Kemlitz. Ernteauftakt in Deutschland: Das sind die Folgen von anhaltender Dürre und hohen Energiepreisen für die Lebensmittel-Versorgung.
Sanfte Hügel ziehen sich durchs südliche Brandenburg, Windräder am Horizont, die Straßen von Bäumen eingefasst, die Sonne knallt vom Himmel, Vögel zwitschern. Das Getreide auf den Äckern hat sich blass goldgelb gefärbt. Bauernpräsident Joachim Rukwied und Landwirt Heiko Terno prosten sich am Rande eines Feldes mit Bier zu. Das ist Tradition zum Ernteauftakt. Jetzt beginnt für viele Landwirte im Land die heiße Phase des Jahres.
Doch zum Feiern ist beiden an diesem Freitag nicht zumute. Für Terno ist es die 32. Ernte seines Berufslebens. Hier auf Gut Kemlitz am Rande des Spreewalds hat er noch nie so früh im Jahr die Wintergerste eingeholt. Noternte. Seit Wochen hat es nicht mehr richtig geregnet. Ab März blieben die nötigen Niederschläge aus. „Das tut weh, wenn man an den Feldern vorbeifährt und nichts machen kann“, sagt er.
Die Folgen des erneuten Dürrejahres spüren die Landwirte in fast allen Regionen: Der Deutsche Bauernverband erwartet, dass die Getreideernte in diesem Jahr erneut schlechter ausfallen wird als im Jahr 2021 – als die Erträge bereits unterdurchschnittlich waren.
41,2 Millionen Tonnen dürfte die Getreideernte in diesem Jahr betragen. Das wäre eine Million Tonnen weniger als im Vorjahr. Der Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre liegt bei 44,2 Millionen Tonnen. Auch interessant: Kampf gegen Dürre: Dieses Hydrogel soll Wasser speichern
Rukwied zerreibt auf dem Acker eine Ähre zwischen seinen Händen. „Das Gerstenkorn sollte bauchig sein“, sagt der Bauernpräsident mit eigenem Hof in Baden-Württemberg. „Das ist es aber nicht.“ Die Bauern bekämen den Klimawandel immer stärker zu spüren. Wetterlagen setzten sich länger fest, dann sei es wochenlang zu heiß oder zu nass.
Dürre: Diese Auswirkungen hat die Trockenheit in Deutschland auf die Ernte
„In Summe ist es in vielen Teilen Deutschlands zu trocken“, sagt Rukwied. Nur noch auf wirklich guten Böden habe sich das Korn gut entwickelt, pflichtet Landwirt Terno bei. Der durchschnittliche Ertrag bei der nun beginnenden Getreideernte sinke von sieben auf 6,8 Tonnen je Hektar. Der größte Rückgang wird beim Weizen erwartet.
Das sind schlechte Vorzeichen in einem Jahr, in dem die weltweite Getreideversorgung wegen des Kriegs in der Ukraine dramatisch ins Wanken geraten ist. Dort können die Landwirte ihre Ernte wegen der Kampfhandlungen kaum ins Ausland bringen – oder Russland transportiert es als Kriegsbeute ab. Mehr zum Thema: Ukraine-Krieg: Wie Spekulanten Getreidepreise hochtreiben
Die gute Nachricht für Verbraucherinnen und Verbraucher: „Bei uns ist die Versorgung bis ins kommende Frühjahr gesichert“, sagt Rukwied. Doch es wird teurer. Erst für die Bauern, dann bei vielen Produkten auch für die Verbraucher.
Die Energiepreise waren schon vor dem Ukraine-Krieg mit der weltweiten wirtschaftlichen Erholung nach dem Corona-Tief stark gestiegen, nun lässt Russlands Feldzug die Preise weiter in die Höhe klettern. Futtermittel und Diesel kosten inzwischen doppelt so viel wie vor einem Jahr, Dünger das Vierfache.
Bei Getreide, Raps und Milch können die Bauern die Preissteigerungen zum Teil weitergeben. „Die Preise können gar nicht so schnell steigen wie unser Aufwand“, schränkt Terno ein. Doch deutlich schlimmer ist die Lage in der Schweinehaltung, seit Jahren eine Dauerkrise. Hier geben fast täglich Bauern in Deutschland auf. Weiterlesen: Schweinefleisch: Neues Kennzeichen für Tierhaltung im Stall
Ausbleibendes Gas würde die Düngerproduktion gefährden
Eine weitere Folge der Inflation: Erstmals ist 2022 die ökologisch bewirtschaftete Fläche nicht gestiegen. Sie stagniert bei 10,8 Prozent der Agrarnutzfläche, 1,78 Millionen Hektar. Viele Menschen müssen mehr auf den Preis achten. Das hat den jahrelangen Boom bei teureren Bioprodukten gestoppt.
Dann gerät der Bauernpräsident in Rage, als er am Rande des Feldes über neue Vorgaben der EU-Kommission etwa zur starken Reduzierung der Pflanzenschutzmittel spricht. „Wir wollen reduzieren, wir werden reduzieren“, sagt er. Niemand wolle angesichts des Klimawandels zurück zur alten Landwirtschaft. Aber das mittelfristige Ziel von 50 Prozent weniger Pflanzenschutzmittel sei angesichts der weltweiten Nahrungsmittelknappheit „nicht nachvollziehbar.“
Dadurch sinke der Ertrag der Felder. „Ich habe den Eindruck, dass die EU-Kommission in ihren Glaspalästen den Schuss nicht gehört hat“, sagt Rukwied. Und da nach der Ernte auch schon bald die Aussaat für das nächste Jahr beginnt, fordert er schnelle Entscheidungen zur Fruchtfolge ein: Darf 2023 noch einmal auf einem Weizenacker Weizen angebaut werden, was die EU-Agrarpolitik zur Schonung der Böden eigentlich nicht mehr erlaubt? „Wir Bauern brauchen Planungssicherheit“, betont er.
Zudem drängen die Landwirte darauf, im Notfallplan für die Gasversorgung der Bundesregierung einen besonderen Stellenwert zu bekommen. Ohne Gas kein Stickstoffdünger. Die Folge, so Rukwied: „Dann gehen die Erträge um 30 bis 40 Prozent zurück.“
Rukwied sieht dringenden Handlungsbedarf. Die Vollversorgung Deutschlands mit landwirtschaftlichen Produkten sei in Gefahr. „Wenn die Politik da nicht sofort handelt, werden wir zum Nettoimportland“, sagt er. Und wenn das reiche Deutschland auf Importe angewiesen wäre, „würden wir den Ärmsten ihr Essen wegkaufen“, warnt der Präsident des Deutschen Bauernverbands. Mehr zum Thema: Ukraine-Konflikt: Kommt jetzt eine große Hungersnot?
Immerhin: Für die Winzer, zu denen auch Bauernpräsident Rukwied gehört, dürfte es wieder ein gutes Jahr werden. „Wir werden eine gute, qualitativ grandiose Ernte haben“, sagt er. Den deutschen Weinlagen bekommt die pralle Sonne.