Hamburg. Ende 2023 sollen 240 Elektrotransporter im ganzen Stadtgebiet im Einsatz sein. Was nun die Konkurrenten planen.

Der Anteil der ausschließlich von einem Elektromotor angetriebenen Autos wächst derzeit zwar deutlich schneller als zuvor – ist aber weiter ziemlich niedrig. So waren Anfang April von den gut 810.000 in Hamburg zugelassenen Pkw laut Kraftfahrtbundesamt gerade einmal 14.322 reine Stromer, gut 1,75 Prozent. Drei Monate zuvor hatte der Anteil bei 1,6 Prozent gelegen. Die Energiewende bei Privatfahrzeugen steckt weiter in sehr kleinen Kinderschuhen. Das gilt auch für die Transportbranche. Doch nun prescht ein bekanntes Hamburger Unternehmen vor und setzt sich ein ehrgeiziges Ziel: „Wir werden bis Ende 2023 die Paketzustellung in ganz Hamburg auf Elektromobilität umstellen“, sagte Olaf Schabirosky dem Abendblatt. Der Chef des Paketdienstes Hermes wird das an diesem Freitag im Logistikzentrum in Hamburg-Billbrook auch vor prominenten Gästen sagen. Das Unternehmen feiert dort sein 50-jähriges Bestehen.

Fünf Jahre nachdem das 1972 von Versandhaus-Gründer Werner Otto unter dem Namen Hermes-Paket-Schnell-Dienst ins Leben gerufene Unternehmen erstmals einen E-Transporter auf Hamburgs Straßen schickte und ankündigte, bis 2025 die Innenstädte der 80 größten deutschen Städte mit E-Fahrzeugen zu beliefern, ist dies ein gewaltiger Schritt. Die Zahl der Transporter, die für Hermes in der Hamburger Innenstadt und in östlichen Stadtteilen unterwegs sind, soll sich von heute knapp 50 binnen eineinhalb Jahren auf 240 annähernd verfünffachen.

Paketdienste Hamburg: Hermes setzt ab 2023 auf Elektromobilität

„Hamburg ist unser Heimathafen, da haben wir einen besonders hohen Anspruch“, sagt Schabirosky über das Projekt namens Green Delivery Hamburg. Die Stadt wird die erste deutsche Großstadt sein, die von Hermes komplett elek­trisch, mit Ökostrom angetrieben beliefert wird. Es sind um die zwölf Millionen Sendungen pro Jahr. Und zugleich ist es auch eine Ansage an die Mitbewerber. „Wir werden zugleich der erste Paketdienst sein, der in einer deutschen Großstadt ausschließlich Elektromobilität auf der letzten Meile einsetzt“, sagt Schabirosky.

Derzeit hat in der Metropolregion noch DHL die Nase vorn. „In der Niederlassung Hamburg werden die Sendungen in fast 70 Prozent aller Bezirke CO2-neutral zugestellt. Von der Flotte in der Zustellung sind 396 von 595 Fahrzeugen elektrobetrieben – über 65 Prozent“, teilt der Marktführer mit. Unlängst sei der 20.000. Streetscooter in Deutschland in Betrieb genommen worden. Bei DPD, der Nummer drei unter den Diensten hierzulande, ist von 18 E-Fahrzeugen die Rede, die vornehmlich zwischen Alster und HafenCity eingesetzt würden, darunter ein 7,5-Tonner zur Belieferung von Warenhäusern. „Wir arbeiten bereits an der Vergabe von weiteren Touren mittels E-Crafter“, sagt Gerd Seber, der bei DPD Deutschland den Titel Group Manager City Logistics and Sustainability trägt.

Auch DHL will komplett auf Elektromobilität umstellen

Feste Terminziele für eine nur noch elektrisch betriebene Zustellung in Hamburg oder einer anderen großen Stadt haben die beiden Hermes-Konkurrenten nicht. DHL verweist darauf, man investiere gemeinsam mit der Post dieses Jahr bundesweit 300 Millionen Euro in Elektromobilität. DPD-Manager Seber sagt, die Zustellung in Hamburg solle „schnellstmöglich emissionsfrei“ werden, bundesweit strebe man 80 Prozent bis 2030 an. Aber Seber sagt auch: „Auch wir spüren die Lieferengpässe der Automobilindustrie und können daher aktuell keine Fahrzeuge bestellen.“

Nach Erkenntnissen des Hamburger Professors Asvin Goel könnten die derzeit schon vorhandenen E-Transporter allerdings effektiver eingesetzt und mehr Pakete elektrogetrieben ausgeliefert werden. Und: „In Teilen der Branche gibt es weiterhin Vorbehalte gegen den Einsatz von Elektromobilität.“ Der Professor für Logistik und Supply Chain (Lieferketten) Management an der englischsprachigen Kühne Logistics University (KLU) in der HafenCity, und sein Team untersuchten in einem Forschungsprojekt über die KEP (Kurier, Express, Paket)-Branche, wie E-Transporter trotz hoher Investitionskosten für neue Fahrzeuge und begrenzter Reichweite effizient eingesetzt werden können. „Eine Reichweite von 100 bis 150 Kilometern kann ein Problem sein, wenn das Depot, von dem aus das Fahrzeug startet, in der Mitte zwischen zwei großen Städten liegt.“

Pressefoto Prof. Dr. Asvin Goel KLU/Christin Schwarzer
Pressefoto Prof. Dr. Asvin Goel KLU/Christin Schwarzer © KLU/Christin Schwarzer | Christin Schwarzer

Eine andere Erkenntnis aus dem Projekt: Längst nicht alle Dienste setzen bei der Tourenplanung Algorithmen ein, die ermitteln, von welchem Wagen auf welcher Tour ein Paket am effektivsten zugestellt wird. „Es kann passieren, dass zwei Fahrzeuge zwei nur wenige Meter voneinander entfernte Adressen ansteuern, weil die Empfänger unterschiedlichen Touren zugeordnet sind“, sagt Goel. Bei Nutzung von Algorithmen können häufig „zehn bis 20 Prozent“ der Zustellkosten eingespart werden, so Goel. Was umgekehrt bedeutet: Bei gleichen Auftragsvolumen werden zehn bis 20 Prozent weniger Fahrzeuge benötigt. Das wohl erstaunlichste Ergebnis der Studie aber lautet: Die Zustellung kann sogar noch effektiver gestaltet werden, wenn die Batterie auf bestimmten Touren zwischendurch 45 Minuten aufgeladen wird und der Zusteller derweil Pause macht. Dann nämlich könnten längere Touren geplant werden und am Morgen mehr Pakete in den Transporter eingeladen werden. „Statt zehn würden dann sieben Fahrzeuge ausreichen“, sagt Goel. Vorausgesetzt, es steht unterwegs eine freie Ladesäule bereit.

Hermes setzt seit jeher und auch bei Green Delivery Hamburg auf eigene Ladepunkte. Im 2019 eingeweihten Logistikzentrum am Billbrookdeich, wo die Touren zu den Paketshops starten, stehen inzwischen fast 50 davon. In den nächsten Monaten entsteht eine neue Zustellbasis an der Billstraße mit 120 Ladesäulen. Dort beginnen die Touren zu den Endempfängern. Und auch die drei schon bestehenden Zustellbasen in Harburg, Halstenbek und Kisdorf sollen nun zügig mit Ladepunkten ausgestattet werden. Schabirosky beziffert die Anfangsinvestitionen auf „eine deutliche Millionensumme“, konkreter möchte er nicht werden.

Wobei die Anschaffung der Mehrzahl der neuen E-Transporter und die Aufrüstung der drei Zustellbasen in Stadtrandnähe nicht von Hermes finanziert wird. Die Flotten und die Basen gehören Zustellfirmen, die für das Unternehmen tätig sind. Schabirosky nennt sie Servicepartner, der landläufige Begriff ist Subunternehmen. Wie aber können die zu hohen Investitionen in E-Mobilität bewegt werden? „Wir unterstützen die Servicepartner“, sagt Schabirosky. Hermes koordiniere Fahrzeugkauf und Aufbau der Ladeinfrastruktur und könne bei Großbestellungen günstigere Konditionen erzielen, ebenso wie bei Lieferverträgen für den Grünstrom aus erneuerbaren Quellen. Zudem wurden Kooperationsverträge mit den Subunternehmen verlängert – damit sie langfristige Investitionssicherheit haben.

Und warum das alles? „Es ist ein Beitrag zu einer höheren Nachhaltigkeit, in Hamburg werden pro Jahr 1400 Tonnen CO2 pro Jahr eingespart“, sagt Schabirosky. Es ist nicht der einzige Grund. Für Paketversender und -empfänger spielen Klimafragen eine zunehmend größere Rolle. „Der Ruf nach emissionsfreier Zustellung wird lauter, wir sind auch deshalb gezwungen, tätig zu werden.“ Und dann sind da noch mittel- bis langfristig drohende Fahrverbote für Fahrzeuge mit Verbrennermotoren in Innenstädten. „Wir gehen davon aus, dass es dazu kommen könnte und stellen uns frühzeitig darauf ein.“

In Hamburg, sagt Schabirosky, gelte das Versprechen der nur noch elektrisch angetriebenen Zustellung das ganze Jahr über – auch in den Wochen vor Weihnachten, wenn die Zahl der ausgelieferten Pakete drastisch wächst. „Die geplanten 240 E-Fahrzeuge können auch die absolute Hochsaison bewältigen“, sagt er. Wenn es wie jetzt im Sommer ruhiger zugeht, werden die Touren neu zugeschnitten. Dann wird auch weiter außerhalb der Stadt emissionsfrei geliefert.

Neben der totalen Elektro-Offensive in Hamburg läuft die Elektrifizierung in den 79 anderen deutschen Innenstädten auf der Hermes-Liste weiter. In den Zentren von sieben dieser Städte sei das Versprechen bereits umgesetzt. Bis Ende 2023 soll das in weiteren 28 Städten passieren, so der Plan. Das Versprechen: Emissionsfreie Zustellung in 80 deutschen Innenstädten bis 2025 steht weiterhin. „Das ist ambitioniert, aber machbar. Ich bin überzeugt, dass wir diesen Termin halten können“, sagt Schabirosky.

Und trotzdem wäre dann noch nicht einmal die Hälfte des Pakettransports bei Hermes emissionsfrei. Denn auf der letzten Meile, der Zustellung zum Empfänger auch auf dem platten Land, entsteht nur etwa die Hälfte der klimaschädlichen Gase, die das Unternehmen verursacht. Die andere Hälfte wird auf den Hunderte Kilometer langen Fahrten von 40-Tonner-Lkw zwischen den großen Paketzentren ausgestoßen. „Die zur Verfügung stehenden Lkw“, sagt Olaf Schabirosky, „verfügen noch nicht über die notwendige Reichweite.“