Hamburg. Aurubis-Chef Roland Harings mit ungewohnt scharfen Worten: “Die deutsche Energiepolitik ist ein Scherbenhaufen“.

Als Chef eines börsennotierten Unternehmens hält Roland Harings sich mit Kommentaren zu politischen Themen für gewöhnlich zurück. Doch angesichts der massiv gestiegenen Energiekosten, die auch den von ihm geführten Hamburger Kupfer- und Metallkonzern Aurubis in naher Zukunft noch härter treffen könnten, spricht er nun Klartext.

Er kritisiert ungewöhnlich scharf die Energiepolitik in Deutschland, fordert preiswerten Strom für die heimische Industrie – und erklärt, warum Aurubis in diesem Geschäftsjahr trotz allem einen hohen dreistelligen Millionengewinn einfahren wird.

Hamburger Abendblatt: Herr Harings, schlafen Sie als Chef eines sehr energieintensiven Industrieunternehmens bereits schlechter wegen der extrem gestiegenen Preise für Strom, Gas und Öl?

Roland Harings: Das lässt mich tatsächlich schlechter schlafen. Aurubis ist derzeit ausreichend mit Strom und Gas versorgt, das ist aktuell nicht das Problem. Aber die Preise für unsere beiden wichtigsten Energiequellen haben ein Niveau erreicht, das unsere Wettbewerbsfähigkeit langfristig bedrohen würde.

Wir können Metalle und insbesondere Kupfer nur zu Weltmarktpreisen verkaufen und stehen hier im internationalen Wettbewerb mit Unternehmen, die mit deutlich niedrigeren Energiekosten arbeiten können. Wir können höhere Preise, als der Markt dies zulässt, nicht durchsetzen.

Wie viel Energie benötigt der Konzern pro Jahr, und wie viel kostet ihn das?

Bei Strom und Gas sind es etwa drei Terrawattstunden, das sind drei Milliarden Kilowattstunden. Mit 80 Prozent hat Elektrizität den größten Kostenanteil. Bis vor der Krise kostete uns eine Kilowattstunde Elektrizität etwa sechs bis acht Cent ohne Nebenkosten und Netzentgelte, das war schon mehr als der Weltmarktpreis von rund vier bis fünf Cent. In den vergangenen Jahren betrugen unsere gesamten Energiekosten jeweils etwa 200 Millionen Euro. Jetzt werden es rund 350 Millionen Euro sein.

Eine vergleichsweise moderate Steigerung.

Wir haben langfristig laufende Lieferverträge, in Deutschland für Strom mit Vattenfall, für Gas mit Uniper. Gegen Preissteigerungen sichert sich das Unternehmen, so weit es möglich ist, mittel- bis langfristig ab. Diese Verträge werden über die Zeit aber auslaufen. Wenn es sie nicht gäbe, müssten wir schon heute ein Mehrfaches der 200 Millionen Euro zahlen. Und dann würden sich viele Produktionsschritte für uns nicht mehr rechnen.

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  • Was befürchten Sie denn jetzt mit Blick auf die Kosten?

    Ich befürchte, dass die deutsche Wirtschaft durch eine sehr schwierige Zeit mit unverhältnismäßig hohen Energiekosten gehen muss, wenn die Politik nicht beherzt gegensteuert. Meine Sorge ist, dass infolgedessen industrielle Strukturen wegbrechen, dass die energieintensiven Grundstoffindustrie-Unternehmen den Betrieb ganz oder teilweise einstellen. Das passiert schon auf breiter Front, das Stahlwerk Hamburg ist ein prominentes Beispiel. Aurubis hat momentan keine Produktionseinschränkungen geplant.

    Für uns ist derzeit die größere Sorge, dass aufgrund einer Rezession die Nachfrage nach unseren Produkten einbricht. Ein Beispiel: In der Kupfererzeugung stellen wir als Kuppelprodukt große Mengen Schwefelsäure her, die wir an die Chemie-, Düngemittel- und Metallindustrie liefern. Wenn in Europa nun die Düngemittelindustrie aufgrund extremer Erdgaskosten die Produktion einstellen sollte, würden wir große Probleme haben, die Säure am Markt abzusetzen.

    Was fordern Sie konkret von der Politik? Einen Strompreisdeckel, also dass der Staat einspringt?

    Zunächst einmal pragmatische unideologische Entscheidungen, wie es jede Krise erfordert und von der Wirtschaft jeden Tag vorgelebt wird. Zusätzlich brauchen wir in Deutschland einen Industriestrompreis, wie es ihn in anderen Ländern bereits gibt. In Frankreich und in den USA kostet eine Kilowattstunde Strom für die Industrie um die vier Cent.

    Das ist auch in Deutschland ohne Subventionen möglich. Mit einem hinreichend großen Kraftwerkspark, dessen Betreiber einen angemessenen Gewinn erhalten. Und wenn der Staat auf überbordende Abgaben verzichten würde, ließe sich hierzulande Strom zum Weltmarktpreis von vier bis fünf Cent produzieren.

    Dafür gibt es aber nicht genug Kraftwerke.

    Doch, die gibt es. Man müsste sie nur in Betrieb lassen. Es ist doch geradezu ein Irrwitz, dass wir die Atomkraftwerke in der jetzigen Zeit abschalten, ohne wirklich eine Alternative zu haben. Die letzten drei Atomkraftwerke gehen Ende Dezember vom Netz. Ausgerechnet zu der Zeit, wenn selten die Sonne scheint und an vielen Tagen Windstille herrscht. Wie realitätsfern muss man denn sein, so etwas zu tun? Man muss diese Atomkraftwerke weiterlaufen lassen, bis grundlastfähige Alternativen aufgebaut sind.

    Sind Sie für den Bau neuer Atommeiler?

    Nein, ich glaube, das ist nicht der richtige Weg. Es gibt wirtschaftlich wesentlich interessantere Möglichkeiten der Stromerzeugung. Ein neues Atomkraftwerk ist eine Milliardeninvestition. Dazu kommt die Abhängigkeit von einem Brennstoff, der sehr oft aus, ich sage mal, unfreundlichen Ländern stammt. Hinzu kommt die weiterhin ungeklärte Situation der Endlagerung des Atommülls.

    Wie bewerten sie die Abschaltung des Kohlekraftwerks Moorburg?

    Wahnsinn, absoluter Wahnsinn! Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Ich unterstütze komplett, dass wir Energie möglichst aus erneuerbaren Quellen erzeugen und die CO2-Bilanzen deutlich verbessern. Der Klimaschutz ist nicht infrage zu stellen. Und auch unser Ziel als Aurubis ist es, deutlich vor 2050 klimaneutral Metalle zu produzieren. Das Ziel ist absolut richtig. Aber wir müssen doch die Reihenfolge hinbekommen. Wir können nicht alles mögliche abschalten, ohne die alternativen und grundlastfähigen Quellen schon aufgebaut zu haben.

    Die deutsche Energiepolitik ist ein Scherbenhaufen. Wir brauchen als Industrie eine permanente, sichere Versorgung mit Elektrizität. Die ist nur mit erneuerbaren Energien aber nicht gewährleistet, der Ausbau wird noch viele Jahre dauern. Deshalb müssen wir technologieoffen sein und zum Beispiel auch die Abscheidung und sichere Einlagerung von CO2 aus Kraftwerken mit fossilen Brennstoffen in Betracht ziehen – und das Fracking von Erdgas muss neu bewertet werden. Beides soll in Deutschland aber nicht möglich sein. Die Energiewende ist meines Erachtens viel zu sehr ideologiegetrieben.

    Wann wird Deutschland seinen kompletten Energiebedarf aus erneuerbaren Quellen decken können?

    Dafür hat Deutschland nicht genug eigene Ressourcen. Wir werden immer ein Netto-Importeur von Energie bleiben. Es sei denn, wir nutzen weiter die Braunkohle- und Erdgasvorkommen, die wir haben. Im Moment importieren wir Fracking-Erdgas aus den USA. Können wir diese Art der Gasförderung in Deutschland nicht womöglich besser und umweltverträglicher machen? Das muss man sich doch mindestens genauer anschauen und nicht immer alles ausschließen. Wir müssen uns in der Energieversorgung diversifizieren, Risiken und Abhängigkeiten minimieren. So wie wir es hier im Unternehmen tun, indem wir neue Optionen wie etwa den Einsatz von blauem Ammoniak prüfen.

    Sie befürworten Fracking in Deutschland?

    Ich sage nicht: Lasst uns sofort einen Bohrturm errichten. Ich sage: Wir sollten es uns ergebnisoffen genauer anschauen und es nicht von vornherein ausschließen.

    Befürchten Sie eine Rezession hierzulande?

    Ja, wir werden sicherlich in eine Rezession kommen. Wie schwer sie sein wird, lässt sich kaum abschätzen. Aber wir werden zweifellos durch schwere Monate, wenn nicht Quartale gehen müssen.

    Zurück zu Aurubis. Profitiert das Unternehmen von den Entlastungspaketen der Bundesregierung?

    Nein, aktuell nicht. Was die Ankündigung von Wirtschaftsminister Habeck angeht, energieintensive Unternehmen zu entlasten, kennen wir keine Details. Wahrscheinlich gibt es sie noch gar nicht. Von daher können wir noch nicht beurteilen, was das für Aurubis bedeutet.

    Befürchten Sie Strom-Blackouts oder Gasabschaltungen im Winter?

    Für unseren Standort Hamburg gehen wir nicht von Gasabschaltungen aus, weil wir Fernwärme für die HafenCity produzieren und 8000 Wohnungen beheizen, übrigens CO2-frei. Weitere 20.000 Wohnungen in der Stadt werden 2024 hinzukommen. Damit ist Aurubis ein systemrelevanter Baustein der Energieversorgung in der Stadt.

    Beim Strom gehe ich auch nicht von Blackout-Szenarien aus, jedoch könnte es sehr wohl zu temporärer Abschaltung von großen Stromverbrauchern kommen. Mit Gas ist das Werk Hamburg versorgt, und ab Januar oder Februar können wir hier auch alternative Brennstoffe einsetzen. In unseren anderen deutschen Werken sieht es ähnlich aus.

    Wie passt zusammen, dass Sie steigende Energiepreise beklagen, Aurubis aber zugleich im aktuellen Geschäftsjahr einen Rekordgewinn vor Steuern von bis zu 600 Millionen Euro anvisiert?

    Aurubis ist krisenfest – das haben wir auch schon in den ersten Pandemiejahren gezeigt. Und das passt insofern sehr gut zusammen, weil wir zuletzt sehr gute Preise für Metall und Schwefelsäure erzielen konnten, während sich die stark steigenden Energiekosten in dem bis Ende September laufenden Geschäftsjahr wegen der langfristigen Lieferverträge und unserer Absicherungsstrategie zwar ebenfalls stark gestiegen sind, aber nicht so stark wie bei anderen Industrieunternehmen. Und: Wir konnten wegen der guten Situation auf unseren anderen Märkten diesen Kostenanstieg überkompensieren.

    Doch, wie gesagt: Diese Absicherungsverträge laufen über die Zeit aus. Und das wird dazu führen, dass sich die hohen Energiepreise an den Börsen erst in den kommenden Monaten und Jahren auf unsere Kostenposition noch stärker auswirken werden. Das kommende Jahr, so viel kann ich sagen, wird trotzdem keine Katastrophe, sondern eher ein normales Jahr.

    Müssen sich die Aurubis-Beschäftigten Sorgen um ihre Arbeitsplätze machen?

    Ein klares Nein! Die Arbeitsplätze bei Aurubis sind sicher, weil ich davon überzeugt bin, dass Deutschland und Europa die richtigen Antworten auf die Energiekrise letztlich finden werden. Die Nachfrage nach unseren Produkten ist ja weiter gegeben und wird ansteigen.

    Jedes Windkraftwerk, jede Solaranlage, jedes Elektroauto benötigt die Metalle, die wir herstellen. Der Umbau der Energieversorgung in Europa erfordert große Mengen Kupfer. Insofern bin ich trotz allem sehr optimistisch für Aurubis.