Hamburg. “Lieber Robert“: Hamburgs Umweltsenator fordert vom Bund zweistelligen Millionenbetrag und fürchtet Klagen von Hafenunternehmen.
Sein Enthusiasmus hat den Hamburger Senat offenbar in eine Zwickmühle gebracht: Als die Bundesregierung die Idee aufgriff, den Gasmangel durch schwimmende LNG-Plattformen zu kompensieren, hatten Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sowie Umwelt- und Energiesenator Jens Kerstan (Grüne) sofort die Hansestadt als Standort für eine solche Anlage ins Spiel gebracht.
Hier – genauer gesagt neben dem stillgelegten Kohlekraftwerk Moorburg – soll an der Süderelbe eine solche Plattform festmachen, die flüssiges Erdgas (Liquefied Natural Gas, LNG) speichern wird. Auf dieser Plattform wird das LNG auch wieder in den gasförmigen Zustand versetzt und ins allgemeine Netz eingespeist. Der Vorteil: Moorburg hat einen solchen Anschluss. Der Bürgermeister hatte im Überseeclub verkündet, dass er eine solche Anlage nach Hamburg holen wolle.
Hindernisse für LNG-Terminal Moorburg: Kerstan schreibt Habeck Brief
Selbst als das Bundeswirtschaftsministerium vier anderen Standorten für LNG-Plattformen den Vorzug gab, nämlich Wilhelmshaven, Brunsbüttel, Stade und Lubmin, kämpften Tschentscher und Kerstan weiter darum, dass Hamburg als Standort für dieses aus ihrer Sicht wichtige Projekt berücksichtigt wird – zumindest eine Zeit lang. Schließlich dauert es noch ein Jahr, bis Lubmin und Stade eine solche Anlage aufnehmen können.
In der Zwischenzeit könnte Hamburg als Übergangslösung einspringen und Deutschland zur Unabhängigkeit von russischen Lieferungen verhelfen. Im Senat regierte die berauschende Vorstellung, Hamburg könne mit diesem Prestigeprojekt ganz Deutschland aus der Gasklemme helfen, vielleicht schon im bevorstehenden Winter.
Brief an den Robert Habeck listet Probleme auf
Doch nun stellt sich bei genauerer Planung heraus, dass sich dem Vorhaben zahlreiche Hindernisse in den Weg stellen. Eine schwimmende LNG-Plattform kann in Hamburg nicht einfach festmachen – und bereits im kommenden Winter schon gar nicht. Darauf lässt ein Brief schließen, den Senator Kerstan an den Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck persönlich geschrieben hat, und der dem Abendblatt vorliegt.
Unter der Anrede „Lieber Robert“ finden sich in dem Schreiben nur Argumente, die gegen ein solches Terminal sprechen. Und wenn man es doch realisieren wollte, dürfte das bis mindestens ins Spätfrühjahr 2023 dauern und sehr viel Geld kosten. Dabei müsste der Bund helfen, denn allein würde Hamburg ein solches Terminal nicht finanzieren können.
LNG-Terminal in Hamburg: Frühestes Startdatum offenbar Mai 2023
Angedacht ist die Installation einer LNG-Plattform der Firma Dynagas ab Mai 2023 für weniger als zwölf Monate. Wie so ein schwimmendes Gaslager in den Hamburger Hafen bugsiert werden kann, muss über eine nautische Simulation geprüft werde, die voraussichtlich Ende September abgeschlossen ist. Doch damit eine Inbetriebnahme im Mai 2023 realisiert werden kann, müssten bereits jetzt, vor Abschluss der Machbarkeitsuntersuchung, bestimmte Entscheidungen getroffen werden, schreibt Kerstan an den Bundeswirtschaftsminister.
Zunächst soll Berlin helfen, einen Betreiber für die LNG-Plattform zu finden. Bisher gibt es nämlich keinen – vor allem nicht für die wenigen Monate, bis Stade und Lubmin bereit stehen. „Bis Mitte September wird ein Betreiber benötigt, um sämtliche Genehmigungsanträge rechtzeitig einzureichen“, heißt es in dem Schreiben. Man sei in Gesprächen mit Shell. Eine Antwort stehe noch aus. Außerdem erhofft sich Kerstan vom Bund eine finanzielle Absicherung für den Betreiber, wer auch immer das sein wird, da bei der kurzen Laufzeit ein Verlust möglich ist.
Hafen Hamburg: Schiffsverkehr wurde deutlich behindert
Des Weiteren bittet der Senator um Bundeshilfe beim Gewässerausbau. Um eine schwimmende LNG-Plattform und die sie versorgenden Tankschiffe am Anleger Moorburg vertäuen zu können, müsste die Liegewanne ausgebaggert werden. Dazu müsste man zunächst 500.000 Kubikmeter Schlick ausbaggern. Hamburg erhofft sich, dass der Bund dazu Ablagerungsflächen bereitstellt und selbstverständlich die Kosten übernimmt.
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Zudem steht offenbar schon vor der Fertigstellung des nautischen Gutachtens fest, dass die Auswirkungen auf Teile des Hafens massiv sind: Die Wasserfläche der Süderelbe, wo die LNG-Plattform und die sie versorgenden Schiffe ankern sollen, müsste als Tankschiffhafen ausgewiesen werden. Dadurch würde die Passierbarkeit für den weiteren Schiffsverkehr stark beeinflusst, heißt es in dem Brief. Die Harburger Seehäfen mit versorgungsrelevanten Betrieben wie die Holborn Raffinerie, Nynas Bitumen oder Cargill würden „bestenfalls noch begrenzt anfahrbar“ sein. „Es ist sehr wahrscheinlich, dass diese Unternehmen Schadenersatz fordern werden“, so Kerstan. Vom Bund würde Hamburg „eine Erklärung erwarten und erbitten“, dass er daraus erwachsende Kosten übernimmt.
LNG-Terminal: Bau der Anlagen würde mehr als 30 Millionen Euro kosten
Schließlich würde die Planung und Machbarkeitsuntersuchung vier Millionen Euro kosten, der Bau vor Ort sogar mehr als 30 Millionen. „Seitens des Bundes bedarf es einer Zusicherung der Übernahme der Investitionskosten für Machbarkeit, Planung und Bau. Solange unserem Unternehmen keine Kostenübernahmeerklärung vorliegt, können keine Beschaffungsaufträge ausgelöst werden“, lautet Kerstans Schlussfolgerung.
Ob der Bund bereit ist, alle diese entstehenden Ausgaben zu tätigen, steht in den Sternen. Eine Nachfrage des Abendblatts im Bundeswirtschaftsministerium bringt keine Klarheit: „Wir prüfen gerade verschiedene Optionen für den Standort. Insofern kann ich Ihnen noch keine Details nennen, da eine endgültige Option noch nicht feststeht“, teilte eine Sprecherin schriftlich mit. Eine Zusage klingt anders.
Auch die Hamburger Energiewerke sehen bei dem Projekt erhebliche Probleme
Vielmehr weisen viele Argumente daraufhin, dass die Idee von Tschentscher und Kerstan nicht verwirklicht werden kann. Zumal bereits Ende Juli die Hamburger Energiewerke, die das Projekt federführend planen, und die Hafenbehörde Hamburg Port Authority (HPA) in einer Risikoanalyse erhebliche Probleme bei dem Projekt benannt hatten. Schon damals wurde festgestellt, dass die Süderelbe an mindestens zwei Tagen pro Woche gesperrt werden müsste, nämlich immer dann, wenn ein Tankschiff frisches LNG für die Plattform bringt. Die Folge wäre eine massive Beeinträchtigung der Harburger Seehäfen.
Zudem stellten HPA und Energiewerke fest, dass der Gesamtverkehr im Hamburger Hafen behindert würde, wenn die Tankschiffe die Elbe hinauffahren sollten. Hamburgs Hafenwirtschaft hatte sich daraufhin klar gegen das Projekt ausgesprochen. Auch Wirtschaftssenator Michael Westhagemann (parteilos) möchte es lieber heute als morgen beerdigt wissen. Er hatte mehrfach öffentlich Bedenken gegen das Projekt vorgebracht. Kerstans Brief könnte nun der letzte Sargnagel für das Projekt sein.