Hamburg. Sein Outing musste lange geheim bleiben, dann schob Jens Ehebrecht-Zumsande die Aktion „Out in Church“ mit an. Doch die Angst bleibt.
Die Zahl der Interviews, die Jens Ehebrecht-Zumsande in den vergangenen Tagen gegeben hat, vermag er nur noch zu schätzen. „Rund 60“, sagt der Mitarbeiter des Erzbistums Hamburg. Darunter sind nicht nur deutschsprachige Medien, sondern auch Zeitungen und TV-Stationen aus Spanien, den USA und Polen.
Dazu kommen Hunderte Mails von einzelnen Gläubigen und katholischen Kirchenvorständen, die eine Aktion unterstützen, die Ehebrecht-Zumsande und seinen 124 Mitstreitern im schlimmsten Fall den Job kosten könnte: Sie alle haben sich als queer geoutet – und das als Mitarbeitende der katholischen Kirche.
Mit queer werden nichtheterosexuelle Menschen bezeichnet, also jene, die lesbisch, schwul, bisexuell, inter sowie weitere Geschlechter bzw. Identitäten empfinden (LGBTIQ+). Die Fernsehsendung „Die Story im Ersten – Wie Gott uns schuf“ jedenfalls löste eine enorme Welle des öffentlichen Interesses aus. Sie beschert der von Missbrauchsskandalen erschütterten katholischen Kirche eine weitere Debatte.
Katholische Kirche: "Out in Church" soll Fortschritt bringen
Die Initiative „Out in Church“ fordert nämlich endlich eine Änderung des kirchlichen Arbeitsrechts. Sexuelle Orientierung und geschlechtliche Identität sollen kein Kündigungsgrund mehr sein. Außerdem sollen diffamierende Aussagen zu Geschlechtlichkeit und Sexualität aus der kirchlichen Lehre gestrichen werden.
Der Religionspädagoge Jens Ehebrecht-Zumsande leitet das Grundlagen-Referat „Kirche in Beziehung“ im Erzbistum Hamburg und erlebte in der Vergangenheit häufiger Denunzierungen, nachdem er sich vor rund 20 Jahren in seinem persönlichen Umfeld als schwul geoutet hatte. Auch dass er seit 14 Jahren mit seinem Partner Stefan zusammenlebt, konnte und wollte er nicht verbergen. Doch unter der Leitung des ehemaligen Erzbischofs Werner Thissen, erzählt Ehebrecht-Zumsande, habe es ein „Sprechverbot“ gegeben. „Wir wurden zu einem Doppelleben aufgefordert. Wir durften unsere Identität privat frei, aber nicht öffentlich leben.“
Erzbistum Hamburg: Mit Heße setzte das Umdenken ein
Erst mit Thissens Nachfolger Stefan Heße setzte langsam ein Umdenken in der Bistumsleitung ein. Mit Unterstützung des neuen Erzbischofs gründete Ehebrecht-Zumsande eine Projektgruppe. Und dann kam jener 5. Februar vor einem Jahr, mitten in der Corona-Pandemie. Da entdeckte der schwule Religionspädagoge im Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ die Titelstory. 185 Schauspielerinnen und Schauspieler outeten sich als queer. Sie forderten mehr Anerkennung, Sichtbarkeit und Gleichberechtigung in Film, Fernsehen und Theater.
„Das brauchen wir in der Kirche auch!“, erinnert sich Jens Ehebrecht-Zumsande an seinen ersten Gedanken nach der Lektüre des Beitrags. Mit seinem Netzwerk knüpfte er Kontakte zu Gleichgesinnten. Am Ende waren es insgesamt 125 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der katholischen Kirche, darunter Priester, Gemeinde- und Pastoralreferentinnen, Religionslehrerinnen und -lehrer und Beschäftigte aus der Verwaltung.
Es erwies sich als glückliche Fügung, dass ein Investigationsteam um die Filmemacher und Multimedida-Experten Hajo Seppelt, Katharina Kühn, Marc Rosenthal und Peter Wozny das kollektive Outing dokumentierten. „Die Dreharbeiten, die Interviews, alles war geheim. Die Filmaufnahmen haben wir unter dem Radar organisiert“, sagt der Hamburger Katholik.
Die Angst aber, sie bleibt, auch nach der Ausstrahlung der Sendung. Denn alle Beteiligten wissen: Wenn der zuständige Bischof den Stab über den einen oder die andere brechen würde, können sie ihren Job verlieren. Deshalb machen Äußerungen des Bundesjustizministers Marco Buschmann den Beteiligten Mut. Der FDP-Politiker erklärte, niemand dürfe wegen seiner sexuellen Identität benachteiligt werden.
Hamburger Erzbischof Heße: Respekt für das Outing
Dem müsse „bei allem Respekt vor dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht insbesondere im verkündungsnahen Bereich“ auch die Kirche „als einer der größten Arbeitgeber in Deutschland Rechnung tragen“. Der Gleichbehandlungsartikel im Grundgesetz müsse „um ein ausdrückliches Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Identität“ ergänzt werden.
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Der Hamburger Erzbischof Stefan Heße äußerte bereits nach Ausstrahlung der Fernsehsendung „Respekt“ für das Outing und mahnte Änderungen in der katholischen Sexualmoral an. „Eine Kirche, in der man sich wegen seiner sexuellen Orientierung verstecken muss, kann nach meinem Dafürhalten nicht im Sinne Jesu sein“, erklärte Heße. Er sei „gerne zum Dialog bereit“ und biete den Unterzeichnern aus seinem Bistum ein Gespräch an.
Kommen Reformen in der katholischen Kirche?
Jens Ehebrecht-Zumsande schaut nun mit großem Interesse auf die gegenwärtige Vollversammlung des Synodalen Wegs, die in Frankfurt (Main) über dringend notwendige Reformen in der katholischen Kirche beraten will. „Ich hoffe, dass in den nächsten zwölf Monaten das kirchliche Arbeitsrecht an diesem Punkt geändert ist. Und dass wir in allen Bereichen unserer Kirche zu einer echten Kultur der Vielfalt finden.“