Hamburg. Fast so viele Kunden wie vor der Pandemie – und gerade die Einkaufscenter können aus dem zunehmenden Homeoffice Nutzen ziehen.

Die junge Frau dreht sich vor dem Spiegel. „Passt das so?“, fragt sie mit einem Blick auf ihre Mutter, die neben den Stangen mit den Kleidern für festliche Gelegenheiten wartet. „Sieht klasse aus“, lobt die Begleitung das aparte Teil aus taubenblauer Seide, ein kurzes Nicken zur Verkäuferin, dann stöckelt die Kundin etwas wackelig auf hohen Schuhen zurück in die Kabine.

Cooles für die Cocktailparty, Festliches zur Hochzeit, alle diese Gelegenheiten zum Schickmachen bieten sich längst wieder – auch wenn Corona noch immer Anlass zur Vorsicht gibt und mancher Kunde wegen der stark steigenden Inflation nun einen Grund zum Sparen sieht. Grundsätzlich aber spüren die Geschäfte eine anziehende Kauflaune.

Hamburgs Einkaufscenter: Das sind die neuen Geschäfte

Die Shoppinglust treibt die Hamburger auch wieder in die Einkaufszentren – und sie finden dort etliche neue Läden. Zwar haben zuletzt zahlreiche Filialisten aufgegeben. Bundesweit sind 80 Läden von Runners Point verschwunden, Pimkie streicht seine Filialen zusammen, Promod stellte nach fast 30 Jahren den stationären Handel in Deutschland komplett ein.

Doch andere Unternehmen eröffnen neue Standorte, sie binden sich mit mehrjährigen Mietverträgen an oft teure Flächen und gehen auf die schwierige Suche nach Verkaufspersonal, das sie als Onlinehändler gar nicht benötigen würden.

Die Neuerungen in ausgewählten Hamburger Einkaufscentern

  • Kulinarisches im AEZ

Lauenroth-Fischfeinkost hat im Alstertal-Einkaufszentrum im Norden der Stadt Ende Juni eröffnet, AC&CO bietet dort seit einigen Tagen Mode für Männer an. Im August eröffnen zudem BoBaPop mit Bubble Tea sowie Myu Myu, ein Suppenbistro. Geplant sind darüber hinaus Modernisierungen großer Mieter, etwa von Appelrath & Cüpper. Schon Ende vergangenen Jahres hatten im AEZ der Supermarkt Bio Company sowie die zweite Filiale des Edelkaufhauses Manufactum in Hamburg eröffnet.

  • Neue Backangebote im Billstedt-Center

Donutman eröffnet im August, der Hardal Bakery Shop im Herbst. Ernsting’s Family präsentiert sich nach einem Umbau im Oktober/November neu. Bereits im April war Waxcat in das Center im Osten der Stadt eingezogen.

  • Internationales in der Europa Passage

Die geplanten Eröffnungen in den nächsten Wochen oder Monaten sind der Kosmetikshop Jojo Mai, die Parfümerie Aromas sowie Erdapfel, ein vegetarisches Restaurant. Bereits Ende 2021 waren das House of Sweets, das dänische Fashion-Konzept Samsøe Samsøe, die Burger Factory und Camp David in die Passage an der Binnenalster gezogen. Anfang dieses Jahres kamen LisBom mit portugiesischen Spezialitäten und die Parfümerie Schuback dazu.

  • Spiel und Sport in der Hamburger Meile

In der nächsten Zeit eröffnen an der Mundsburg der Helpstore by Hanseatic Help, ein Kleidungsshop des Vereins, der bedürftige Menschen und Geflüchtete aus der Ukraine unterstützt. Zudem der Anbieter von Sport- und Fanartikeln Lids sowie die Spielemarke Ravensburger.

  • Lebensmittel im Elbe-Einkaufszentrum

Im Juni hatten hier der Modeschmuckshop Lovisa, der E-Zigarettenladen Riccardo und der Kreativ- und Möbelshop Soestrene Grene eröffnet. Zuvor waren der Hemdenspezialist Pier 67, die Modeketten Kult und Only sowie das Restaurant Bodhis Vegan eingezogen. Der Rewe-Supermarkt hat mehr als vier Millionen Euro investiert. Für den Herbst haben sich der Damen- und Herrenausstatter Walbusch, House of Sweets, die Drogerie My Geisha und Goldline, ein Laden für modische Accessoires, im EEZ angekündigt.

  • Sneaker und Sport im Phoenix-Center

Footlocker eröffnet nach einer Modernisierung auf größerer Fläche, Sportscheck und Sinn Leffers erweitern ebenfalls ihr Angebot. TK Maxx war bereits 2021 in die Immobilie im Herzen Harburgs gezogen. Zuletzt haben die Center in den Stadtteilen profitiert, weil viele Menschen im Homeoffice arbeiten, ihre Nachbarschaft seltener verlassen und vermehrt dort einkaufen. Die Passagen in der City haben es schwerer. So hat die Gänsemarktpassage im März ihre Türen geschlossen – für immer.

Der Abriss des 1980 gebauten Gebäudes mit dem tannengrünen Eingang war bereits vor längerer Zeit beschlossen worden. Eigentümer ist seit 2019 Signa. Die Gruppe, die zum Firmengeflecht des Immobilienmoguls René Benko gehört, plant einen Neubau in der Eins-a-Lage. Büros, Geschäfte, Gastronomie und rund 30 Wohnungen sollen sich auf drei Baukörper verteilen, die durch mehrere Innenhöfe mit Tageslicht versorgt werden. Die Fertigstellung des 250 Millionen Euro teuren Komplexes ist für April 2025 geplant.

  • Älteste Einkaufspassage Deutschlands wird erneuert

Betreiber der Gänsemarktpassage war die IPH Centermanagement GmbH, die in der City mit dem Hamburger Hof ein weiteres traditionsreiches Ziel für die Kunden betreibt. Auch diese gute Lage wird bald neu gestaltet. Der Standort, der als die älteste Einkaufspassage Deutschlands gilt, wird bis auf die denkmalgeschützten Fassaden am Jungfernstieg vollständig erneuert.

Die Center müssen sich neu erfinden, weil in der Pandemie selbst der „letzte Internetmuffel den Laptop herausgeholt hat“ und seine Hosen und Hemden im Internet bestellt hat, bringt es Lars Jähnichen auf den Punkt. Der Geschäftsführer der IPH Handelsimmobilien GmbH, die unter anderem Standortanalysen für den Einzelhandel erstellt, ist wie viele andere Experten überzeugt, dass der Anteil der Onlinehändler auch in Zukunft weiter steigt.

Lars Jähnichen ist Geschäftsführer der IPH Handelsimmobilien GmbH.
Lars Jähnichen ist Geschäftsführer der IPH Handelsimmobilien GmbH. © Quirin Leppert | Quirin Leppert

Mode wird zu 40 Prozent online eingekauft

Derzeit mache der Anteil der im Netz bestellten Ware bei Mode und Schuhen bereits über 40 Prozent aus. „Ende 2023 dürften die Deutschen bei Textilien jeden zweiten Euro bei Internetanbietern ausgeben“, sagt Jähnichen mit Blick auf Umfragen des Marktforschungsinstituts IFH und der BBE Handelsberatung. Der Verbund aus IPH und der BBE zählt zu den wichtigsten deutschen Firmen bei Dienstleistungen für den Handel.

Die Herausforderung: Große Modehändler stehen durch Amazon, Zalando & Co. unter Druck, dabei sind sie nun einmal die Magneten in den Einkaufscentern, weiß Jähnichen. Bekannte Ketten wie H&M dünnten bereits ihr Netz aus. Aber auch in anderen Branchen zeige sich die Schwäche der stationären Läden. So legte die Parfümerie Douglas mehrere Geschäfte zusammen, um jeweils einen großen Flagshipstore zu eröffnen.

Lieferengpässe: Rückschlag für Modebranche

Die Geschäfte hätten bisher die Funktionen eines Schaufensters und des Lagers übernommen, so der Handelsexperte. Mit der Dominanz des Internetgeschäfts werde der Flächenbedarf kleiner, die Lagerstätten schrumpften. Auch diese Tendenz zeige sich in den Innenstädten und Einkaufscentern, wenn die Mieter weniger große Immobilien benötigten.

Zuletzt standen manche Anbieter zudem vor dem Problem, ihre Lager nicht auffüllen zu können. „Die Ausfuhren aus Shanghai stockten wegen der dortigen Lockdowns, dazu kamen die Streiks in den Häfen“, sagt Mareike Petersen, Mitglied der Geschäftsführung beim Handelsverband Nord. So sei die Frühlingsmode oft acht Wochen zu spät gekommen, für die Attraktivität der an kurzfristige Trends gebundenen Mode ein herber Rückschlag.

Wenig Leerstand und volle Läden in ECE-Centern

Andererseits zeigen aktuelle Zahlen, dass die Kunden den Shoppingcentern auch nach der Pandemie treu geblieben sind: „Die Leute kommen nach wie vor beziehungsweise wieder in die Center“, sagt Lukas Nemela, Sprecher des Einkaufscenterbetreibers ECE: „Die Frequenzen haben sich bereits wieder auf 90 Prozent und mehr gesteigert.“ Zudem sei das durchschnittliche Mietenniveau stabil und habe sich im Jahr 2022 sogar leicht positiv entwickelt. Es gebe in den ECE-Centern nur wenige Leerstände, die Vermietungsquote liege bei über 95 Prozent.

Zwar baut die ECE, die in der Hansestadt bekannte Namen wie das AEZ, das EEZ oder die Europa Passage betreibt, keine neuen Shoppingcenter mehr. Doch der Chef des traditionsreichen Hamburger Unternehmens, Alexander Otto, glaubt offensichtlich an die Zukunft dieser Konzepte. So hat der Milliardär und Harvard-Absolvent die Euroshop gekauft, einen großen Einkaufszentren-Investor mit Malls auch in Österreich, Polen und Tschechien.

„Food ist das neue Fashion“

Für viele Standorte steht nun ein Umbruch an. Die Modeläden, die verschwinden, werden durch andere Anbieter ersetzt. Möbel und Haushaltswaren wie bei Manufactum, Accessoires für das schöne Wohnen wie bei Soestrene Grene folgen so manchem Kleiderspezialisten, der seinen Standort aufgegeben hat. Allerdings schätzt Handelsexperte Joachim Will, dass diese Marken weniger Miete zahlen. „Sie erreichen nicht die gleiche Flächenproduktivität wie Mode“, weiß der Geschäftsführer von Ecostra, einem Beratungsunternehmen für den Einzelhandel.

Und: „Food ist das neue Fashion“, beschreibt Will den Wandel. Andererseits könne nicht überall ein riesiger Foodcourt wie in der Europa Passage überleben. „Normalerweise ist bei einem Flächenteil von sechs bis zwölf Prozent für die Gastronomie Schluss“, sagt Will mit Blick auf den Bedarf der Kunden an Pommes, Burger oder Sushi, um sich während des Shoppens zu stärken.

Mieter unzufrieden mit Europapassage

Zu anderen Nutzungsoptionen gehören Hotels oder Coworkingspaces wie im Stadtkaufhaus Gerber in Stuttgart, dazu kommen Fitnessstudios, Kletterwände oder Kultur, wie jetzt in der Galeria Kaufhof am Hauptbahnhof, wo es statt Bademode und Blusen nun erst mal Bilder des Street-Art-Künstlers Banksy zu sehen gibt.

Für die Händler, die in den Malls ihre Ware anbieten, zählt weniger der Mix, als das, was am Ende übrig bleibt. Regelmäßig bewerten die Mieter ihre Zufriedenheit mit den einzelnen Centern in der Ecostra-Studie „Shoppingcenter Performance Report“, Kriterium dabei ist der Ertrag. Dabei schnitten die Galerie Bramfeld, das Tibarg- oder das Rahlstedt Center zuletzt mit positivem Trend nach oben gut ab. Mit mittleren Schulnoten bewerteten die Mieter das Mercado Altona, das Wandsbek Quarree und die Hamburger Meile. Die Europapassage zeigt laut der jüngsten Studie von 2021 eine negative Entwicklung. „Zu viele Verkaufsebenen sind heute nicht mehr so beliebt“, sagt Will.

Hamburgs Einkaufscenter müssen sich neu erfinden

Ältere Standorte müssen sich den aktuellen Anforderungen stellen und werden wie das Hanseviertel umgebaut, aber auch neue Wettbewerber beleben das Geschäft: Das Überseequartier wird der Hansestadt mit einer neuen Mall und 200 Geschäften riesige Shoppingmöglichkeiten bringen. Und auch wenn sich die Eröffnung jetzt erneut und auf 2024 verschoben hat – das Modegeschäft Breuninger und der bundesweit größte Laden von Zara dürften wichtige Zugpferde in dem Areal am Hafen sein.

„Ob sich die Stadt damit einen Gefallen tut, dort so viel Einzelhandelsfläche zuzulassen?“, fragt sich Jähnichen. Schließlich sinke die Nachfrage nach Handelsimmobilien schon heute. Und es sei fraglich, ob andere Zentren wie die Mönckebergstraße diese Konkurrenz nicht mit einem weiteren Aderlass bezahlen müssen.