Hamburg. Die Inflation macht viele Produkte im Rekordtempo teurer: Zahlreiche Supermärkte reagieren mit ungewöhnlichen Maßnahmen.

Auch wer beim Einkaufen in Hamburg nicht auf jeden Cent achten muss, hat in den vergangenen Wochen so manchen Preisschock beim Blick auf den Kassenzettel erlebt. Die Preise für Brot, Milch, Fleisch & Co. steigen im Rekordtempo – vor allem bei Familien ist das Haushaltsbudget für Lebensmittel oftmals vorzeitig erreicht oder überschritten. Für Mai hat das Statistische Bundesamt eine Inflationsrate von 7,9 Prozent bestätigt und damit zum dritten Mal in Folge einen Höchststand seit 1990.

Neben dem Preisanstieg bei Energie schlagen bei privaten Haushalten vor allem die höheren Kosten für Nahrungsmittel zu Buche, die mit 11,1 Prozent jetzt im zweistelligen Bereich liegen. Die Folge: Anders als in der Hochphase der Corona-Pandemie, als viel zu Hause gekocht und gespeist wurde, achten die Verbraucher inzwischen spürbar auf das Preis-Leistungs-Verhältnis, kaufen günstiger und weniger.

Inflation: Händler in Hamburg reagieren mit ungewöhnlichen Maßnahmen

Der Kampf um die Kunden ist neu entbrannt, und die großen Handelsketten reagieren – mit zum Teil ungewöhnlichen Maßnahmen. So hat die Edeka-Tochter Netto Marken-Discount Anfang Juni eine Kampagne gestartet, bei der in den bundesweit mehr als 4200 Filialen für 200 Artikel des täglichen Bedarfs die Preise bis Ende Juli stabil bleiben. Die Preisgarantie gilt auch, wenn das Unternehmen Preise anhebt.

Die Differenz, so das Versprechen, wird beim Bezahlen an der Kasse oder im Internet abgezogen. Voraussetzung ist eine sogenannte DeutschlandCard, die nach dem Payback-System funktioniert. Parallel bleiben auch in Edeka-Märkten, in denen die Rabattkarte akzeptiert wird, die Preise von 200 Produkten der Eigenmarke Gut & Günstig bis Ende August stabil. „Edeka Inflations-Stopp“ hat Deutschlands größter Lebensmittelhändler die Aktion vollmundig getauft.

Edeka bietet viele Produkte zum Discountpreis

Schon zuvor hatte Edeka, sonst eher die etwas teurere Einkaufsmöglichkeit mit großer Auswahl an Markenartikeln und Frische-Abteilungen, in einer nationalen Kampagne Eigenmarken wie Gut & Günstig, Edeka, Edeka Bio oder Edeka Genussmomente in den Mittelpunkt gerückt. Über das gesamte Sortiment bietet ein Edeka-Markt demnach 7000 Produkte zum Discountpreis. Die Botschaft dahinter: In jedem Edeka steckt auch ein Discounter – und noch mehr.

Der Unterschied zwischen Discount und Vollsortiment sei schon lange nicht mehr der Preis, sondern vor allem Auswahl und Service, heißt es zu der Strategie aus der Zentrale in der Hamburger City Nord. „Gerade in Zeiten der steigenden Inflation ist es für uns ein wichtiges Anliegen, die privaten Haushalte zu entlasten“, lässt sich Vorstandstandschef Markus Mosa zitieren. Daher stehe Edeka auch seit Monaten in harten Verhandlungen mit der Markenartikelindustrie und werde ihre Preisforderungen auch weiterhin sehr genau prüfen. „Wir wollen unseren Kundinnen und Kunden schließlich beides bieten: günstige Marken und günstige Eigenmarken.“

Kunden achten vermehrt auf Sonderangebote

Dabei steigen die Eigenmarken gerade deutlich in der Gunst der Kunden, wie das Marktforschungsinstitut GfK in Nürnberg in einer Analyse feststellt. Grundsätzlich reagierten die Verbraucher mit drei Wegen auf die seit Juli vergangenen Jahres spürbar steigenden Preise: Weniger shoppen, günstigere Artikel mitnehmen oder die gleichen (Marken-)Artikel billiger kaufen – sprich: auf Sonderangebote achten.

Das tun den Experten zufolge gerade viele Menschen. Der Anteil stiegt nach den aktuellsten Zahlen um neun Prozent. Parallel ist auch das Segment der sogenannten Handelsmarken gewachsen – im ersten Quartal auf 34,6 Prozent. Davon profitieren auch Discounter wie Aldi und Lidl, die sich nach Verlusten 2020 und 2021 in den vergangenen Monaten Umsatzanteile zurückgeholt haben.

Nachfrage nach Eigenmarken steigt spürbar

Nach Ansicht von Ökonom Robert Kecs­kes, der für GfK das Einkaufsverhalten der Deutschen beobachtet, könnten die Eigenmarken die großen Gewinner der Krise sein. Beim Kauf von Lebensmittelprodukten seien kreative Ausweichstrategien zu beobachten, sagte er der Zeitschrift „Capital“. Mit einer interessanten Entwicklung: „Die effektiv bezahlten Produkte sind nicht so stark gestiegen wie die die Preise der einzelnen Produkte.“ Ganz konkret lässt sich das veränderte Kaufverhalten beim Edeka-Händler Niemerszein mit neun Filialen in Hamburg beobachten.

„Nachdem in der Pandemie deutlich mehr Geld im Supermarkt ausgegeben wurde und gutes Fleisch, Fisch, Weine und Spirituosen gekauft wurden, haben wir es jetzt mit der Gegenbewegung zu tun“, sagt Geschäftsführer Frank Ebrecht und spricht von signifikanten Umsatzrückgängen. In allen Märkten, auch in gehobenen Wohngegenden wie Eimsbüttel, Winterhude oder Rotherbaum, steige die Nachfrage nach Eigenmarken spürbar. „Wir schauen, dass wir mehr günstige Produkte ins Angebot nehmen“, sagt der Edeka-Kaufmann. Dabei werden die sonst eher markenorientierten Kunden des Lebensmittelhändlers ganz explizit auf die Preiseinstiegsmarke Gut & Günstig hingewiesen: „Discount günstig“ steht auf den knallig rot-weißen Schilder am Regal – mit Ausrufezeichen.

Famila wirbt für Dauertiefpreise

Auch andere Lebensmittelhändler stellen sich um. „Seit Februar/März 2022 steigt die Nachfrage nach Produkten im Preiseinstiegssegment merklich“, sagt Solveig Hannemann, Sprecherin der SB-Warenhäuser Famila mit 89 Märkten, die zur Unternehmensgruppe Bartels-Langness mit Sitz in Kiel gehört. Ganz offensiv wirbt Famila mit dem Discountprogramm „Billiger ist keiner“ für Dauertiefpreise.

Ähnlich wie Netto und Edeka gibt es auch für das Sortiment mit 1000 Artikeln, das vor allem die Handelsmarke Jeden Tag umfasst, eine Differenz-Zurück-Garantie, sollte ein Produkt irgendwo anders günstiger erhältlich sein. Konkrete Zahlen, wie das Programm angenommen wird, nannte das Unternehmen nicht. „Wir stellen uns auf die Entwicklung ein und bestellen entsprechend mehr Ware“, heißt es. Es gebe bislang keine Lücken. Die Bezugsmengen könnten allerdings nicht beliebig erhöht werden, solange die Lieferketten gestört sind.

Auch Schnelllieferdienste passen sich an

Bei Rewe heißt es zur Strategie in der Krise eher ausweichend: „Die Sortimentsentwicklung der Eigenmarken orientiert sich grundsätzlich an den Kundenbedürfnissen, wobei die Eigenmarkenrange von ja! stets das Kernsortiment und die Preispositionierung der führenden Discounter widerspiegelt.“ Zuletzt war das Sortiment auf 1100 Produkte erweitert worden. Experten haben in den vergangenen Monaten zudem Preisreduzierungen bei Eigenmarken im mittleren Preissegment wie Rewe Beste Wahl beobachtet.

Dass der Markt sich gerade ändert, ist auch bei den Schnelllieferdiensten wie Gorillas sichtbar. Das Start-up aus Berlin, das nach mehreren milliardenschweren Finanzierungsrunden und Turbo-Wachstum an die Grenzen geraten ist, hat jetzt vier Handelsmarken eingeführt. Unter Namen wie „Gorillas Daily“ oder „Gorillas Premium“ werden 50 Produkte zu „fairen Preisen“ angeboten und sollen dem Unternehmen zu mehr wirtschaftlicher Stabilität verhelfen, hieß bei der Eigenmarken-Premiere. Auch Konkurrent Flink ist mit der Marke „Flink’s Finest“ am Markt, die ausgebaut werden soll.

Inflation: Aldi in Hamburg erhöht Preise für viele Produkte

Fakt ist: Die Preisspirale im Lebensmittelhandel wird sich weiterdrehen. Erst in der vergangenen Woche hatte Aldi Preise vor allem für Molkereiprodukte erhöht. Inzwischen haben andere Lebensmittelhändler nachgezogen. Da kann es sich für Verbraucher schon lohnen, bei Discount­aktionen genau hinzuschauen.

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Bei einer Stichprobe des Abendblatts bei der Preisgarantie-Kampagne von Netto Marken-Discount für 200 Produkte ergab sich ein gemischtes Bild. Bei Zucker, Rinderhackfleisch oder Windeln war der Preis (Stichtag: 16. Juni) konstant. In anderen Fällen, wie bei Hundefutter, Zaziki, Thunfisch-Konserven oder Mozzarella, griff die Preisgarantie und brachte zwischen 20 und 40 Cent Ersparnis pro Artikel. Allerdings endet die Aktion Ende Juli.