Hamburg. Adidas, Kellogg’s, Ikea – viele Unternehmen werben in LGBTQ+-Szene für ihre Produkte. In Hamburg gibt es jetzt einen queeren Wein.

Auf der Banderole mit den Regenbogenfarben steht in großen Buchstaben „Queerwein“. Dass der schwule Weingut-Erbe und Wahlhamburger Christian Schätzel seinen Riesling so nennen darf, hat mit einer ungewöhnlichen Initiative zu tun. Das Land Rheinland-Pfalz hatte sie Anfang des Jahres für den besten queeren Wein ausgeschrieben.

„Ich habe mitgemacht, um zu zeigen, dass auch Winzer und Winzerinnen Teil einer vielfältigen Gesellschaft sind“, sagt der 34-Jährige aus der fünften Generation eines Weinbaubetriebs in Rheinhessen. Ausgewählt wurden Schätzels Riesling und ein Merlot aus dem pfälzischen Maikammer. „Queerer Wein ist natürlich erst mal kein Qualitätsmerkmal. Der Wein schmeckt deshalb ja nicht anders“, sagt Schätzel, der in einem Altonaer Hinterhof eine Werbefirma betreibt und parallel die junge Weinmarke Kapellenhof 5 aufbaut. Das Geschäft mit dem Regenbogen-Wein passt dazu. „Die Resonanz bei den Kunden ist gut.“

Queere Wirtschaft: LGBTIQ+-Community mit Kaufkraft

Regenbögen, überall: Immer mehr Firmen werben damit in der bunten Szene, die unter dem Kürzel LGBTIQ+ firmiert, für ihre Produkte und Dienstleistungen, färben ihre Logos und versuchen sich so als besonders vielfältig und tolerant darzustellen. LGBTIQ+, das klingt wie ein komplizierter Code, steht aber für die aus dem Englischen übernommene Abkürzung für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender, Intersex und Queer (Lesbisch, schwul, bisexuell, transgender, intersexuell und queer, was sich mit seltsam übersetzen lässt), das angehängte Plus soll auch nicht-binäre Menschen und alle anderen einschließen.

Dabei geht es den Unternehmen nicht nur um Gleichberechtigung, sondern eben auch ums Geschäft. Zahlreiche Studien haben der „rosa Kundschaft“ in den vergangenen Jahren überdurchschnittliche Konsumlust attestiert. Konkrete Zahlen gibt es nicht. Die Kaufkraft der Community wird weltweit auf 3,7 Billionen Dollar geschätzt. Zwischen 50 und 100 Milliarden Euro Umsatz werden demnach allein durch das bunte Marketing während der sogenannten Pride-Saison im Sommer rund um den Christopher Street Day (CSD) generiert (siehe unten).

Firmen wie Beiersdorf in Regenbogenfarben

Vom Hamburger Hautpflegekonzern Beiersdorf etwa gibt es in diesem Jahr wieder eine limitierte Labello-Edition unter dem Motto Pride Kiss mit Herzen oder dem Aufdruck „Love-Is-Love“ in Regenbogenfarben. „Die Produkte werden von unseren Kundinnen und Kunden gut angenommen“, sagt eine Unternehmenssprecherin. Auch die klassische Nivea-Dose bekommt für einige Wochen die Regenbogen-Farben.

Das Unternehmen lege großen Wert auf Diversität und Inklusion, heißt es mit Verweis auf das interne LGBTIQ+-Netzwerk namens BeYou@Beiersdorf, das Beschäftigte gegründet haben. Mit den Marken Nivea und Labello werde zudem die gemeinnützige Initiative Welcoming Out unterstützt, die Toleranz und Akzeptanz in Hamburg fördern soll. Mit dabei sind unter anderem auch Hapag-Lloyd, Haspa und der HSV.

Bunte Produkte bei Ikea, Adidas und Co.

Auch die weltbekannte blaue Plastiktragetasche Frakta des schwedischen Möbelhändlers Ikea liegt in diesem Jahr in Regenbogen-Farben in den Kaufhäusern. Unter dem Namen „Together with Pride“ hat der Frühstücksflocken-Hersteller Kellogg’s mit Deutschlandzentrale in Hamburg im vergangenen Jahr Getreideherzen in den Farben des Regenbogens und mit essbarem Glitzer lanciert. In diesem Jahr ist es eine sogenannte Pride-Box mit dem Toast-Gebäck PopTarts.

Es gibt eine Pride-Schorle von Beckers Bester und „Rainbow Sticks“ aus verschiedenfarbigem Gemüse bei McDonald’s. Zahlreiche Modeunternehmen bringen spezielle Kollektionen heraus. Beim Sportartikelhersteller Adidas heißt sie schon seit 2015 „Pride Pack“. In diesem Jahr gibt es unter anderem den Superstar Pride, den der queere Künstler Kris Andrew Small sehr poppig designt hat. Mit einem Preis von 100 Euro für das Sondermodell war Adidas im Juni gestartet, inzwischen bekommt man den bunten Sneaker auch schon für 75 Euro. Und das sind nur einige Beispiele. Auch Coca-Cola, Telekom, Mercedes-Benz oder Apple zeigen ihre Unterstützung mit Regenbogen-Produkten.

Sorge vor Missbrauch der Regenbogen-Flagge

Die zunehmende Kommerzialisierung sorgt in der LGBTIQ+-Gemeinschaft für Debatten und manchmal auch für Streit. „Für uns ist es ein zweischneidiges Schwert“, sagt Manuel Opitz vom Verein Hamburg Pride, der in der Hansestadt die am Freitag startende Pride Week unter dem Motto „Auf die Straße! Vielfalt statt Gewalt“ mit zahlreichen Besuchern und die Parade zum Christopher Street Day mit erwarteten mehreren Hunderttausend Besuchern ausrichtet. „Erst mal ist alles gut, was Aufmerksamkeit für unsere Gemeinschaft schafft.

Trotzdem sehen wir auch die Gefahr, dass die Regenbogen-Flagge für Geschäftemacherei oder zur Imagepflege missbraucht wird.“ Jedes Unternehmen, die sie nutze, gehe eine Verpflichtung ein, sich für Gleichberechtigung, Akzeptanz und gegen Diskriminierung einzusetzen. Alles andere fällt unter den bösen Begriff Pink-Washing. „Wie LGBTIQ+-freundlich Firmen tatsächlich sind, ist von außen schwer nachvollziehbar“, sagt Opitz.

Reisebranche bietet queeren Urlaub

Mehr als sechs Millionen Menschen in Deutschland zählen sich Schätzungen zufolge zu dieser Szene. Dabei gilt neuesten Umfragen zufolge: Je jünger, desto queerer. Das ist viel Potenzial für Marketing-Experten. Vor allem in der Reisebranche wird die Szene schon lange gezielt umworben. Auch die Stadt Hamburg wirbt auf ihren Internetseiten für „Hamburgs bunte Seite“ und offeriert die Hotspots der Szene in der Hansestadt.

Der Hamburger Online-Reiseveranstalter Go Holidate bietet Gruppenreisen und individuelle Angebote für die Regenbogen-Klientel. „Im Endeffekt sind es ganz normale Reisen, die wir planen. Aber wir achten darauf, dass unsere Kunden auf ihre Kosten kommen“, sagt Inhaberin Heidi Thalmeier. Eine Hochzeitsreise für ein schwules Paar, ein Surfurlaub für lesbische Freundinnen – wichtig sei, dass die Hotels „LGBTIQ+-freundlich sind, ein Szene-Stadtteil in der Nähe ist und vor allem, dass das Reisen besonders auch bei Fernzielen sicher ist“, so die Reise-Expertin, die nach ihrem Umzug nach Hamburg „die Angebotslücke“ entdeckt hatte. Der Umsatzanteil mit schwul-lesbischer Klientel liegt bei etwa 40 Prozent. Sehr beliebt sind Südafrika, Kolumbien oder Bali.

Julia Klöckner kritisiert Queerwein-Idee

Auch bei der Hamburger Reederei Tui Cruises hält man es nach der Corona-Pause nicht für ausgeschlossen, ein neues queeres Kreuzfahrtkonzept aufzulegen, erklärte eine Sprecherin. „Schon immer hatten wir viele lesbische und schwule Gäste an Bord, denn die LGBTIQ+-Community ist sehr reisefreudig und kreuzfahrtaffin.“ 2017 war die erste Rainbow Cruise in See gestochen, die komplett auf die Szene zugeschnitten war. Es habe Überlegungen gegeben, eine weitere zu veranstalten, so die Sprecherin. Aber mit Beginn der Pandemie seien sämtliche Event-Reisen verschoben worden.

„Corona war wie eine Pausetaste“, sagt Winzer Christian Schätzel. Er habe den Eindruck, dass Diversität im öffentlichen Leben der Nach-Pandemie-Zeit mehr zur Normalität geworden sei. Dabei gibt es natürlich immer auch Kritik und Anfeindungen. Die Queerwein-Idee aus Rheinland-Pfalz etwa hatte bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Unter anderem empörte sich die frühere CDU-Landwirtschaftsministerin und deutsche Weinkönigin Julia Klöckner über die Aktion der Landesregierung. Die Winzer an der Ahr hätten nach der Flut im vergangenen Jahr andere Probleme, sagte sie. „Da steht die sexuelle Identität nicht im Vordergrund.“

Da ist bestimmt etwas dran, trotzdem hält der schwule Winzer Christian Schätzel dagegen. „Wir brauchen diese vielen kleinen Schritte.“ Natürlich sei seine Sexualität Privatsache. Aber es gehe auch darum, für mehr Toleranz in der Gesellschaft einzutreten. „Ich label mich nicht queer, ich bin queer.“ Noch muss sich zeigen, wie sich der Wein verkauft. Die Landesregierung in Mainz hat 250 Flaschen als „Vielfaltsbotschafter“ für das Weinland geordert. Seit Kurzem gibt es die beiden Siegerweine auch im Doppelpack mit Regenbogen-Banderole für 30 Euro, fünf Euro davon gehen an eine LGBTIQ+-Jugendorganisation.

Auch die Supermarktkette Rewe hat übrigens inzwischen einen Wein mit Regenbogen-Etikett im Angebot. Hinter dem Blanc de Noir aus Baden steht die erfolgreiche Trans-Winzerin Simona Maier, die sich seit Jahren in der LGBTQ+-Community engagiert – und als Weinprinzessin gekürt wurde.