Hamburg. Während der Pandemie haben Hamburgs Buchhandlungen den großen Ketten Marktanteile abjagen können. Nun gibt es viele Herausforderungen.

Bücher gehören in jedem Jahr zu den beliebtesten Weihnachtsgeschenken der Deutschen – und vier von zehn Büchern werden noch immer klassisch in einem Fachgeschäft gekauft, im Internet nur knapp drei von zehn. Zwar ist seit zwei Jahrzehnten immer wieder zu hören, der Onlinegigant Amazon werde den stationären Buchhandel nach und nach vom Markt verdrängen. Aber auch in Hamburg haben sich gerade die kleinen, unabhängigen Buchläden besser gehalten als viele in der Vergangenheit befürchteten.

Dabei ist es solchen inhabergeführten Geschäften während der Corona-Pandemie sogar gelungen, gegen bundesweit tätige Ketten wie Thalia wieder Boden gutzumachen. Denn deren Großfilialen finden sich häufig in der Innenstadt oder in Einkaufszentren – also an Plätzen, die besonders unter einem Besucherrückgang litten.

Buchhandlung Hamburg: Umsätze wieder gestiegen

„Wir haben unglaublichen Zulauf gehabt, die Umsätze waren viel höher als in den Jahren davor“, sagt Alexandra Kröger, Inhaberin der Buchhandlung Seitenweise in Hamburg-Hamm. Die Menschen hätten viel Zeit zum Lesen gefunden, da Kinos und andere Freizeitangebote nicht zugänglich waren. „In der Corona-Pandemie gab es außerdem eine große Bereitschaft, eher die Läden im eigenen Kiez zu unterstützen“, sagt dazu Iris Hunscheid, Vorsitzende einer Interessengruppe des unabhängigen Buchhandels innerhalb des Branchenverbands Börsenverein des Deutschen Buchhandels.

Über ähnliche Erfahrungen im Hinblick auf die Corona-Phase berichtet Ragna Lüders, Mitinhaberin der Firma Buchhandlung & Antiquariat Lüders in Eimsbüttel: „Für uns war es eine anstrengende und auch gute Zeit.“ Dazu hätten der Social-Media-Auftritt und der bereits eta­blierte Onlineshop beigetragen: „Die Solidarität war so groß, dass Menschen aus ganz Deutschland bei uns bestellt haben.“

Online-Geschäft „geradezu explodiert“

Tatsächlich verkauft längst nicht nur Amazon Romane oder Ratgeberliteratur über das Internet. „Etwa die Hälfte aller Onlineumsätze mit Büchern entfallen auf den stationären Handel – und diese Umsätze steigen stärker als die der reinen Internet-Anbieter“, sagt Hunscheid. Im Weihnachtsgeschäft mache das Online-Geschäft, das in Lockdown-Zeiten „geradezu explodiert“ sei, 30 bis 40 Prozent der Verkäufe der Seitenweise-Buchhandlung aus, sagt Kröger.

Doch seit Beginn des Ukraine-Krieges und dem kräftigen Anstieg der Inflationsraten verzeichnet der Börsenverein in der Branche stark sinkende Umsätze. Zwar vergleicht man da mit der Corona-Sonderkonjunktur. Aber einer Marktstudie aus dem Juli zufolge gibt es auch strukturelle Probleme. Gegenüber der Zeit vor der Pandemie habe man in Deutschland noch einmal fast zwei Millionen Käufer eingebüßt. Nur noch 41 Prozent der Deutschen zählten mittlerweile als Buchkäufer.

„Die Stimmung der Menschen ist eher gedrückt"

Hinzu kam zuletzt die weltpolitische Situation und das Inflationsumfeld. „Die Stimmung der Menschen ist eher gedrückt, was eine gewisse Kaufzurückhaltung zur Folge hat“, so Hunscheid. Menschen, die regelmäßig Bücher lesen, gehörten zwar eher zu denen, „die ihre Heizrechnung ohne allzu große Probleme bezahlen können“. Die Käufe von „Gelegenheitslesern“ seien aber zurückgegangen.

Alexandra Kröger hat das schmerzhaft zu spüren bekommen. Ermutigt durch die guten Umsätze während der Corona-Phase hat sie in Dulsberg einen zweiten Seitenweise-Standort eröffnet, der aber nur ein halbes Jahr lang gut lief und den sie nun schon wieder schließen muss. Die Solidarität mit Geschäftsleuten aus dem eigenen Kiez lasse nach, findet Kröger. „Das hat mit Bequemlichkeit zu tun. Wenn man ohnehin gerade in der Innenstadt oder im Einkaufszentrum ist, kauft man auch da ein Buch.“

„Heute sind 10 bis 12 Euro ein gängiger Preis"

Zudem lasse der Anstieg der Energie- und Lebensmittelpreise manchen Kunden immer weniger Spielraum für weitere Ausgaben – gerade in einem Stadtteil wie Dulsberg, dessen Bewohner im Schnitt nicht unbedingt zu den einkommensstärksten in Hamburg gehören. „Es gibt Menschen, die sich ein gebundenes Buch für 20 Euro nicht leisten, sondern lieber warten, bis es als Taschenausgabe erscheint“, sagt Kröger.

Doch nach Auffassung von Hunscheid bezahlt man für Bücher in Deutschland noch immer nicht das, was sie wert sind. „Taschenbücher kosteten gegen Ende der D-Mark-Zeit, vor gut 20 Jahren, häufig 18 bis 20 D-Mark“, sagt sie. „Heute sind 10 bis 12 Euro ein gängiger Preis.“ Dass sich Bücher nicht wie andere Produkte verteuert haben, liege daran, dass es den Verlagen gelungen sei, ihre Produktionskosten immer weiter zu senken. „Aber auf diese Weise haben die Hersteller der Buchbranche insgesamt keinen guten Dienst erwiesen“, so Hunscheid, schließlich müsse auch der Handel von den Umsätzen leben können. Inzwischen zwinge aber wenigstens die Verteuerung des Papiers die Verlage zu Preisanhebungen.

Buchhandlungen setzen auf Kundenbindung

Im brancheninternen Wettbewerb bemühen sich die inhabergeführten Buchhandlungen seit langer Zeit um eine besonders starke Kundenbindung, unter anderem durch Events. „Wir haben auch während der Pandemie Onlinelesungen veranstaltet, in denen wir gerade auch Debütwerke von Autorinnen und Autoren vorstellen“, sagt Lüders. Die eigenen Buchvorstellungs-Events, die ja jetzt wieder in Präsenz stattfinden könnten, seien sofort ausverkauft.

„Vielfach besteht eine große Verbundenheit zwischen unabhängigen Buchhandlungen und ihren Kunden“, bestätigt Hunscheid. „Dazu tragen zum Beispiel Empfehlungslisten bei, auf denen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihre Favoriten vorstellen. Stammkunden wissen dann schon, wessen Geschmack dem ihren am meisten entspricht.“ Allerdings konzen­triert sich im Belletristik-Bereich das Geschäft immer stärker auf die Top-Ten-Titel der Bestsellerlisten.

„Natürlich ist die Beratung die schönste Beschäftigung"

Alexandra Kröger hat damit kein Problem „Natürlich ist die Beratung die schönste Beschäftigung von allen im Buchhandel“, sagt sie, „aber das ist auch zeitintensiv. Wenn jemand hereinkommt und ein Buch kauft, ohne zu fragen, bin ich nicht traurig.“

Nach den Erfahrungen von Ragna Lüders kommt es aber stark auf den jeweiligen Kundenkreis an: „Bei uns entwickeln sich manche Titel als Bestseller, die in großen Buchhandlungsketten nicht vertreten sind. Wir führen auch viele Titel kleinerer, unabhängiger Verlage. Und viele Kundinnen und Kunden kommen zu uns, weil wir ihnen auch solche Titel empfehlen.“

„Es ist kaum noch möglich, Nachfolger zu finden“

Trotz solcher Vorzüge hat die Zahl der kleinen Buchhandlungen abgenommen. Heute gibt es davon noch rund 3500 im Bundesgebiet. Insgesamt gingen deutschlandweit nach Angaben von Hunscheid seit 2012 gut 800 Buchläden verloren. Das liegt allerdings in vielen Fällen nicht an zu geringen Umsätzen, sondern daran, dass niemand gefunden werden kann, der das Geschäft übernehmen will, wenn der Besitzer in den Ruhestand geht. „Es ist kaum noch möglich, Nachfolger zu finden“, sagt Hunscheid. „Es gibt immer weniger junge Menschen, die auf die viele Arbeit Lust haben. Das ist ja auch im Handwerk so.“

Nach Auffassung der Branchenkennerin hat es im Fall der Buchhandlungen auch mit dem Einkommen zu tun. Etliche Inhaberinnen und Inhaber kleinerer Läden kämen für sich selbst nicht einmal auf den Mindestlohn. „Bei auskömmlichem Wirtschaften und ordentlicher Rentabilität“ sollte eine Buchhandlung mit einem Jahresumsatz zwischen einer halben Million und einer Million Euro ein Unternehmergehalt von 48.000 Euro abwerfen, so Hunscheid, aber: „Das tun viele Firmen nicht.“ Hinzu komme, dass alteingesessene Buchhandlungen ihren Sitz oft in einer Immobilie haben, die dem bisherigen Geschäftsinhaber gehört. „Das ist dann eine zusätzliche Hürde für einen möglichen Nachfolger.“

Buchhandlung Hamburg: „Das Buch wurde schon oft totgesagt“

Trotz aller Härten und Rückschläge findet Alexandra Kröger: „Das ist ein Traumjob. Man ist umgeben von Büchern, die man selbst gerne liest.“ Und wie in jedem Jahr bleibt die Hoffnung auf das Weihnachtsgeschäft. „Wir hatten schon einige gute Tage“, sagt Ragna Lüders. Außerdem sei man in dieser Branche Kummer gewöhnt, ergänzt Iris Hunscheid. „Das Buch wurde schon oft totgesagt“, auch schon lange vor ihrer Zeit – „das erste Mal, als das Radio aufkam.“