Hamburg. Zwar gibt es mit der Zinswende ein positives Signal – dafür wirkt sich die Inflation auf viele verschiedene Policen negativ aus.

Seit vielen Jahren kennen die Renditen der Lebensversicherungen praktisch nur noch eine Richtung: nach unten. Die Anbieter konnten das stets damit begründen, dass ja auch festverzinsliche Papiere – wie etwa Bundesanleihen mit zehnjähriger Laufzeit – in der Tendenz immer weniger abwarfen. Schließlich machen Finanzprodukte mit fester Verzinsung den größten Teil der Kapitalanlagen aus, in die die Beiträge klassischer Lebens- und Rentenversicherungen mit einem garantierten Mindestzins fließen und aus denen sich die sogenannte Überschuss­beteiligung der Kunden speist.

Aber etwa seit dem Jahreswechsel 2021/2022 hat sich die Kapitalmarktsituation grundlegend geändert. Die Renditen an den Rentenbörsen sind seitdem deutlich gestiegen. So ist etwa die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe innerhalb weniger Monate aus dem deutlich negativen Bereich bis auf zeitweise fast 1,4 Prozent hochgeschossen, die Analysten der Haspa veranschlagen den Jahresendstand 2022 auf 1,5 Prozent. US-Staatsanleihen mit ebenfalls zehnjähriger Laufzeit rentieren aktuell sogar mit etwa 2,9 Prozent.

Versicherungen: "Zinswende ist positiv zu bewerten"

Heißt dies nun, dass die Lebensversicherer ihren Kunden schon für das aktuelle Jahr wieder mehr gutschreiben können als für 2021 – dem Jahr, in dem die durchschnittliche Überschussbeteiligung der 40 größten Anbieter in Deutschland erstmals unter die Marke von zwei Prozent gefallen ist? Ganz so einfach ist es offenbar nicht, wie die Antworten von Hamburger Versicherern auf diese Frage zeigen.

„Grundsätzlich ist die Zinswende positiv zu bewerten“, sagt dazu Lars Wöhrmann, Sprecher der HanseMerkur. Doch der schnelle und kräftige Zinsanstieg habe auch „erhebliche Herausforderungen in der Kapitalanlage“ mit sich gebracht. Denn die Marktwerte der schon bisher im Bestand befindlichen festverzinslichen Wertpapiere seien „erheblich unter Druck geraten“, was einen unmittelbaren Einfluss auf die Renditeziele der Kapitalanlage habe.

Alte Bestände verlieren an Wert

Im Klartext bedeutet das: Weil nun neue Anleihen und Schuldverschreibungen mit deutlich höheren Zinsen als die der früheren Papiere auf den Markt kommen, verlieren diese alten Bestände offensichtlich an Wert. Dadurch entstehen sogenannte stille Lasten in der Bilanz, die künftig erst einmal wieder abgebaut werden sollten.

Bei der Condor sieht man den Sachverhalt ähnlich wie bei der HanseMerkur. „Grundsätzlich finden wir als Lebensversicherer den Zinsanstieg gut, weil wir damit die schwierigen Bedingungen der Nullzinsphase verlassen“, sagt ein Sprecher des zur Versicherungsgruppe R+V gehörenden Unternehmens. Aber: „Zu den jetzigen Bedingungen gehen wir von einem Kapitalanlageergebnis aus, das unter dem Vorjahreswert liegen wird.“

Renditen für Versicherte könnten steigen

Auch bei der Hamburger Versicherung Neue Leben, die über die HDI zur Talanx-Gruppe aus Hannover gehört, verweist man auf die Zukunft: „Sollte das Zinsniveau längerfristig hoch bleiben und wir dauerhaft besser rentierlich anlegen können, hätte das positive Effekte auf die Überschüsse, somit könnten die Rendite der Verträge für unsere Versicherten steigen“, sagt Holm Diez, Vorstandsmitglied der HDI, auf Abendblatt-Anfrage. HanseMerkur-Sprecher Wöhrmann drückt es nahezu gleich aus: Sollte das Zinsniveau „weiter signifikant und anhaltend steigen, hat das – zumindest nach einer Übergangsphase – auch Auswirkungen auf die Ansparprodukte und führt so zu höheren Renditen.“

Allerdings kann diese Phase wohl recht lang ausfallen. Jedenfalls macht der Berufsverband der Versicherungsmathematiker den Kunden wenig Hoffnungen auf eine schnelle Verbesserung der Überschussbeteiligung, auch „laufende Verzinsung“ genannt.

Unterschiede zwischen den Anbietern

„Ich würde in den nächsten drei bis fünf Jahren bei klassischen Kapitallebensversicherungen nicht mit einem Anstieg der laufenden Verzinsung rechnen“, sagte der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Aktuarvereinigung, Herbert Schneidemann, der Nachrichtenagentur dpa. Ein schnellerer Zinsanstieg sei bei Lebensversicherungen vorstellbar, bei denen Kunden nur einmalig einen Beitrag entrichten.

Es gibt zwar einige Anbieter, die ihren Kunden auf die klassische Variante dieser Produkte aktuell deutlich mehr als die durchschnittlichen knapp zwei Prozent gutschreiben. Der Berliner Versicherer Ideal kann sogar noch 3,0 Prozent gewähren, was er einem außergewöhnlich hohen Immobilienanteil von knapp 16 Prozent am Kapitalanlagebestand verdankt, beim Marktführer Allianz gibt es immerhin 2,3 Prozent.

Auch Inflationsraten sind gestiegen

Aber immer weniger Assekuranzunternehmen haben noch die „klassischen“ Lebens- oder Rentenversicherungen mit Garantiezins im Programm. So hat etwa die Neue Leben das Neugeschäft damit bereits im Jahr 2016 eingestellt. Stattdessen setzen viele Unternehmen nun lieber auf Produkte mit höherem Aktienanteil. Man stellt dafür eine höhere Rendite in Aussicht, muss aber keine garantierte Mindestverzinsung mehr erwirtschaften.

Die wichtigsten Begriffe der Lebensversicherung

Die Überschussbeteiligung ist vergleichbar mit einem Festgeldzins, der für ein ganzes Jahr gilt, jährlich neu festgelegt wird und nicht nachträglich geändert werden kann. Die auch „laufende Verzinsung“ genannte Größe setzt sich zusammen aus dem Garantiezins und Überschüssen, die die Versicherungen mit den Kundengeldern erwirtschaften. Jeder Kunde bekommt von seiner Versicherung bei Vertragsabschluss einen garantierten Mindestzins zugesagt, der für die gesamte Laufzeit gilt.

 Er wird vom Bundesfinanzministerium festgelegt und beträgt seit dem 1. Januar nur noch 0,25 Prozent. Für Kunden, deren Vertrag in diesem Jahr ausläuft, ist die Gesamtverzinsung relevant. Sie enthält weitere Gewinnanteile und fällt höher aus als die Überschussbeteiligung. Allerdings gibt es diese und die Gesamtverzinsung nur auf den Sparanteil der Versicherung. Das sind in der Regel rund 80 Prozent der Beiträge. Der Rest wird für Vertreterprovisionen, Verwaltungskosten und den Hinterbliebenenschutz benötigt.

In den zurückliegenden Monaten sind allerdings nicht nur die Marktzinsen sprunghaft gestiegen, sondern auch die Inflationsraten – und das wird zumindest die Prämien von Gebäudeversicherungen schon bald steigen lassen. Diese seien „sehr direkt von der Verteuerung von Rohstoffen und Arbeitsleistungen betroffen“, heißt es von der Signal-Iduna mit Doppelsitz in Hamburg und Dortmund. Daher würden „die Versicherungsbeiträge zur Hauptfälligkeit des Vertrags im nächsten Jahr steigen.“

Hausratversicherung wird teurer

HanseMerkur-Sprecher Wöhrmann erläutert dazu, in der Wohngebäudeversicherung ermittele der Branchenverband GDV einen jährlichen Anpassungsfaktor, der den Gebäudewert auf das aktuelle Preisniveau der Baubranche anhebe. „Dieser Anpassungsfaktor fließt in die Prämienberechnung ein und führt marktweit zu Beitragssteigerungen.“

Auch in der Hausratversicherung entwickele sich die vereinbarte Versicherungssumme üblicherweise entsprechend der gemessenen Inflation im Verbraucherpreisindex. Während man im vorigen Jahr noch eine Reduktion mit niedrigeren Prämien an die Kunden weitergegeben habe, würden die aktuellen Inflationsraten „im hohen einstelligen Prozentbereich“ voraussichtlich über die Erhöhung der Ver­sicherungssumme zur nächsten Haupt­fälligkeit prämienwirksam werden.

Versicherungen: Inflation hat Einfluss auf Krankenversicherung

Von der hohen Inflation wird auch die Krankenversicherung nicht verschont bleiben. Steigende Heil- und Arzneimittelpreise werden, wie die Signal-Iduna mitteilt, aber nur „auf lange Sicht“ und nicht unmittelbar zu höheren Prämien führen. Die HanseMerkur wird etwas konkreter: „In der privaten Krankenversicherung kann die Inflation des Jahres 2022 erst im Jahre 2024 oder später Auswirkung auf die Prämien haben.“