Hamburg. Stichprobe unter mehreren Betrieben in der Stadt. Die Auslastung ist überall hoch – doch nicht jeder Kunde wird vertröstet.
Kunden müssen auf einen Handwerker derzeit im Schnitt bereits elf Wochen lang warten. Mit dieser Nachricht verschreckte der Zentralverband des deutschen Handwerks im Sommer viele Hamburger. Doch ist es wirklich flächendeckend so schlimm? Das Abendblatt hat den Praxistest gemacht und stichprobenartig bei Betrieben nachgefragt.
„Viele Kollegen lehnen neue Aufträge schon ab, weil ihnen die Fachkräfte fehlen"
Christian Wiese ist Dachdeckermeister in Altona. Er sagt, die Wartezeiten hätten massiv zugenommen. Kleine Reparaturen würden mit Glück noch in diesem Jahr erledigt. Größere Umbauten oder neue Dächer definitiv nicht mehr. „Viele Kollegen lehnen neue Aufträge schon ab, weil ihnen die Fachkräfte fehlen.“ Wiese beschäftigt vier feste Mitarbeiter und drei Azubis. Zusätzliche Dachdeckergesellen würde er gar nicht bekommen. „Der Markt ist leer gefegt.“ Zudem macht er sich Sorgen wegen der Konjunktur. „Noch fließt das Geld. Aber das kann sich ganz schnell drehen, wenn die Kunden sich entscheiden, das Geld wegen der hohen Energiepreise zusammenzuhalten.“
Diese Sorge treibt auch Loredan Ananie um. Er ist Inhaber der Gartenbaufirma Die Gartenfreunde. „Bisher läuft das Jahr sehr gut. Bei größeren Projekten wie einem Gartenumbau- oder -neubau habe ich Wartezeiten von einem halben Jahr und mehr. Aber was passiert, wenn jetzt die Rezession zuschlägt?“ Ananie befürchtet, dass dann Aufträge wegbrechen. Die Corona-Pandemie habe ihn kaum belastet, allerdings habe er nach Aufhebung der Lockdowns festgestellt, dass die Nachfrage wieder angezogen habe, sagt Ananie. Wer mit einem kurzfristigen Auftrag zu ihm komme, den man innerhalb eines Tages abarbeiten könne – wie einen Garten winterfest zu machen oder Hecken zu schneiden –, erhalte derzeit ab Mitte November einen Termin. Auch hier gibt es also Wartezeiten.
Neukunden müssen mit längeren Wartezeiten rechnen
Andreas Säger ärgert sich über Pauschalisierungen. Er ist Inhaber und Geschäftsführer der Siol Heiztechnik im Süden der Stadt an der Grenze zu Niedersachsen. Das Unternehmen beschäftigt rund 15 Mitarbeiter. „Wartungskunden werden natürlich schneller bedient als Neukunden“, sagt Säger. „Wer im September 2021 seine Heizung warten ließ, kann darauf vertrauen, dass er auch in diesem September drankommt. Wenn sich jemand jahrelang nicht um seine Heizung gekümmert hat und plötzlich will er eine neue haben, sieht die Sache anders aus.“ In dem Fall könne es schon mal zu einem halben Jahr Wartezeit kommen. Äußerst problematisch wird es bei der Installation von Wärmepumpen: „Die sind im Moment gar nicht lieferbar.“
Lang Wartezeiten vermeldet auch die Heizungstechnikfirma Jürgen Tiedtke in Barmbek. „Noch vor einem halben Jahr waren fehlende Rohstoffe oder Teile das Hauptproblem, das zu Verzögerungen geführt hat, und zwar in allen Bereichen der Klima-, Sanitär- und Heizungstechnik“, sagt Judith Rohrer, Assistentin der Geschäftsführung. Jetzt sei es die Angst vor den hohen Energiekosten, die zu einer Auftragsflut führe. Auch hier gilt: Bestandskunden werden vor Neukunden bedient. Der mittelständische Betrieb, der auch viele Neubauten betreut, schiebt seit August 20 Aufträge vor sich her. „Bei Wärmepumpen haben wir derzeit eine Lieferzeit von etwa einem Jahr“, sagt Rohrer. Wer also jetzt bestelle, könne noch die öffentliche Förderung erhalten. „Die Heizung selbst kommt dann aber erst Ende 2023 oder 2024.“ Bestandskunden, die etwa einen hydraulischen Abgleich verlangten, würden von einer Partnerfirma bedient. „Da gab es früher ein oder zwei Wochen Wartezeit. Die hat sich jetzt auch verlängert.“ Auch Tiedtke leidet unter dem Personalmangel.
Mangelnder Fliesennachschub stellt Handwerk vor große Herausforderungen
Das stellt sich bei der Fliesenlegerfirma Dieter Stadach in Francop etwas anders dar: „Ich habe kein Problem, Personal zu finden, aber Fachkräfte zu bekommen, also gelernte Fliesenleger – das ist fast aussichtslos“, sagt Geschäftsführer Christian Brütt. Vor ein paar Wochen habe er auf Instagram ein Gesuch geschaltet und sofort 40 Bewerbungen auf dem Tisch gehabt. „Fachkräfte waren aber nicht darunter.“ Hätten viele Hausbesitzer die Zeit des Corona-Lockdowns noch genutzt, um ihr Eigenheim zu verschönern, sei das Privatkundengeschäft seit Mai regelrecht eingebrochen, sagt Brütt. „Glücklicherweise haben wir vor allem gewerbliche Kunden, deshalb sind unsere Auftragsbücher noch voll.“ Problematisch sei es für den mittelständischen Betrieb aber, den Fliesennachschub sicherzustellen. „Fliesen kommen häufig aus Italien, aber dort haben eine Reihe von Produzenten den Betrieb aufgrund der hohen Energiekosten heruntergefahren oder ganz eingestellt.“
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50 Prozent der Herstellungskosten würden auf den Energieverbrauch fallen. „Selbst billige Fliesen zu 12 Euro kosten plötzlich 18 oder 20 Euro und sind damit unverkäuflich“, klagt Brütt.Annähernd normal läuft das Geschäft der Tischlerei Hansehobel in Winterhude. Inhaber Pascale Wachlinger hat – wie viele seiner Kollegen in der Phase des Corona-Lockdowns – einen deutlichen Zuwachs an Bestellungen erlebt. Dies habe sich ein wenig normalisiert. „Die Auftragsbücher sind aber immer noch gut gefüllt. Es wird ja weiter gebaut, und die Häuser müssen mit Möbeln gefüllt werden“, sagt Wachlinger. Er kenne Kollegen, bei denen man mit Bestellungen bis ins nächste Jahr warten müsse. „Wir arbeiten schnell. Bestellen Sie ein Regal, liefern wir innerhalb von vier bis sechs Wochen.“
Seitz: "Nirgendwo ist die Nachfrage derzeit so intensiv wie in den energierelevanten Betrieben“
Anfragen des Abendblatts bei Klempnern in der Stadt blieben nahezu erfolglos: Sie waren alle tagsüber nicht greifbar. Bei Sanitärtechnik Rabe hieß es: „Wir haben alle zu viel zu tun, als dass wir noch Umfragen beantworten können.“ Für Michael Seitz, Hauptgeschäftsführer der Hamburger Bau-Innung sind die unterschiedlichen Wartezeiten nicht überraschend. „Insgesamt gibt es noch einen Überhang an Aufträgen aus der Nach-Lockdown-Zeit, sodass es Wartezeiten bei allen Gewerken geben kann. Aber nirgendwo ist die Nachfrage derzeit so intensiv wie in den energierelevanten Betrieben.“
Wer versuche, eine Wärmepumpe zu bekommen, müsse mit zehn bis 12 Monaten Wartezeit rechnen, weil die vielfach aus Asien stammenden Produkte fehlten. Zugleich geht Seitz in allen anderen Gewerken von einem Rückgang der Wartezeiten aus: „Ohne es genau zu wissen, erwarte ich, dass die Nachfrage im kommenden Jahr deutlich sinken wird, was sich dann auch auf die Wartezeiten auswirkt“, sagt Seitz. So sei jetzt schon festzustellen, dass Genossenschaften Bauprojekte zurückstellten, um erst einmal abzuwarten, wie sich die Konjunktur entwickelt. Seitz: „Die Leute werden ihr Geld mehr zusammenhalten.“