Hamburg. Start-up Nüwiel erhält Großauftrag und will die Produktion rasch hochfahren. Auch einige Hamburger können die Anhänger mieten.

Seit fast drei Jahren ist das Fahrrad mit dem braunen Anhänger und dem goldenen UPS-Schriftzug in der Hamburger Innenstadt ein bekanntes Bild. Der Logistikkonzern liefert rund um die Handelskammer Pakete aus dem Trailer mit Elektroantrieb aus, der vom Hamburger Start-up Nüwiel entwickelt wurde. Und jetzt sind die Anhänger sogar im Ausland gefragt. „Wir haben eine Ausschreibung der belgischen Post gewonnen“, sagt Natalia Tomiyama, die das junge Unternehmen zusammen mit Fahad Khan gründete und leitet. „Das ist für uns ein großer Meilenstein.“

Im November seien die Verträge unterschrieben worden, mit denen man zum offiziellen Lieferanten von Bpost wurde. Das genaue Auftragsvolumen beziffert Tomiyama nicht, aber sie gibt eine ungefähre Größenordnung an: „Es werden mehrere Hundert Anhänger sein.“ Die ersten dreirädrigen Lastenesel seien bereits im Nachbarland und würden in Brüssel und anderen Städten eingesetzt.

Nüwiel-Anhänger in Hamburg schon bei Ikea im Einsatz

Die belgische Post will mit den Hamburger Anhängern offenbar ein Problem lösen, das im Prinzip alle Logistiker in Städten bei zudem noch wachsenden Paketmengen haben: die Zustellung auf der letzten Meile. Denn werden die großen Autos für die Auslieferung der Sendungen am Straßenrand abgestellt, behindern sie in den häufig engen Innenstädten die Durchfahrt für andere Fahrzeuge. Cargobikes oder Anhänger fürs Fahrrad können da eine umweltschonende Lösung sein, um weniger Staus auszulösen. „Wir haben mehrere Projekte mit Logistikunternehmen“, sagt Tomiyama. Mit dem Partner UPS, der den Anhänger auch in vier anderen deutschen Städten einsetzt, habe es positive Tests in England und Irland gegeben. Andere Namen wolle sie derzeit nicht nennen.

Bekannt in der Hansestadt ist der Einsatz der Nüwiel-Anhänger bei Ikea. „Nü“ steht übrigens für das Plattdeutsche „neu“ und „wiel“ für das niederländische Rad. Wer in der Cityfiliale des Möbelkonzerns in Altona einkauft, kann seine Waren mit dem Hamburger Anhänger per Rad nach Hause kutschieren. Drei Exemplare stehen bereit. Mittlerweile setzt Ikea an zehn deutschen Standorten auf die Velo-Trailer. Auch Bewohner der Neuen Mitte Altona können sich den Anhänger gegen Gebühr stundenweise ausleihen. Dank einer einfachen Kugelkupplung kann er an nahezu jeder Sattelstange relativ schnell montiert werden.

2021 starteten Pilotprojekte mit Media-Markt und Saturn

2021 seien zudem Pilotprojekte mit Media-Markt und Saturn gestartet. In Köln und Berlin könnten sich zum einen Kunden das dreirädrige Gefährt ausleihen, um Fernseher oder Waschmaschine nach Hause zu radeln. Zum anderen lieferten Mitarbeiter der Elektrokette selbst die Bestellungen damit aus. Zudem habe man mehrere Kooperationen mit Kommunen, sagt Tomiyama.

„Es gibt viele Städte, die eigene Anwendungen für unsere Anhänger gefunden haben.“ So werde der Anhänger in Dublin für die Pflege von Parks eingesetzt. Benötigte Gartengeräte und Materialien werden einfach auf die Ladefläche gepackt. In Groningen dient er Handwerkern, um ihr Werkzeug zu transportieren. In anderen Städten sei der Einsatz zum Einsammeln von Müll geplant.

Nüwiel-Team baute vor sechs Jahren Prototypen

Vor sechs Jahren baute das Nüwiel-Team den ersten Prototypen. Damals noch im Start-up-Dock in Harburg. Anfangs wurden vor allem Fahrradteile eingesetzt. Für den Antrieb sorgte ein Elek­tromotor für Flugzeuge – was wohl auch daran lag, dass Co-Gründer Khan früher bei Airbus als Design- und Entwicklungsingenieur arbeitete. Mittlerweile wurde der Anhänger aber mehrfach überarbeitet – nicht zuletzt wegen des Großauftrags aus Belgien. „In Belgien gibt es sehr viel Kopfsteinpflaster, die Postboten fahren auch schneller – daher ist die Stabilität des Anhängers sehr wichtig“, sagt Tomiyama. Ab 25 Kilometern pro Stunde wird der Motor allerdings abgeriegelt.

Der Anhänger wurde tiefer gelegt, um einen niedrigeren Schwerpunkt zu erhalten. Die tiefere Ladekante erleichtert zudem den Zustellern die Arbeit, sie müssen die Pakete nicht so hoch hieven. Statt Fahrradzubehör werden nun Teile aus dem Mofa- oder Autobereich verwendet. Das ist robuster. Denn im Alltag warten harte Bewährungsproben wie hohe Kantsteine, die mit bis zu 150 Kilogramm Zuladung ohne Schaden bewältigt werden müssen. „Wir haben jetzt nur noch ein Fahrradteil – das ist die Klingel“, sagt Tomiyama und lacht.

Hamburger Unternehmen schweißt jetzt die Rahmen

Auch das Herzstück des Anhängers wurde optimiert. „Wir haben unseren patentierten Sensor robuster, besser und schneller gemacht“, sagt Tomiyama. Dieser Sensor sorgt dafür, dass der Anhänger quasi intelligent wird. Der Sensor registriert Schwingungen und überträgt entsprechende Signale zur Steuerungseinheit, und zwar rund 1000 Impulse pro Sekunde. So erhält der Motor, der mittlerweile aus der Mofaindustrie kommt, den richtigen Befehl, gibt also je nach Fahrsituation Schub oder bremst.

Auch das Bremssystem wurde verbessert. Statt doppelt ist es nun dreifach gesichert. Neu ist ein elektronisches Bremssystem, das ganz sicher sein soll. „Man drückt einen Knopf, dann parkt der Anhänger – auch an Steigungen“, sagt Tomiyama. Zudem ist es regenerativ, also wird beim Bremsen Strom zurückgewonnen, der den Akku wieder auflädt. Auf dem herkömmlichen Weg werden nun statt Trommel- hochwertigere Scheibenbremsen verwendet.

Der Rahmen besteht jetzt aus weniger Teilen und ist statt aus Aluminium aus Stahl. Das Eigengewicht des Anhängers erhöhte sich zwar von 40 auf 60 Kilogramm. Dadurch wird er allerdings stabiler – und regionaler. Ein Hamburger Unternehmen schweiße jetzt die Rahmen, sagt Tomiyama. Stammten früher 70 Prozent der Teile aus Asien, sind es nun nur noch 30. Darunter allerdings mit Reifen, Motor und dem rund fünf Stunden reichenden Akku zentrale Elemente. Der Rest kommt aus Europa. Das hänge mit der Corona-Krise zusammen, sagt Tomiyama. „Wir mussten 2020 ganz schnell reagieren.“ Die Kosten für Lager und Transport klettern enorm, deshalb habe man die Lieferkette geändert.

Nüwiel: Spätestens 2024 will man die Gewinnzone erreichen

Das Jahr 2021 sei „hektisch, aber gut“ gewesen. Man profitiere davon, dass Nachhaltigkeit jetzt bei jedem Unternehmen angekommen sei. Harte Wirtschaftszahlen nennt die Nüwiel-Chefin aber nicht. Nur so viel: „Seit Produktionsstart 2018 haben wir unseren Umsatz jedes Jahr verdoppelt. Und das erwarten wir auch für 2022.“ Schwarze Zahlen schreibe man keine, weil man immer wieder in die Entwicklung investiere. Spätestens 2024 wolle man in der Gewinnzone sein. Allerdings hänge dies auch von Transport- und Materialkosten ab.

Von den Zulieferern bekomme man nun mehr vorgefertigte Komponenten. Das macht die Endmontage leichter, die seit Kurzem am Holsteinischen Kamp erfolgt. Im Gewerbehof Built in Barmbek bezog das Start-up im September peu a peu 1300 Quadratmeter, weil mehr Platz benötigt wurde. Denn die Produktion muss wegen des Bpost-Großauftrags zulegen. Schließlich ist nach vier Jahren erst eine niedrige dreistellige Zahl an Anhängern im Umlauf.

Nüwiel plant Finanzierungsrunde über mehrere Millionen Euro

Beim Produktionshochlauf hilft eine Förderung über zwei Millionen Euro, die Nüwiel 2020 von der Europäischen Kommission erhielt. Aber auch weiteres Geld ist gefragt. „Wir planen dieses Jahr eine Finanzierungsrunde über mehrere Millionen Euro, um unser Wachstum zu unterstützen“, sagt Tomiyama, die wie Khan Firmenanteile hält und seit 2020 mit dem Esslinger Autozulieferer Eberspächer einen bekannten Gesellschafter mit Milliardenumsatz hat.

Zudem wird weiteres Personal gebraucht. 32 Mitarbeiter zählt man derzeit, bis Jahresende sollen es 40 bis 50 sein. Gesucht werden Kfz-Mechatroniker, Kaufleute und Ingenieure. Ausschlaggebend für den Wegzug vom Brandshofer Deich, wo man zuletzt war, sei übrigens auch gewesen, dass man als Arbeitgeber attraktiver werden und näher an die City wollte, so Tomiyama. „Wir möchten unseren Mitarbeitern die Möglichkeit geben, mit dem ÖPNV zur Arbeit zu kommen – oder dem Fahrrad.“