Kraak/Hoort. Bundestagsabgeordneter Bengt Bergt aus Norderstedt besuchte Gasspeicher nahe Schwerin. Was den Standort besonders macht.
Der Ort mit der großen geopolitischen Bedeutung liegt sehr versteckt. Zwar nahe der Autobahn 24 in Mecklenburg-Vorpommern, aber tief in einem Waldgebiet, den Kraaker Tannen. Und auch wenn es sich nicht um militärisches Sperrgebiet handelt – hier kommt nicht jeder hinein, sowieso nicht ungefragt.
Durch den russischen Angriffskrieg in der Ukraine sind Erdgasspeicher hoch relevant geworden in der öffentlichen Debatte. Für den Bundestagsabgeordneten Bengt Bergt aus Norderstedt, der stellvertretender energiepolitischer Sprecher der SPD-Fraktion ist, ein Grund, sich die Anlage im Landkreis Ludwigslust-Parchim einmal selbst anzuschauen.
Energiepreise: Exklusive Einblicke – Hier lagert unser Gas für den Winter
Die Gegend ist durch ihre unterirdischen Salzstöcke geologisch prädestiniert. Mittels sogenannter Solungen sind hier seit Mitte der 1990er-Jahre vier Kavernen ausgehöhlt worden. Eva Maria Diederichs, Leiterin der Anlage, erklärt mit ihrem Team die Historie und die Funktion. Die Erschließung gelang mit einem bewährten Verfahren aus der Salzgewinnung: Es wird Brauchwasser eingeleitet, dieses sorgt dafür, dass sich das Salz auflöst und als Sole zu Boden sinkt. Letztlich wird die Kaverne nach unten durch unlösliches Gestein abgedichtet.
„In Deutschland beträgt der Füllstand durchschnittlich 60 Prozent. Wir sind seit langem mit 93 Prozent unterwegs. Als Nordstream 1 abgeschaltet wurde, haben wir trotzdem gespeichert“, sagt Diederichs. Jedes Speicherjahr beginnt am 1. April, also nach der Heizperiode. Doch in diesem Jahr hat sich eben vieles verändert. „Derzeit gehen wir davon aus, dass unser Gasspeicher am Ende des Sommers komplett gefüllt sein wird.“ Zum Vergleich: Am 1. März lag der Füllstand bei 22 Prozent.
Der Gasspeicher in Kraak – kleiner Ort, große geopolitische Bedeutung
Hierzu muss gesagt werden: Kraak ist weitaus kleiner als insbesondere der größte deutsche Speicher im niedersächsischen Rehden. Betreiber ist die Hansewerk-Gruppe mit Sitz in Quickborn. Das Fassungsvermögen der Kavernen beträgt 204 Millionen Kubikmeter, das entspricht 2310 Gigawattstunden. Auch das klingt zunächst abstrakt, wird aber verständlicher bei folgender Umrechnung: Bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von rund 12.000 Kilowattstunden könnte ein voller Speicher 192.500 Haushalte zwölf Monate versorgen.
Pro Stunde können 200.000 Kubikmeter Gas nach Hamburg fließen
Der Transport von Gas ist komplex. Es wird zweimal gereinigt – vor nach der Einspeicherung. Denn auf den langen Wegen von den Gasfeldern bis zur norddeutschen Tiefebene mischen sich Partikel unter. Auch wichtig: eine Kühlung. „Das Gas fährt mit 25 bis 30 Grad in die Kavernen ein.“ Und zwar von 50 Grad. Unterirdisch erfolgt dann eine Verdichtung auf 200 Bar.
Theoretisch könnten pro Stunde 200.000 Kubikmeter Gas nach Hamburg oder Berlin fließen. Bevor es aber zum Verbraucher gelangt, ob nun Industrie oder Privathaushalt, wird der Druck reduziert und das Gas mittels einer Absorption getrocknet. „Das Wasser wird rausgezogen.“
Woher das Gas kommt, bestimmen die Kunden
Brisant ist die Frage, was hier eigentlich gespeichert wird. Das ist tatsächlich nicht ersichtlich. Kunden, also etwa Versorger, buchen über die Vermarktung schlicht Kapazitäten. Maximal vier Stunden vorher gibt es eine Nachricht: „Kunde XY hätte gerne eine Menge ein- oder ausgelagert.“ Eva Maria Diederichs und ihre Mitarbeiter nehmen regelmäßig Proben. Sie führt das an einer Messstelle vor. „97 Prozent Methan, sehr energiereich, wenig Stickstoff.“ Das könnte aus Norwegen stammen, eher nicht aus Russland. Sie weiß: „Jedes Erdgasfeld hat ein eigenes Profil.“ Die Zusammensetzung des Gases lässt Rückschlüsse zur Herkunft zu.
Auch importiertes Flüssiggas aus dem LNG-Terminal im niederländischen Rotterdam könnte darunter sein, ergänzt Bergt, der aufmerksam zuhört. Ob er es normal findet, dass überhaupt nicht klar ist, woher der Brennstoff kommt? Er stellt klar: „Die besten Vorgaben helfen nichts, wenn nicht klar ist, woher das Gas kommt – oder, dass Gas kommt.“
Die gestiegenen Importpreise führen zu höheren Kosten für die Endverbraucher
Dafür sind Importeure wie Uniper oder RWE verantwortlich, die wiederum die Fernleitungsnetze nutzen – und deren Betreiber sind im Trading Hub Europe zusammengeschlossen. Die gestiegenen Beschaffungspreise für Gas, bedingt durch den Wegfall großer Mengen aus Russland, erstattet Trading Hub den Importeuren weitestgehend über die nun eingeführte Gasumlage – und legt die Kosten auf Versorger (meist Stadtwerke) um. Diese erhöhen dann die Preise für die Haushalte.
Bergt: „Im Grunde ist der Speicher nur das leere Regal. Es ist ein durchliberalisierter Markt, das ist eine Riesenherausforderung, jetzt eine staatliche Reserve zu schaffen, die nicht von Akteuren, die zum Teil nicht in Deutschland sitzen und die kommerzielle Interessen haben, abgezogen werden kann.“
Eine positive Botschaft nimmt der Bundestagsabgeordnete mit: Eva Maria Diederichs berichtete, dass der Gasspeicher mit technischen Anpassungen auch Wasserstoff speichern könnte. Denn die Zukunft soll ja nicht mehr fossil sein. „Wir müssen unabhängiger werden von Russland, wir müssen mehr Wasserstoffspeicher ermöglichen“, so Bengt Bergt. „Ein Salzstock ist perfekt für Wasserstoff, weil er sich dynamisch verändern kann.“
Windpark mit Bürgerbeteiligung – Bergt ist begeistert
Ganz nach dem Geschmack des Norderstedters war der zweite Termin – ein Besuch im Windpark Hoort, nur wenige Kilometer vom Gasspeicher entfernt. Bergt war vor der Bundestagswahl für die Firma Nordex, Hersteller von Windkraftanlagen, tätig. In Hoort ist der Komplex mit 16 Anlagen aufgeteilt – vier betreibt die Gemeinde (600 Einwohner) selbst. „Wir bekommen die Pacht, das ist schon einmal eine sechsstellige Summe, damit haben wir einen gesicherten Haushalt“, so Bürgermeisterin Iris Feldmann. „Das Beteiligungsverfahren war so: Zwei Windräder tragen wir finanziell, für die anderen können Bürger und ansässige Firmen in 100-Euro-Tranchen zeichnen. Es war mit 106 Prozent überzeichnet.“
Auch fünf andere Gemeinden haben sich beteiligt, dazu zwölf Bürger und zwei Grundeigentümer. Es könnte mehr sein, aber, so Feldmann: „Vielleicht fehlt noch das Vertrauen. Es ist ja doch ein Risiko, falls der Wind nicht weht. Und das Geld muss auch übrig sein.“ Das nächste Projekt des emsigen Dorfes: Photovoltaik links und rechts der A24, wieder soll die Bevölkerung partizipieren. „Vielleicht über ein Bürgergeld, das jeder zu seinen Stromkosten dazu bekommt.“
Energiepreise: „Jeder einzelne Windpark in Deutschland hat Gegner“
Bergt ist begeistert. „Örtliche Initiativen müssen mit viel Geduld, Eifer und Inbrunst unterwegs sein. Im Kreis Segeberg haben wir bei der Windenergie viel Potenzial im Repowering, da können wir die Leistung verdrei-, vervierfachen. Aber wir haben nicht so viele Windeignungsgebiete.“
Ob es immer noch Akzeptanzprobleme gibt? „Jeder einzelne Windpark in Deutschland hat Gegner. Das häufigste Argument: Es bewegt und dreht sich. Das ist es, was die Leute stört. Bei den Solar-Feldern scheint der Widerstand nicht so groß zu sein.“ Es gebe viele Anfragen, aber in der Regel entlang der A7, „das ist optisch nicht so wirkmächtig“.