helfen kann“, sagt er. Und weil große Firmen in den vergangenen Jahren eher zögerlich beim Einsatz von Lanolin waren, wagt der Unternehmer jetzt einen Neustart und ist unter die Gründer gegangen. Holly Molly hat er seine Produktlinie genannt, die im Wesentlichen auf gereinigtem Wollfett basiert: für ihn eine Herzensangelegenheit. Wenn er sich in Schwung geredet hat, beschreibt er es etwas blumig so: „Meine ganze Reise durch die Wolle hat dazu geführt, dass ich den Menschen jetzt Lanolin zurückgeben kann.“
Treffpunkt in Wentorf bei Hamburg: Dort betreibt Kawalec in einem Gewerbegebiet die Handelsgeschäfte seiner Firma LanEsters GmbH. Direkt am Eingang zu den Büroräumen stehen seit Kurzem seine eigenen Produkte in einer Glasvitrine. „Probieren Sie“, sagt Kawalec und schraubt ein Glas mit einer halbfesten, goldgelben Emulsion auf. Hydro Care, das zentrale Produkt seiner Kosmetiklinie, besteht zu 100 Prozent aus Lanolin ohne weitere Inhalts- und Zusatzstoffe. Außerdem gibt es eine Hand- und eine Körpercreme sowie einen Lippenbalsam. Entwickelt wurden die Produkte in einem mehrjährigen Verfahren in einem Labor in Dänemark. Alle sind dermatologisch getestet und zertifiziert, allergiefrei und geruchsneutral. Patin für den ungewöhnlichen Namen Holly Molly ist Kawalecs 16-jährige Tochter Holly. „Als Kind war das ihr Spitzname“, sagt der Vater und lächelt.
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Wollwachs der Schafe soll Elastizität der Haut verbessern
Dass der Wollhändler aufs Lanolin gekommen ist, hat eine längere Vorgeschichte. Schon 1977, gleich nach Beginn seiner Ausbildung bei einem Unternehmen im nordenglischen Bradford, damals ein wichtiges Zentrum der industriellen Wollverarbeitung, war er zum ersten Mal mit Wollfett in Berührung gekommen. Und das im Wortsinn. „Ich musste die Rohwolle, die meine Chefs importiert hatten, für den Weiterverkauf sortieren. Danach waren meine Hände immer wunderbar weich und gepflegt.“
Der Grund: Das Wollwachs, das Schafe als Schutz gegen Regen und Schmutz in den Talgdrüsen der Haut produzieren, baut auch bei Menschen natürliche Hautfette auf, bindet die Feuchtigkeit und verbessert die Elastizität. Und darüber hinaus noch einiges mehr. „Schon die Wikinger haben die positiven Eigenschaften gekannt und eingesetzt, zum Beispiel um die Segel geschmeidig zu halten“, weiß Andrew Kawalec zu berichten. Als Nebenprodukt der Wollverarbeitung wird es bis heute in einem industriellen Prozess aus der Rohwolle ausgewaschen, gereinigt und und je nach späterem Einsatzbereich aufbereitet.
Hamburger steigt in Großhandel mit Naturprodukt Lanolin ein
Als Kawalec vor gut zehn Jahren beim Firmenumzug eines asiatischen Geschäftspartners eher zufällig direkt mit der Lanolin-Herstellung zu tun hatte, sah er die Chance für ein neues Geschäftsfeld und stieg in den Großhandel mit dem Naturprodukt ein. Seitdem verkauft er Wollfett und Lanolin an Unternehmen. Zu seinen Kunden zählen unter anderem der Nivea-Hersteller Beiersdorf, auch der Chemie- und Pharmakonzern Bayer hat schon Lanolin bei ihm gekauft. Zudem wird es heute als Gleitmittel in der Produktion von Aluminium-Dosen genutzt oder als Weichmacher für Leder etwa in der Schuhproduktion.
„Inzwischen ist Lanolin mein Hauptgeschäft“, sagt der Unternehmer, der vor zehn Jahren der Liebe wegen nach Schleswig-Holstein gezogen war. Konkrete Geschäftszahlen nennt er nicht, aber im Jahr setze er inzwischen mehrere Hundert Tonnen Lanolin um. Ein eher ungewöhnlicher Einsatz hatte sich im vergangenen Jahr ergeben, als die Bootsbauer bei der Sanierung des Decks des Hamburger Segel-Oldtimers „Rickmer Rickmers“ die Holzplanken von unten mit Lanolin behandelten, um sie besonders lange haltbar zu machen.
Gründer: "Es gibt kaum Hersteller, die reine Lanolin-Cremes anbieten"
Mit seiner eigenen Kosmetiklinie Holly Molly zielt Unternehmer Andrew Kawalec jetzt erstmals direkt auf Endkunden. Er hat vor allem Menschen mit Hautproblemen im Blick. „Es gibt kaum andere Hersteller, die reine Lanolin-Cremes anbieten“, sagt der Gründer. Dabei ist ihm wichtig, dass seine Lieferanten die Richtlinien der IWTO (International Wool Textile Organisation) erfüllen. Damit soll gewährleistet werden, dass die Schafe durch die Gewinnung von Lanolin nicht zu Schaden kommen oder schlecht behandelt werden.
„Die erste Resonanz ist gut“, sagt Andrew Kawalec, der inzwischen nach eigenen Angaben einen sechsstelligen Betrag in das Projekt investiert hat. Kunden, die die reine Lanolin-Emulsion Hydro Care benutzt haben, berichten davon, dass rissige Haut an Händen und Füßen schnell verheilt sei. Auch bei Neurodermitis oder Schuppenflechte erziele Lanolin gute Ergebnisse, so der Unternehmer. Allerdings sind die Kosmetikprodukte nicht gerade günstig. Ein Glas Hydro Care (50 ml) von Holly Molly kostet 25 Euro, die Körpercreme (250 ml) schlägt mit 27,50 Euro zu Buche. „Unsere Produkte sind sehr reichhaltig. Man braucht nur sehr kleine Mengen“, sagt der Gründer zu den hohen Preisen. Erhältlich sind die vier Cremes im Onlineshop von Holly Molly, außerdem sind Kawalec und sein Team auf Märkten in und um Hamburg unterwegs.
Start-up in Gesprächen mit Apotheken und Einzelhändlern
Einen ersten großen Auftrag kann Holly Molly inzwischen auch vermelden. Eine dänische Unternehmerin hat im vergangenen Jahr 20.000 Tuben Handcreme geordert. „Aktuell sind wir in zahlreichen Gesprächen mit Apotheken und Einzelhändlern“, sagt Torsten Schmidt-von Kleist, der den Gründer beim Aufbau des Vertriebsnetzes unterstützt. Interesse für die Kosmetikprodukte sei vorhanden, so der langjährige Banker.
Klar ist aber auch, dass es noch eine Menge Arbeit ist, bis das Start-up profitabel sein wird. Zwar haben die Deutschen nach Hochrechnungen des Industrieverbands Körperpflege und Waschmittel 2022 mit 14,3 Milliarden Euro erneut fünf Prozent mehr für die Produkte in dem Bereich ausgegeben. Zugleich sind aber angesichts von Inflation und Kostensteigerungen nach mehreren Wachstumsjahren die Umsätze im Bereich Naturkosmetik um 3,5 Prozent gesunken. Experten schätzen das Potenzial für naturbelassene Kosmetik aber weiterhin als hoch ein.
Andrew Kawalec sieht sich und seine Kosmetiklinie in einer Nische. „Lanolin ist ein schlafender Riese“, sagt er. Gerade läuft die Entwicklung von neuen Artikeln. Unter anderem soll demnächst ein Holly-Molly-Lippenpflegestift auf den Markt kommen, auch eine Flüssigseife ist in Planung und eine Spezialcreme für stillende Mütter. Wenn alles so läuft, wie der Gründer es sich vorstellt, könnte aus dem Start-up in den nächsten Jahren eine eigenständige Kosmetikfirma werden.