Hamburg. Die Discounterkette kämpft mit neuem Filialkonzept gegen sinkende Marktanteile. Eine Filiale in Hamburg wurde schon umgebaut.

Die Veränderung beginnt direkt hinter der Tür. „Obst und Gemüse – täglich frisch“ steht auf einem großen Schild im Eingangsbereich. Darunter sind Kisten mit Äpfeln und Trauben, Kartoffeln und Zucchini aufgereiht – 115 Artikel insgesamt. „Wir haben in der vergangenen Woche umgebaut“, sagt Aldi-Marktleiter Patrick Mondberger.

Neues Ladenkonzept bei Aldi in HafenCity umgesetzt

Nicht nur die Frischeabteilung ist umgezogen, in dem Laden mit einer Fläche von 1000 Quadratmetern steht kein Regal mehr an seinem früheren Platz. Backwaren und Snacks nach vorne, Getränke nach hinten. Freier Blick auf wöchentlich wechselnde Aktionsangebote. Gut 24 Stunden hat die Aktion gedauert. Die Filiale am Baackenhafen in der HafenCity, erst im vergangenen Sommer eröffnet, ist eine der ersten in Hamburg, in denen die Discounterkette Aldi-Nord ein neues Ladenkonzept umsetzt.

Es ist nicht die erste Veränderung, auf die sich Kundinnen und Kunden in den vergangenen fünf Jahren einstellen mussten – und der nächste Anlauf des Unternehmens mit Sitz in Essen, die Umsätze im hart umkämpften Lebensmittelmarkt zu erhöhen. „Store Layout 2.0 DE“ heißt das Konzept etwas umständlich. Die Idee dahinter: „Wir rücken unsere frischen Produkte in den Fokus“, sagt Alena Thormann, die als Verkaufsleiterin für die Regionen Bergedorf und HafenCity auch für den Markt am Baackenhafen zuständig ist.

Bis Ende 2023 sollen alle Märkte umgestaltet sein

Nachdem Aldi-Nord seit Ende 2021 mehrere Alternativen in verschiedenen Bundesländern getestet hatte, wird das runderneuerte Ladenkonzept jetzt flächendeckend ausgerollt. „Bis Ende nächsten Jahres sollen alle 2250 Märkte in Deutschland umgestaltet sein“, heißt es aus der Firmenzentrale. In Hamburg gibt es 80 Aldi-Filialen, im Schnitt soll jede Woche ein Umbau abgeschlossen werden. Angaben zu den Kosten gibt es nicht.

Auffällig ist, dass der Discounter-Pionier mit der neuen Produktanordnung nochmals näher an die Einkaufsgewohnheiten in Supermärkten etwa von Edeka oder Rewe rückt, die seit Jahren ihre Obst- und Gemüseabteilungen fast wie eine Flaniermeile direkt am Anfang der Ladentour platzieren. „Wir reagieren damit auf die Bedürfnisse unserer Kunden“, erklärt Unternehmenssprecherin Serra Schlesinger die Umstellung. Aus Marktanalysen wisse man, dass die Konsumenten ihren Einkauf inzwischen von der Frische-Abteilung aus planten. Obst und Gemüse seien daher wie auch die Aldi-Eigenmarken gerade angesichts der aktuellen Preissteigerungen durch die Energiekrise und Inflation die großen Themen für das Unternehmen. „Das liegt vor allem an den günstigeren Preise, die wir anbieten können.“

Aldi Nord löst sich damit nochmals mehr vom Vorgängerkonzept. Unter dem Namen Aniko, das Kürzel steht für Aldi-Nord-Instorekonzept, hatte der Lebensmittelkonzern 2017 das damals größte und teuerste Umbauprogramm in der Firmengeschichte mit Investitionen in Milliardenhöhe gestartet. Statt wie in den Anfangsjahren, als man vor allem Basis-Artikel, Trockenprodukte und Konserven aus übereinandergestapelten Pappkartons anbot, sind die Läden heller geworden, weitläufiger und freundlicher, das Bio-Angebot größer und die Auswahl an Markenprodukten umfangreicher.

Aldi will sich ein neues Image zulegen

Das Ziel: weg vom harten Discounter-Image. Die Sortimentspräsentation richtete sich nach dem Tagesablauf: beginnend mit dem Frühstücksangebot mit Marmelade, Müsli und Zeitschriften über die Obst- und Gemüseabteilung in der Mitte der Märkte bis zu den Tiefkühlregalen. Aber offenbar hat das Konzept bislang nicht die hohen Erwartungen erfüllt. Schon in den vergangenen Jahren waren einige der Maßnahmen wieder kassiert worden, unter anderem der Versuch, Regale auch mal quer zu stellen statt immer nur längs oder das „Rezept der Woche“, für das alle Zutaten auf einer Fläche präsentiert wurden.

Dann kam Corona. Viele Verbraucher gaben in den Zeiten des Lockdowns mehr Geld für Lebensmittel aus. Allerdings nicht bei Aldi. Vor allem profitierten die Supermärkte mit ihrem deutlich umfangreicheren Warenangebot. Während der Lebensmittelhandel 2020 insgesamt zweistellige Wachstumsraten einfuhr, lagen die Gesamtumsätze bei Aldi Nord mit 24,2 Milliarden Euro nur knapp über denen des Vorjahrs. Für 2021 gibt es noch keine Zahlen. Beobachter erwarten aber ein Umsatzminus. Nach Marktforschungszahlen verlor der Branchenprimus im vergangenen Jahr sogar ein Prozent Marktanteil. Das Branchenblatt „Lebensmittelzeitung“ meldet zudem, dass das Geschäft mit Obst und Gemüse unterdurchschnittlich gewesen sei.

Ein weiterer Aspekt: Aldi kämpft mit seinem Image. Das Unternehmen war lange extrem verschlossen, hat kaum Werbung gemacht und bietet bis heute keine Online-Liefermöglichkeiten. Ein Artikel, den das „Manager Magazin“ im Frühjahr veröffentlichte, trägt den provokanten Titel „Aldis Absturz“. Die Autoren beschreiben darin einen abgehängten Konzern, der über die Jahre sein Gesicht verloren hat. „Aldi hat sich dramatisch verändert“, wird ein ehemaliger Aldi-Nord-Manager zitiert. „Das ist der Weg vom einstmals exzellenten zu einem gewöhnlichen Unternehmen, einem Unternehmen auf dem Weg zum Supermarkt.“ Die Discounter-Mentalität, die Aldi früher auszeichnete, sei über die Jahre immer mehr verblasst. Genauso wie der Erfolg des Konzerns.

Die Discounter gewinnen in der aktuellen Krise wieder Kunden

Die Einführung des neuen Ladenkonzepts oder auch das zuvor eingeführte Angebot von regionalen Bäckereien in den Märkten dürfte für eine Trendwende nicht reichen, das weiß auch das Aldi-Management in Essen. „Es ist eine Reaktion auf die letzten beiden schlechten Jahre“, sagt Michael Gerling, Geschäftsführer des EHI Retail Institutes. Er sieht die „Supermarktisierung“ auch skeptisch. „Es ist eine riskante Strategie“, so der Handelsexperte.

Einerseits sei das Supermarktgeschäft stark regional geprägt und unterliege anderen Mechanismen als der national agierende Discount. „Außerdem ist jeder Umbau mit Kostensteigerungen verbunden.“ In den vergangenen Jahren seien bei Aldi, Lidl & Co. die Personalkosten auf inzwischen zehn Prozent der Gesamtkosten gestiegen und lägen nun nah an den Werten der Supermärkte. Das hat Folgen für die Preisgestaltung. „Es besteht die Gefahr, dass die Discounter im unteren Preissegment Freiräume im Markt schaffen“, sagt Gerling. Im Klartext: Neue Anbieter, die weniger auf Atmosphäre setzten und deshalb geringere Kosten hätten, könnten auch deutlich günstigere Preise anbieten.

Denn inzwischen hat sich die äußere Situation verändert. Die coronabedingte Lust der Deutschen am Kochen und teuren Lebensmittel ist erst mal wieder Geschichte. Mit den steigenden Preisen im zweistelligen Prozentbereich hat sich das Kaufverhalten bereits verändert. Die Kunden gucken bei den Preisen wieder sehr genau hin – und setzen vermehrt auf das Angebot von Aldi, Lidl & Co.

Discounter laufen besser als Supermärkte

Nach jüngsten Zahlen des Marktforschungsinstituts GfK haben die Discounter ihre Umsätze im Mai 2022 im Vergleich zum Vorjahr um vier Prozent gesteigert. Parallel verzeichneten die Supermarktketten Erlösrückgänge von vier Prozent. „Die Discounter entwickeln sich derzeit besser als die Supermärkte“, hatte GfK-Experte Robert Kecskes jüngst gesagt. Weil sie billig sind. Ob Aldis Investitionen in modernere Filialen mit Blick auf die wegen der Inflation so preisbewussten Deutschen überhaupt sinnvoll sind?

„Die erste Resonanz der Kunden ist gut“, sagt der Hamburger Filialleiter Patrick Mondberger. Langfristig rechne er mit höheren Verkaufszahlen im Frischebereich. Auch für ihn und sein Team sei der Umbau positiv. „Wir haben die frischen Waren schneller und übersichtlicher im Blick und können das Angebot leichter pflegen“, so der 37-Jährige. Er sieht die Neuerungen gelassen. Für den Glinder, der vor 17 Jahren seine Ausbildung bei der Discounterkette abgefangen hatte, ist es der vierte Ladenumbau.