Hamburg. Ein schöner Landsitz mit Palmengarten: Hier wohnen viele Gäste zum Arbeiten und Urlaub machen - auch aus Hamburg.
Laptop aufklappen und bei der Arbeit die Sonne genießen. Unter Palmen, vielleicht direkt am Strand. Am Wochenende ein Ausflug ans Meer oder eine Wanderung durch Lorbeerwälder, mit dem Duft tropischer Blumen in der Nase. Mit diesem Gedanken haben sich Kirstin Abel und Fabian Eins Anfang 2021 nach Madeira auf die Reise gemacht.
„Wir wollten eigentlich nur vier bis sechs Wochen für Remote Work bleiben“, erinnert sich Fabian Eins mit Blick auf den Plan des Paares, eine Weile von der Vulkaninsel aus arbeiten zu wollen.
Workation: Aus einem Ferienhaus wurde eine Co-Working-Area
Doch dann kam alles anders: „Wir konnten keine Unterkunft finden, und dann haben wir einfach selbst eine gegründet“, erzählt der 32-jährige Elmshorner. „Dafür haben wir ein normales Haus gemietet und bei Facebook nach Leuten geschaut, die mitkommen“, sagt Fabian Eins über die Anfänge. Heute bildet die Villa den neuen Lebensmittelpunkt der beiden Deutschen.
Und aus dem Ferienhaus ist eine gut gebuchte Unterkunft für neudeutsch Co-Working und Co-Living entstanden. Also „ein Ort für alle, die (zeitweise) im Homeoffice festhängen, um Arbeit und Urlaub inklusive einer schönen Gemeinschaft miteinander zu verbinden“, beschreibt der Gründer die Philosophie seines Gästehauses gut 3000 Kilometer südwestlich von Hamburg.
Workation: Mietautos, gemeinsame Spaziergänge, Grillabende
Die Villa ist versorgt mit Glasfaser-Internet, liegt in einem riesigen palmenbestandenen Garten und bietet sieben Schlafräume mit jeweils eigenem Schreibtisch für die Gäste. Für die Verpflegung stehen eine geräumige Küche und ein großer Wohn- und Essbereich zur Verfügung. Auch Platz zum Ausspannen bietet die Unterkunft im Innern der Atlantikinsel: einen Pool, einen Raum für Computerspiele, einen Fitnessbereich und eine Tischtennisplatte.
Der Landsitz ist dabei Ort für Freizeit und Arbeit gleichermaßen: Während einige Bewohner mit ihren Laptops auf dem Balkon sitzen oder sich in eine ruhige Ecke am Pool zurückziehen, gehen andere gemeinsam spazieren oder bereiten das abendliche gemeinsame Grillen vor.
Für die Mobilität vor Ort gibt es Mietautos, deren Kosten bei Bedarf durch alle geteilt werden. Auch die gemeinschaftlichen Ausgaben etwa für Einkäufe werden gemeinsam getragen. „Für ein geteiltes Zimmer zahlt man bei uns ab 250 Euro und für das Luxuszimmer 450 Euro pro Woche“, sagt Fabian Eins, der Öffentliches Recht studiert hat.
Die Gäste sind überwiegend junge Leute
Die Gäste, viele von ihnen Hamburger, bilden einen bunten Mix von meist eher jungen Leuten, die ganz unterschiedliche Berufe haben: Sie sind Softwareentwickler, Marketingmitarbeiter, Podcaster oder Buchhalter. „Wir hatten Gäste von der Europäischen Zentralbank, von SAP oder der Deutschen Telekom, aber auch Dozenten, die wochenweise online unterrichtet, Studenten, die sich hier auf Prüfungen vorbereitet haben oder Gründer, die ihren Businessplan vor Ort konkretisieren wollten“, sagt Fabian Eins über seine Mitbewohner auf Zeit.
Die Aufgaben der arbeitenden Urlauber sind vielfältig, denn in immer mehr Jobs wird das sogenannte Workation (von engl. work für Arbeit und vacation für Urlaub) akzeptiert. Schließlich denken mehr und mehr Angestellte darüber nach, den Schreibtisch daheim gegen einen anderen Ort irgendwo auf der Welt einzutauschen. Nicht zuletzt die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass das Arbeiten im Homeoffice oder auch aus der Ferne sehr gut funktionieren kann.
Workation: Der Trend hat neues Klientel geschaffen
Entstanden ist auf diese Weise das junge Arbeitsmodell Workation, das nicht mehr nur digitalen Nomaden, Freelancern oder Soloselbstständigen vorbehalten ist. Eine aktuelle Nordmetall-Studie bestätigt die Entwicklung auch für Firmen aus der Hamburger Region. Nur noch 20 Prozent der Betriebe bieten demnach heute kein mobiles Arbeiten an, in zwei von drei Unternehmen ist Homeoffice gelebte Praxis.
Selbst die klassischen Reiseveranstalter springen auf den Trend auf: Auch die Tui macht die Erfahrung, dass Langzeiturlaub und Workation stark gefragt sind. Manche Hotels halten dafür inzwischen Zimmer mit Büroausstattung und Druckern bereit.
Die Buchungen für Langzeiturlaube und Workation dürften sich sogar noch ausweiten, schätzte kürzlich Tui-Deutschland-Chef Stefan Baumert: „Alles in allem könnte das Segment bei uns schon bald die Schwelle von 100.000 überschreiten – das Potenzial ist im Sommer wie Winter da. Mit den neuen Möglichkeiten des Homeoffice und flexiblen Arbeitszeitmodellen hat der Trend eine neue Klientel geschaffen.“ Gefragt seien bei den arbeitenden Urlaubern besonders die Türkei, Nordafrika mit Ägypten und Tunesien sowie Kanarische Inseln wie Teneriffa oder Fuerteventura.
Kirstin Abel muss für eine Weile wieder nach Hannover
Für Fabian Eins selbst bot sich das Arbeiten in der Ferne aus mehreren Gründen an: Der Naturliebhaber hatte vor seinem neuen Leben auf Madeira bereits eine Agentur für Klassenreisen in Elmshorn. Auf der Blumeninsel landete er, um an neuen Reisen für die Zeit nach Corona zu arbeiten und Broschüren zu gestalten.
Seine Freundin Kirstin Abel hat auf Lehramt studiert und muss leider bald für eine Weile nach Deutschland: „Sie wird ihr Referendariat in ihrer Heimatstadt Hannover beginnen und ist dann immer nur in den Ferien hier vor Ort“, berichtet Fabian über die Zwänge des deutschen Bildungssystems.
Schließlich habe man nach dem Studium nur einen Zeitraum von drei Jahren, innerhalb dessen man das Referendariat beginnen muss. „Danach hat sie zumindest etwas Abgeschlossenes und dann planen wir auf Madeira weiter“, sagt der Unternehmer über die gemeinsame Zukunft, für die er optimistisch ist.
"Ich hatte drei tolle Wochen im Homeoffice Madeira“
Aus gutem Grund: Die Unterkunft ist bestens gebucht, die Gäste sind zufrieden. „Ich hatte drei tolle Wochen im Homeoffice Madeira“, schreibt eine Kundin. „Figo hat uns viele Geheimtipps gegeben für coole Wanderrouten und Strände. Er ist auch oft selbst mitgekommen“, lobt sie den Gastgeber. „Das Internet ist super und alles andere wie Mietauto, Kostenaufteilung usw. ist auch top organisiert. Ich komme auf jeden Fall wieder“.
Auch Marek aus Hamburg hat die Gemeinschaft genossen: „Ich habe hier viele tolle Menschen kennengelernt und es hat sich angefühlt, wie in einer coolen WG zu wohnen und gleichzeitig Urlaub mit Freunden zu machen“, berichtet der 32-Jährige von seiner Zeit auf Madeira.
Workation: Im Vordergrund steht die Community
Die Villa bietet wie die meisten Co-Working-Plätze, also Gemeinschaftsbüros, sowohl Ruhe-, als auch Kommunikationsräume, selbst die lauschigen Plätze unter Palmen haben dabei Onlinesignal. „Vielen ist es wichtig, dass sie ungestört arbeiten können“, sagt Axel Minten, Vize-Präsident des Bundesverband Coworking Spaces, über die Anforderungen an die Anbieter.
Gleichzeitig schafften Co-Working-Plätze aber bewusst Räume für den Austausch innerhalb der Gemeinschaft. „Das ist ja genau das, was Co-Working-Spaces so besonders macht: die Community, das Netzwerk. Man lernt Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen kennen, knüpft neue Kontakte und hilft sich gegenseitig“, sagt der Experte.
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Dass gegenseitige Hilfe das Leben einfacher machen kann, hat übrigens auch Fabian Eins erfahren: Über Joinmytrip, ein Hamburger Start-up, hat er die Villa bei der potenziellen Kundschaft bekannt machen können. Das Portal richtet sich an Leute, die gemeinsam reisen wollen.
Die beiden Unternehmer sind Vorbild für Andere
Nachdem die beiden Gründer nun bereits seit zwei Jahren auf der Insel sind, haben sie schon eine gewisse Bekanntheit und sind beliebt in der Szene: „60 Prozent unserer Gäste sind Deutsche, viele kommen aus Hamburg, München oder Köln“, erzählt Fabian Eins, aber auch aus dem Süden, aus Nürnberg oder Zürich würden die Leute anreisen.
Die beiden Unternehmer, die das Haus von einer Einheimischen gemietet haben und sich als Ansprechpartner, aber auch als Freunde auf Zeit für gemeinsame Ausflüge anbieten, haben ihre Entscheidung, sich selbstständig zu machen, nicht bereut. „Wir sind das meistgebuchte Co-Living- und Co-Working-Haus auf Madeira“, sagt Fabian Eins, der sogar zum Vorbild für andere Gründer geworden ist.
„Und wir machen das, was uns Spaß macht“
Die Villa habe so viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dass nun bereits vier weitere Häuser auf Madeira entstanden seien. „Und wir machen das, was uns Spaß macht“, sagt Fabian über sein neues Leben als Auswanderer, er genießt das Wetter und die Natur und zitiert die Schriftstellerin Toni Morrison: „Wenn es ein Buch gibt, das du unbedingt lesen willst, das aber noch nicht geschrieben wurde, dann musst du es schreiben.“
Wie geht es nun weiter für das junge Paar und ihr Co-Working-Haus? „Wir möchten es so lange aufrechterhalten, wie es uns Spaß macht und wir nette Gäste haben“, sagt der gelernte Sportfachmann, der allerdings auch die Unwägbarkeiten wahrnimmt. „Der Markt ist so dynamisch und die Welt abseits unserer friedlichen Insel so verrückt, dass wir nicht mehr weit im Voraus planen“, sagt Fabian Eins, der aber eines schon verrät. Wenn alles gut läuft, will das Gründerduo irgendwann ein zweites Haus eröffnen.