Hamburg. Erste Gastronomen nehmen keine Münzen und Scheine mehr an. Das soll effizienter sein. Was die Banken damit zu tun haben.
Salate und Bowls, Suppen oder Panini: Wer regelmäßig in der Hamburger Innenstadt zu Mittag isst, kennt die Salatbar Green Lovers. Manchmal stehen schon vor 12 Uhr die ersten vor dem Lokal unweit des Rathauses in der Schlange. Jetzt müssen die Kunden sich auf eine Neuerung einstellen. „Nur noch Kartenzahlung“ steht auf großen Schildern in dem Laden. Schon vom 1. Juli an kann man den Pausensnack nicht mehr mit Münzen und Scheinen begleichen.
So mancher wird da erst mal stutzen, normalerweise ist es umgekehrt. „Die bargeldlose Zahlung geht schnell und ist effizienter“, sagt Inhaber Stephan Meinecke. Seit Beginn der Corona-Pandemie hätten sich viele daran gewöhnt, eine Karte oder das Smartphone zu nutzen. „Bei uns laufen schon jetzt 75 Prozent der Zahlungen darüber. Da ist der Schritt zu 100 Prozent nicht mehr weit“, so der Gastronom, der einen weiteren Standort in der HafenCity betreibt. Trotzdem ist er vor dem Start der bargeldlosen Ära in seinem Unternehmen leicht angespannt. Noch ist nicht klar, wie seine hungrigen Mittagsgäste reagieren.
Gastronomie: Hamburger zahlen häufiger mit Karte
Nur Bares ist Wahres – in Deutschland schien dieser Grundsatz jahrzehntelang unverrückbar. Anders als in anderen europäischen Ländern, allen voran in Skandinavien, zückten die meisten hierzulande lange am liebsten das Portemonnaie und bezahlten bar. Vor allem beim Brötchen-Kauf am Morgen oder anderen Kleinstbeträgen war Kartenzahlung geradezu verpönt – und oft auch gar nicht möglich.
Covid-19 hat das Bezahlverhalten umgekrempelt. Was aus hygienischen Gründen begann, ist inzwischen fast überall Standard. Immer mehr Restaurants, Dienstleister und Einzelhändler bieten digitale Bezahlmöglichkeiten – bitten teilweise sogar explizit darum. Laut eines Trendbarometers der Hamburger Sparkasse zahlt jeder vierte Hamburger häufiger mit Karte als vor der Pandemie. 14 Prozent der Befragten nutzen demnach weniger Bargeld.
Kartenzahlung spart Zeit für Gastronomie
„Es ist eine modernere Zahlungsart“, sagt Gastronom Meinecke zu der Entscheidung seine Geschäfte künftig ganz ohne Bargeld zu abzuwickeln. „Bisher muss jeden Abend das Geld in den Kassen gezählt, abgerechnet und bei der Bank eingezahlt werden. Morgens muss jemand Wechselgeld holen“, so der 45-Jährige, der sein erstes Green-Lovers-Lokal vor zehn Jahren eröffnet hat. Beim bargeldlosen Zahlen fielen viele Arbeitsschritte weg. In seinem Unternehmen erhofft er sich eine deutliche Zeitersparnis und Entlastung für das Personal.
Auch für die Kunden sei es einfacher, weil sie nicht nach dem passenden Betrag kramen müssten. „In den meisten Fällen ist beim kontaktlosen Zahlen auch die Eingabe eines Codes nicht mehr nötig.“ Ein weiterer Vorteil: Der gesamte Vorgang ist transparent – und nachvollziehbar. Es gibt weniger Falschbuchungen und Kassenfehlbestände.
Auch bei Bäckerei Bahde nur noch Kartenzahlung
Noch sind es in Hamburg nur eine Handvoll Betriebe, die ausschließlich auf Kartenzahlung setzen. Darunter vor allem Gastronomen, aber auch die Bio-Bäckerei Bahde hat Anfang 2022 im Laden an der Backstube in Seevetal umgestellt. Pionier war die Kaffeerösterei Public Coffee Roasters, die schon 2017 Münzen und Scheine verbannt hat. „Es läuft erfolgreich“, sagt Geschäftsführer Argin Keshishian. Inzwischen betreiben sie neben der Rösterei drei Cafés und das Unilever-Betriebsrestaurant. „Unsere Mitarbeiter schließen die Tageskasse per Knopfdruck ab.
Für uns ist das eine große Erleichterung“, so der Unternehmer. Allein die Ersparnis beim Steuerberater beziffert er auf 400 Euro im Monat. Auch Sorgen der Mitarbeiter, das Trinkgeld könne sinken, hätten sich nicht erfüllt. Ähnlich positiv ist auch das Fazit bei Stadtsalat mit bundesweit vier Filialen und umfangreichen Liefergeschäft, die Mitte 2019 auf Kartenzahlung umgestellt hatten. „Bargeld ist teuer“, sagt Geschäftsführer Marcus Berg. Nach seinen Berechnungen liegen die Kosten bei 3,8 bis vier Prozent des Umsatzes.
Banken erheben Gebühren für Bargeld
Das liegt auch daran, dass die Geldinstitute für das Ein- und Auszahlen von Bargeld inzwischen Gebühren berechnen. Bei der Hamburger Sparkasse etwa sind für Firmenkunden nur noch bis zu fünf Münzrollen sowie bis zu fünf sogenannte Safebags pro Monat umsonst. Alles was darüber hinausgeht, kostet: je Münzrolle 20 Cent, je Safebag 3,50 Euro. Die Sparkasse begründet das damit, dass das Geschäft mit Münzgeld besonders arbeits- und kostenintensiv ist. Geldinstitute müssten aufgrund einer EU-Richtlinie eine zusätzliche Prüfung jeder einzelnen Münze auf Echtheit vornehmen. „Diese Verschärfung hat dazu beigetragen, dass viele Institute ihren Kunden diesen Münzgeld-Service gar nicht mehr oder nur noch eingeschränkt anbieten“, heißt es.
Auch die bargeldlose Bezahlung ist nicht umsonst. Gerade für kleine Betriebe war das lange ein Grund, diese Zahlungsarten nicht zu akzeptieren. Nach Abendblatt-Informationen liegen die Kosten abhängig von Anbieter und Kontrakt bei fünf bis zwölf Cent pro Transaktion. Dazu können bis zu 0,2 Prozent auf die Umsätze des Betriebs kommen.
Nur noch Kartenzahlung: Kaum Kritik von Kunden
Trotzdem sagt auch Christian Kuper, Co-Geschäftsführer der veganen Burgerkette Vincent Vegan: „Die Vorteile überwiegen für uns.“ Das Unternehmen mit fünf Filialen in Hamburg und Berlin hatte im ersten Corona-Jahr 2020 komplett aufs Bezahlen ohne Bargeld umgestellt. Anders als befürchtet habe es kaum Kritik von Kunden gegeben. Für die meisten Menschen seien digitale Zahlungsoptionen die Normalität. „Wir sind die ersten, immer mehr Unternehmen werden folgen“, glaubt Kuper. Inzwischen ist Vincent Vegan noch einen Schritt weiter und hat am Standort im Hauptbahnhof ähnlich wie die großen Fastfood-Ketten McDonalds oder Burger King einen Terminal aufgestellt, an dem die Kunden ihre Bestellung selbst eingeben. Das Modell soll ausgebaut werden.
Auch im Einzelhandel wird deutlich häufiger mit Karte gezahlt. Nach einer Studie des EHI Instituts werden inzwischen knapp 60 Prozent des Umsatzes im stationären Geschäft bargeldlos abgewickelt. Zumeist werden noch beide Optionen angeboten. Die Bio-Bäckerei Bahde ist mit der vollständigen Umstellung auf Kartenzahlung Vorreiter in der Branche im Norden – aus hygienischen und aus organisatorischen Gründen. „Die Resonanz ist positiv“, so eine Unternehmenssprecherin nach einem halben Jahr. Nur eine Notkasse gibt jetzt noch im Laden.
Bargeld wird seltener in Deutschland
Stirbt das Bargeld in Deutschland aus? „Aussterben wird es wohl nicht, aber es wird in naher Zukunft auf jeden Fall immer seltener werden“, sagt Professor Ulrich Reinhardt, wissenschaftlicher Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen. Er sieht in der Bevölkerung bereits eine Mehrheit der unter 60-Jährigen für die bargeldlose Zahlung. Je jünger die Menschen seien, desto mehr werde inzwischen die Zahlung mit dem Smartphone gegenüber der Karte favorisiert. „Aber es dauert noch, bis das Bargeld gänzlich aus dem Bezahlverkehr verschwunden ist“, prognostiziert Reinhardt. Das Vertrauen sicher mit Karte oder kontaktlos zahlen zu können, müsse sich vor allem bei Älteren erst aufbauen.
Aber in Supermärkten, Drogerien und auch in Mode- und Möbelgeschäften stehen die Kunden immer häufiger an Selbstbedienungskassen oder vor der Nutzung von mobilen Bezahl-Apps. Man rechne damit, heißt es etwa bei der Haspa, dass die Bargeld-Nachfrage durch Corona am Ende an den Geldautomaten um zehn Prozent und an den Kassen um 20 Prozent zurückgegangen sein wird. Allerdings sollten Kunden dabei genau hingucken, denn je nach Kontomodell können für die Zahlung mit der Girocard zusätzliche Gebühren fällig werden. Bei der Haspa etwa gilt zwar für Joker-Kunden eine Flatrate. Wer der Einzelpostenabrechnung unterliegt, muss auch bei einer EC-Karten-Buchung 50 Cent pro Vorgang bezahlen.
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Inzwischen schlagen bei dem Thema die Verbraucherzentralen Alarm. „Bargeld sichert Kontrolle, Freiheit, Datenschutz und Wettbewerb. Das alles sind wichtige Grundlagen für unsere soziale Marktwirtschaft“, sagt Dorothea Mohn vom Verbraucherzentrale Bundesverbands. Sie verweist auf eine aktuelle Umfrage des Verbandes, nach der 75 Prozent der Deutschen wählen möchten, ob sie mit Bargeld oder bargeldlos bezahlen wollen. Mohn fordert deshalb: „Die Bundesregierung muss das Bargeld zukunftsfest machen.“
Ob sich das Ende von Münzen und Scheinen bei der Salatbar Green Lovers durchsetzt, muss sich zeigen. „Die Zeit ist reif“, sagt Inhaber Stephan Meinecke. Bislang hätten die Kunden auf die Ankündigung für das Ende des Bargelds in seinen Filialen nicht negativ reagiert. „Und wenn einige deshalb wegbleiben, ist es betrüblich. Aber mein Entschluss steht fest.“