Hamburg. Bei Maudrich in St. Georg werden Trauerschleifen noch von Hand bedruckt. Ortsbesuch bei einem einzigartigen Händler.
Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Violett – in den Regalen stapeln sich Bandrollen in allen Farben des Regenbogens und in sämtlichen Schattierungen. Es gibt schrille Neonfarben, Silber und Gold, Streifen, Karos und niedliche Osterhasen, auch die Nationalfarben Deutschlands, Schwedens oder der Ukraine. Ganz hinten ist ein Raum bis unter die Decke mit Regalen nur mit Weihnachtsdekor vollgestellt.
Wer zu Maudrich in St. Georg kommt, steht vor Bändern und Schleifen aller Art, aus Taft, Samt, Satin, Lurex oder Jute. Hinter der schlichten Eingangstür im Hochparterre eines Altbaus zwischen nordafrikanischem Spezialitätenmarkt, arabischem Reisebüro und einem preiswerten Handyladen verbirgt sich das größte Angebot an Schleifenbändern in Hamburg. Wahrscheinlich sogar in ganz Deutschland. Ein Paradies für alle Deko-Fans – und ein Geheimtipp.
Maudrich in St. Georg: Paradies der Bänder ist ein Labyrinth
Niemand weiß genau, wie viele Meter Band und Schleifen auf der mehr als 200 Quadratmeter großen Fläche lagern. Der langjährige Chef Gunnar Maudrich zuckt nur mit den Schultern. „Was sich so angesammelt hat in 60 Jahren“, sagt der 86-Jährige. Und das ist nur der Zeitraum, seitdem das Unternehmen am Standort am Steintorweg zwischen Hauptbahnhof und Hansaplatz sitzt.
Die Inventur Anfang Januar hat zwei Wochen gedauert. „In diesem Jahr waren wir sehr schnell“, sagt Mitarbeiterin Stefanie Pien. Mit zügigen Schritten führt sie durch die Räume, die mal zwei Wohnungen waren und in denen die Zeit stehen geblieben zu sein scheint. An der Wand hängt eine altmodische Sprechanlage. Außer Betrieb. Es gibt keinen Computer. Dafür klingelt das Telefon laufend. „Ich gehe schon“, ruft Steffi, wie sie hier alle nennen, und verschwindet flugs um die nächste Ecke. Man kann sich schnell verloren vorkommen, denn das Paradies der Bänder ist ein Labyrinth.
In Hamburg ist der Betrieb einer der letzten seiner Art
Um zu beschreiben, was die R. Maudrich GmbH genau macht, muss man etwas ausholen. Neben dem riesigen Angebot an Schleifen und Bändern für Dekorationen und Verpackungen ist das Hauptgeschäft am Standort am Steintorweg die Kranzschleifen-Druckerei, aus der das heutige Unternehmen entstanden ist.
In Hamburg ist der Betrieb einer der letzten seiner Art. Ein Relikt in Zeiten, in denen Abschiedsgrüße für die Liebsten über Online-Shops wie Schleifenshop24 oder Kranzschleifenprofi geordert werden. Parallel betreibt Inhaber Alexander Maudrich, Chef der Hamburger Familienfirma in vierter Generation, einen Großhandel für Floristenbedarf. Seit mehr als sechs Jahrzehnten besorgen Blumenhändler aus der ganzen Stadt Bänder, Steckschaum, Draht, Töpfe und vieles mehr an dem Stand auf dem Großmarkt.
„Der Laden läuft, aber es bleibt wenig hängen“, sagt der 53-Jährige, der das Traditionsunternehmen 2020 von Vater und Onkel übernommen hat und in die Zukunft führen will. Dass es nicht einfach wird, hat er gewusst. Vieles, was in anderen Firmen normal ist – E-Mails, Internetseite, Warenwirtschaftssystem, Onlineshop gibt es bei Maudrich nicht. Und dann kam Corona, der Ukraine-Krieg, die Konsumflaute.
Ende der 1960er-Jahre war der Betrieb an den heutigen Standort gezogen. Der dritte, seit Gründer Rochus Maudrich, ein Buchbinder aus Sachsen, sich 1900 in Hamburg niedergelassen hatte. In seiner Werkstatt prägte er anfangs Buchtitel. Daraus entwickelte sich über drei Generationen das heutige Unternehmen. Eine steile Treppe führt in die Druckerei im Souterrain. Auf lange Tischen liegen Messingbuchstaben aus Jahrzehnten in Setzkästen. An einem Ständer hängen Kranzschleifen in vielen Farben. Es gibt noch historische Druckerpressen.
Maudrich werden Trauerschleifen noch von Hand bedruckt
Zu viert arbeiten sie hier, setzen von Hand Abschiedsworte für die Verstorbenen. Gerade hat Ramona Lau die Prägepresse aus den 1930er-Jahren für den nächsten Auftrag vorbereitet. „In stillem Gedenken“ prägt sie mit einer Temperatur von 100 Grad auf die Kranzschleifen – schwarz auf weiß. Wer es nicht ganz so edel und günstiger haben möchte, kann sich den letzten Gruß auch per Computer und Nadeldrucker drucken lassen.
Von morgens um 9 Uhr bis 17 Uhr werden bei Maudrich die Abschiede am Band produziert. Vor allem am Vormittag trudeln die Bestellungen der Floristen ein – ausschließlich per Fax oder Telefon. Weil es übersichtlicher ist, sagt Seniorchef Gunnar Maudrich, der jeden Nachmittag im Betrieb ist. „Wir handhaben das so, solange es geht.“ Alles, was bis 15.30 Uhr hereinkommt, wird bis zum nächsten Tag erledigt. Zu konkreten Zahlen schweigt er.
Der Seniorchef, der im Jahr 1958 in das Unternehmen eintrat und eigentlich schon im Ruhestand ist, steht an einem alten Kontortisch und kontrolliert die frisch gedruckten Schleifen – meistens für Trauerfeiern, aber manchmal auch für Hochzeiten, Jubiläen, Schützenfeste oder Sportwettkämpfe.
"Die Texte werden immer länger und auch immer verrückter“
„Hier fehlt ein ,i‘. Das muss neu gemacht werden“, sagt er und kreist den Fehler dick ein. In diesem Fall ist der Aufdruck auf Polnisch. Es gibt auch viele Bestellungen in englischer Sprache. Für die Kranzschleifendrucker kein Problem „Aber die Texte werden immer länger und auch immer verrückter“, sagt Maudrich. Inzwischen hat er es sich abgewöhnt, Fehler bei Rechtschreibung, Grammatik oder Groß- und Kleinschreibung der Auftraggeber zu korrigieren. „Das macht am Ende nur Ärger“, sagt er. Eine Regel gibt es aber: Es werden keine negativen oder beleidigenden Kranzsprüche bei Maudrich gedruckt. „Der Friedhof ist für den Frieden da“, sagt Gunnar Maudrich.
Wenn ein Auftrag die letzte Prüfung bestanden hat, rollt er ihn samt – handgeschriebener – Rechnung in einen Bogen Papier und sortiert ihn in alphabetisch geordnete Fächer im Holzregal. Das Ganze folgt einer über Jahrzehnte eingeübten Routine. Jeden Abend fährt ein Mitarbeiter die Bestellungen in einer schwarzen, extra angefertigten, Ledertasche zum Großmarkt, wo die Floristen sie am nächsten Morgen abholen.
Am Eingang 13 des Blumengroßmarkts hat die Firma Maudrich die Standnummern 561 bis 563. Montag bis Sonnabend ab vier Uhr morgens wird hier gehandelt. Ende der 1950er-Jahre hatte der Großvater des heutigen Inhabers das Großhandelsgeschäft als zweites Standbein dazugekauft. Jetzt ist es das Terrain von Alexander Maudrich.
Corona machte dem Hamburger Unternehmen zu schaffen
Gemeinsam mit sechs Beschäftigten schmeißt der Firmenchef den Laden mit geschätzten 40.000 Artikeln. „Wir haben das Angebot in den vergangenen Jahren erweitert“, sagt der ehemalige Bundeswehrsoldat, der seit 26 Jahren im Unternehmen arbeitet. Unter anderem bietet Maudrich jetzt auch Interieur- und Wohnaccessoires an.
Die letzten Jahre mit Corona-Pandemie, Lockdowns, Lieferschwierigkeiten und Kostensteigerungen haben dem alteingesessenen Unternehmen zu schaffen gemacht. „Am Anfang hatten wir Umsatzeinbrüche von 80 Prozent“, sagt Alexander Maudrich. Die Reserven seien aufgebraucht. Bis heute merke er die Kaufrückhaltung. Dazu kommen Veränderungen bei den Blumenhändlern. Als Beispiel nennt er Draht, den viele Floristen für ihre Blumenarrangements einsetzen. Statt 51 Tonnen im Jahr verkauft Maudrich inzwischen gerade noch maximal zehn Tonnen. Das liegt auch an den Kosten, die sich im vergangenen Jahr um bis zu 60 Prozent erhöht haben.
Seine Lager im Untergeschoss sind bis unter die Decke voll, obwohl er die Bestellungen inzwischen deutlich heruntergefahren hat. „Wenn man so will, bin ich Hamburgs ärmster Millionär, weil alles hier drinsteckt“, sagt der Firmeninhaber. Zu konkreten Geschäftszahlen schweigt er. Er hat diverse Modernisierungsmaßnahmen in Planung. Unter anderem werde eine Internetseite vorbereitet, ein Online-Shop soll eröffnet werden. Und auch in der Kranzschleifendruckerei sollen die Arbeitsabläufe verändert werden: mehr Computer, weniger Handsatz.
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Maudrich in St. Georg: Paradies für Hamburger Deko-Fans
An diesem Januarnachmittag ist davon nichts zu spüren. Immer wieder klingeln Kunden und laufen sichtbar überwältigt durch die Regalreihen mit Bänderrollen. Verkauft wird nur rollenweise. Vanessa Aalberts ist mit ihrer zukünftigen Schwiegermutter Marlies Henningsen gekommen, um für ihre Hochzeitsfeier im April einzukaufen. Kleine Herzen, Spitze und diverse andere Bandrollen haben die Hamburgerinnen ausgesucht als Schmuck für das Auto und zum Basteln von sogenannten Wedding Wands, die statt Konfetti oder Reis beim Standesamt geschwenkt werden.
Woher wissen sie von den Spezialgeschäft? „Wenn man gerne einpackt, kennt man Maudrich. Das wird per Mund-zu-Mund-Propaganda weitergegeben“, sagt Marlies Henningsen, als sie an der Kasse steht. Knapp 100 Euro zahlen sie für Schleifen und Bänder und gehen glücklich aus dem Laden.
Inzwischen ist es kurz vor 17 Uhr und die letzten Kranzschleifen für diesen Tag sind gedruckt und für die Auslieferung fertig gemacht. Zum Schluss wird es noch ein wenig hektisch. „Wo ist der Auftrag mit der Korrektur?“, fragt Seniorchef Gunnar Maudrich, als ein Mitarbeiter ihm einen Packen Kranzschleifen auf den Tisch legt. Er vergleicht noch einmal Vorlage und Druck. Jetzt ist das „i“ da, wo es hingehört. „Wenn man etwas macht, muss es richtig sein“, sagt er und rollt das letzte Schleifenpaket für diesen Tag.