Hamburg. Mehrheit der Personen ab 65 Jahren schreckt vor digitalen Bankgeschäften zurück. Das Start-up Brygge will das jetzt ändern.
Wer heutzutage kein Online-Banking betreibt, steht vor einem Problem. Denn Kostendruck und Digitalisierung führen bei immer mehr Banken dazu, dass Filialen geschlossen werden. Auch in Hamburg ist dieser Trend zu beobachten. Doch was macht man, wenn man nicht so digitalaffin ist und zum Beispiel gar nicht weiß, wie Online-Banking genau funktioniert?
Laut des Statistischen Bundesamtes waren es 2021 immerhin noch rund zwei Drittel aller Personen über 65 Jahren, die ihre Bankgeschäfte noch analog – also auf Papier oder per Telefon – abgewickelt haben. Und auch bei der Gruppe der 45- bis 64-Jährigen lag die Quote bei mehr als einem Drittel.
Hamburger Start-up Brygge soll Online-Banking erleichtern
Dieses Problem wollen die drei Gründerinnen Cornelia Schwertner, Bianca Steinke und Barbara Buchalik lösen. Mit ihrem Hamburger Start-up Brygge – eine Mischung aus dem dänischen Wort Hygge (Deutsch: Gemütlichkeit) und dem deutschen Wort Brücke – wollen sie Personen dabei unterstützen, auf das Online-Banking umzusteigen und ihnen darüber hinaus wichtige Finanztipps geben. Die drei Expertinnen möchten vor allem Menschen in der zweiten Lebenshälfte ansprechen, wie sie sagen.
„Viele Personen fühlen sich vielleicht verunsichert, wenn es um das Thema Online-Banking geht“, sagt Gründerin Cornelia Schwertner. Mit Brygge aber, so die Idee, sollen Kundinnen und Kunden ihre Finanzen selbst in die Hand nehmen können, „ohne dabei allein zu sein.“ Deshalb hat die 40-Jährige sich im vergangenen Jahr dazu entschlossen, ihren Job als Geschäftsführerin des Zahlungsinstituts und IT-Unternehmens Finleap connect GmbH aufzugeben und sich selbstständig zu machen.
"Niemand ist zu alt für Online-Banking"
Zusammen mit Bianca Steinke, die Schwertner durch ihre Tätigkeit bei Finleap connect kennt und Barbara Buchalik will die Hamburgerin beweisen, „dass niemand zu alt oder technisch unbegabt für Online-Banking ist.“ Buchalik, die zuvor im Bundesfinanzministerium tätig war, hat sogar ihren Beamtenstatus für die Gründung aufgegeben.
„Bei allen meinen vorherigen Tätigkeiten im Finanzsektor ist mir aufgefallen, dass Banken und Versicherungen ihre Produkte oftmals nicht aus Kundensicht generieren und immer noch dem Provisionsprinzip folgen“, sagt Schwertner. Besonders älteren Menschen würden deshalb häufig teure Finanzprodukte untergejubelt, die sie gar nicht bräuchten. Im Hinblick darauf, dass das Finanzwissen bei Personen ab 60 Jahren sinkt und auch grundsätzlich ungleich verteilt ist, sei es jedoch umso wichtiger, Personen dieser Altersklasse anzusprechen. „In unserer Akademiker- und FinTechblase blenden wir oft aus, dass ein erheblicher Teil der Menschen gar keine Ahnung davon hat, was es für Entwicklungen und Möglichkeiten im FinTech-Sektor gibt. Das wollen wir ändern“, sagt die Gründerin.
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Hilfe beim Online-Banking mit virtuellen wöchentlichen Treffen
Und so funktioniert Brygge konkret: Mithilfe einer Internet-App, die alle bestehenden Konten des Kunden auf einer Oberfläche zusammenführt, soll es Nutzerinnen und Nutzern leicht gemacht werden, ihre Finanzen zu verwalten. Die Kunden, die bereits Online-Banking verwenden, sich aber eine übersichtlichere Oberfläche wünschen, verknüpfen ihre Konten über Brygge mittels ihrer Zugangsdaten für das Online-Banking. Alle anderen, die noch kein Online-Banking nutzen, erhalten über die so genannte Brygge Akademie kostenfreie Unterstützung. Zum einen durch Videos und schriftliche Anleitungen. Zum anderen über virtuelle wöchentliche Treffen, bei denen Brygge-Nutzer über all’ das sprechen können, was Ihnen mit Blick auf kompliziertere Bankgeschäfte auf dem Herzen liegt, sagt Schwertner.
Eine automatisierte Datenbank im Hintergrund der App erkennt automatisch, um welche Art von Transaktion es sich bei den Zahlungen handelt und gibt darauf aufbauend Hinweise und Tipps. So ermittelt Brygge beispielsweise, ob dem Nutzer Anspruch auf Wohngeld zustehen könnte oder es Rabatte und Steuervorteile gibt, die derjenige noch nicht nutzt. Etwa bei Spenden oder Versicherungen. „Zahlt jemand beispielsweise eklatant hohe Summen für einen Steuerberater, erkennt Brygge das und verweist automatisch auf ein Vergleichsportal mit günstigeren Anbietern“, sagt Schwertner.
Auch Alltagstipps dank automatisierter Datenbank
Darüber hinaus gibt Brygge aber auch Tipps rund ums Geldanlegen: „Wenn die App erkennt, dass jemand am Ende des Monats immer eine recht hohe Summe auf dem Konto liegen hat, vermittelt Brygge auch Anlage-Tipps bezüglich verschiedener Anlageformen.“ Ebenso erkennt die Anwendung aber auch, ob Nutzerinnen und Nutzer auf sogenannte Fakeshops hereingefallen oder Opfer des sogenannten Love Scamming (Internetbetrüger auf Datingplattformen) geworden sind. Mithilfe einer Demo-Version können Interessenten den Umgang mit der App auch bereits testen.
„Uns ist es wichtig, dem Kunden eine Alternative zum klassischen Online-Banking zu bieten, ohne dass dieser sein Konto dafür wechseln muss“, sagt Schwertner. „Viele Menschen ab 50 fangen an, sich um die Finanzen der Eltern zu kümmern und da muss man sich auch erst einmal hereinfuchsen.“ Bei vielen könne allein schon der Umstieg auf ein anderes Konto eine hohe Hürde darstellen. Deshalb bündelt Brygge alle Konten auf einer Oberfläche und zeigt dabei auch keine Werbung an – im Gegensatz zu vielen Banken.
Keine Weiterverarbeitung der Daten
Angst um die eigenen Daten müssten Nutzer nicht haben, sagt Schwertner, weil die technische Verknüpfung der Konten über einen unabhängigen Drittanbieter erfolge. Dieser verarbeitet nach dem Einverständnis der Brygge-Nutzerinnen und -Nutzer die sensiblen Daten auf einem hohen Sicherheitsstandard, der von der Bundesfinanzaufsicht überprüft werde. Brygge selbst habe deshalb keinen Zugriff auf die Daten.
Neben eigenen Ersparnissen und privaten Investoren finanziert sich Schwertner und ihr mittlerweile fünfköpfiges Team über das sogenannte InnoFinTech-Programm der Hamburger Investitions- und Förderbank. Das gemeinsame Projekt von Finanzbehörde, Handelskammer und Finanzplatz Hamburg unterstützt Start-ups und Innovationen, um sowohl die Hamburger Start-up-Szene als auch den Finanzplatz Hamburg zu stärken.
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Online-Banking: Dressel besucht Hamburger Start-up Brygge
Finanzsenator Andreas Dressel (SPD) stattete Schwertner und ihrem Team deshalb vergangene Woche einen Besuch ab: „Brygge steht für vieles, bei dem sich die Finanzwirtschaft weiterentwickeln sollte. Ein digitales Geschäftsmodell für Menschen, für die die digitale Finanzwelt ein Buch mit sieben Siegeln ist.“ Da Brygge nicht provisionsgetrieben ist, bietet das Geschäftsmodell dem Senator nach auch die Chance, der Vertrauenskrise gegenüber bestimmten Finanzprodukten entgegenzuwirken. „Und mit Frauen an der Spitze auch eine Chance, endlich mehr Frauen für Innovationen und Leitungsaufgaben in der Finanzbranche zu begeistern“ , so Dressel.
Noch in diesem Jahr möchten die Gründerinnen mit Brygge auf den Markt gehen. Die Kosten für die Nutzung der App sollen sich dabei nach dem monatlichen Einkommen der Nutzer richten und liegen bei einem Einkommen ab 1000 Euro bei vier Euro pro Monat. Auch die Berechnung der Gebühr erfolgt automatisch mit Hilfe der autorisierten Datenbank. Arbeitslosen sowie Rentnerinnen und Rentnern mit einem Einkommen unter 1000 Euro soll die App kostenlos zur Verfügung stehen.