Hamburg. Ein Unternehmen aus Berlin hat den Hamburger Onlinehändler für Lebensmittel gekauft. Was sich nun ändert.
In den Hallen am Ausschläger Billdeich stapeln sich Kisten mit Salat und Möhren, in den Regalen stehen Pakete mit Bio-Dinkelmehl, Gläser mit Apfelsenf und Konfitüre. Das Lager der „Frischepost“ sitzt direkt neben afghanischen Supermärkten und Verkaufshallen für Krimskrams aus China. Die internationale Atmosphäre der Gegend findet bei dem Online-Lebensmittelhändler allerdings ein Ende: Hier ist alles möglichst regional. Der Spinat kommt frisch vom Feld in Hamburgs Osten, das Obst aus dem Alten Land, die Milch vom Hof Reitbrook, es geht um hochwertige Produkte, die täglich an bewusst genießende Haushalte geliefert werden.
Geschäftsführerin Eva Neugebauer wuselt durch die Gänge, sie trägt ein graues Sweatshirt, in großen Buchstaben steht ihr Motto auf dem Rücken: „Power to the Bauer“ („Macht den Bauern“). Diese Philosophie verfolgt ihre Firma inzwischen seit sieben Jahren. Denn die Landwirte, die ihre Ware nicht an den Großhandel, sondern via „Frischepost“ an den Endkunden verkaufen, können mit angemessenen Preisen und direktem Feedback rechnen. Und der Kunde profitiert ebenfalls - von Ware, die morgens noch vor den Toren der Stadt auf dem Feld stand und keine langen Wege hinter sich hat. Die weißen Lieferwagen, die vor den 1000 Quadratmeter großen Hallen und Kühlräumen einparken, holen die Produkte täglich von den Erzeugern – und bringen sie zu den Familien, die ihren gesamten Wocheneinkauf oder die Gans zu Weihnachten bei der Frischepost bestellen.
Die "Frischepost" wurde vom Unternehmen Footprint.Club übernommen
Bei der Gründung 2015 gehörte das Startup zu den Pionieren bei den per Mausklick bestellten Lebensmitteln. Heute spielt der Onlinehändler im wachsenden Markt der wie die Pilze aus dem Boden schießenden Lieferdienste mit – und ist gerade von einer Berliner Firma übernommen worden. Der Online-Hofladen mit 70 Mitarbeitern ist dabei vollständig in den Besitz des Unternehmens Footprint.Club übergegangen. Zum Kaufpreis hüllen sich die Partner in Schweigen.
Die „Frischepost“ ist damit nun Teil einer Holding. Der Gedanke hinter dem Geschäft: Der Footprint.Club organisiert weitgehend auf der Plattform, über welche die Hamburger ihren Internethandel betreiben, eine ganze Reihe von Onlinegeschäften, so dass die teure Technologie mehrfach verwendet wird. Bisher experimentierte der Käufer bereits mit einem eigenen Lebensmittelladen im Netz, 2021 wurde „Alles vom Land“ gegründet. Die Firma vertreibt in Brandenburg nachhaltige Nahrungsmittel direkt von lokalen Erzeugern. Die Logistik ist auf Besitzer von Eigenheimen zugeschnitten: Sie installieren eine Holzbox an der Hofeinfahrt, in die der Einkauf geliefert wird.
Gründerin Eva Neugebauer sieht mehrere Optionen
Aus Sicht der „Frischepost“ ist diese Unternehmensidee keine Konkurrenz. Sondern eine Ergänzung. „Beide Geschäftsmodelle lassen sich prima kombinieren“, findet Eva Neugebauer. „Wir bei Frischepost holen das Land in die Stadt“, sagt die Gründerin, „Alles vom Land“ dagegen liefere vom Land aufs Land. Die Holding-Tochter kann sie sich daher als Lieferant für Randgebiete des bisherigen Frischepost-Areals vorstellen, etwa in Wedel. „Und dann könnte ein gemeinsames Lager die Logistik vereinfachen“.
Dabei muss es aber nicht bleiben: Als nächstes könnte etwa ein Unternehmen zur Lebensmittelrettung die Reihe der zum Footprint.Club gehörenden Online-Händler komplettieren. Auf diese Weise könnte auch Ware, die abends bei den Lieferanten übrigbleibt, noch vor dem Müll bewahrt werden, beschreibt Eva Neugebauer die Optionen für die Zukunft.
Eva Neugebauer bleibt als alleinige Geschäftsführerin in Hamburg
Mit dem Verkauf an die Berliner geht in Hamburg eine Ära der Selbstständigkeit zu Ende. Neugebauers Mitgründerin Juliane Willing ist aus der Geschäftsführung ausgestiegen, sie hat ihre Anteile verkauft und orientiert sich jetzt in der Landwirtschaft neu. Auch Interimsmanager Tom Mayer hat das Unternehmen verlassen, der E-Commerce-Profi sollte eine App entwickeln, die jetzt unter dem Dach des neuen Eigentümers entsteht. Die übrigen Gesellschafter, wie Bertelsmann-Miteigentümerin Brigitte Mohn und der Elmshorner Haferflockenhersteller Peter Kölln, haben ebenfalls den Kreis der „Frischepost“-Eigner verlassen.
Auf diese Weise sollen Entscheidungen nun schneller fallen. Eva Neugebauer bleibt als alleinige Geschäftsführerin in Hamburg. Auch die 33-Jährige, die damals mit Juliane Willing im Anschluss an ihr gemeinsames BWL-Studium an der Unternehmer-Uni WHU den Betrieb startete und noch immer gut mit ihrer Mitgründerin befreundet ist, hat ihre Anteile verkauft.
Die Zeichen stehen auf Wachstum
Doch dieser Schritt bedeutet keine Atempause für den Online-Hofladen, der im vergangenen Jahr allein in Hamburg einen Umsatz in mittlerer siebenstelliger Höhe erzielt hat, wie Neugebauer berichtet. Zwar sind in der Pandemie Lieferungen an Firmenkunden wie About You oder Lichtblick, an Kitas und Konferenzen weggebrochen. Dafür ist die Zahl der Privatkunden gewachsen. Derzeit gehen etwa 200 bis 500 Bestellungen pro Tag an die Haushalte, zum Teil als Abo. Der durchschnittliche Warenwert erreicht 65 bis 70 Euro. „Operativ arbeiten wir profitabel“, sagt Neugebauer. Und die Zeichen stehen auf Wachstum.
Immerhin bedient die Frischepost zwei große Trends: der wachsenden Beliebtheit regionaler Produkte und der spätestens durch Corona gestiegenen Neigung zum Onlineeinkauf. „Diese Entwicklung wird bleiben“, ist die Unternehmerin überzeugt. Die Haushalte hätten gelernt, dass neben Mode oder Möbeln auch Lebensmittel zuverlässig geliefert werden können und auch meist nicht die Zeit, die Ware selbst etwa in Hofläden einzukaufen. Dazu käme, dass die Lieferung mit E-Autos, möglichst in Pfandflaschen und -Boxen, dazu routenoptimiert, letztlich klimaschonender sei als wenn jeder Kunde einzeln zu Läden und Lieferanten fahre.
Bisher ist die Frischepost auch im Rhein-Main-Gebiet, in Köln und Berlin aktiv
Zunächst will Neugebauer den Fokus auf Hamburg legen, weitere Mitarbeiter werden gesucht. Mit der bald erscheinenden App soll der Einkauf auch hier vereinfacht werden. Und über Aktionen auf Wochenmärkten oder Stadtteilfesten sollen die Erzeuger vorgestellt und noch mehr Kunden gewonnen werden. Aber die Mutter einer acht Monate alten Tochter möchte auch eine weitere Entwicklung über die Grenzen der Hansestadt hinaus nicht ausschließen. Hier hatte es zuletzt zwar einige Probleme gegeben. Der Franchisepartner in München hat das Geschäft vor kurzem aufgegeben.
Die bundesweite Expansion war ins Stocken geraten. Bisher ist die Frischepost auch im Rhein-Main-Gebiet, in Köln und Berlin aktiv, ebenfalls über Franchisepartner. Doch nun soll, im neuen Verbund mit dem Berliner Käufer, die Schlagkraft erhöht werden. Hinter dem neuen Eigentümer steht Seriengründer Michel Stumpe, der zuvor Partner beim Berliner Frühphaseninvestor B10 war und seine eigene VC-Firma Stumfeli Ventures gegründet hat, mit der er in Startups investiert. Auch Stumpe hat ehrgeizige Pläne. Sein Ziel ist es, bis 2023 mit den zusammengeschlossenen Einzelfirmen auf einen Jahresumsatz von 100 Millionen Euro zu kommen.
In Hamburg sind in den vergangenen Monaten Flink, Gorilla und Getir gestartet
Dass sich Frischepost nun mit anderen Lebensmittelanbietern auf einer Plattform zusammenschließt, dürfte auch Folge des härteren Wettbewerbs bei den Lieferdiensten sein. Etliche neue Mitspieler in den Markt eingetreten, beflügelt durch die Zwangsschließungen im Handel und die Tendenz, sich während der Pandemie zuhause einzuigeln.
Allein in Hamburg sind in den vergangenen Monaten Flink, Gorilla und Getir gestartet. Sie bringen die Ware in wenigen Minuten zu den Kunden. Bald kommt Knuspr in die Hansestadt, ein tschechischer Anbieter mit bereits 70.000 Kunden. Viele der Neulinge sind äußerst kapitalstark: Getir sammelte im laufenden Jahr knapp eine Milliarde Dollar zur Finanzierung des internationalen Wachstums ein. Flink hat einen starken etablierten Partner gefunden, denn Rewe hat eine Minderheitsbeteiligung an dem erst 2021 aktiv gewordenen Start-up übernommen, das zugleich insgesamt 240 Millionen Dollar Risikokapital von mehreren großen Investoren erhalten hat.
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Frischepost bietet Vorteile der Regionalität und Nachhaltigkeit
Eva Neugebauer verweist angesichts der neuen Vielfalt aber auf die Nische, in der sich ihre Firma etabliert hat. „Die Kunden wollen ein kuratiertes Angebot“, ist Neugebauer überzeugt, und die Frischepost biete anders als viele breiter aufgestellte Online-Anbieter die Vorteile der Regionalität und Nachhaltigkeit. Alles, was regional angebaut und erzeugt werden kann, kommt bei der Frischepost auch aus der Nähe der Hansestadt, andere Ware muss das Bio-Siegel tragen, um auch hier dem Vertrauen der Verbraucher gerecht zu werden, sagt Neugebauer, die sogar Avocados nur aus europäischer Produktion anbietet.
Eine Ausnahme für Ware aus Übersee gibt es allerdings: Bananen. Die Früchte sind naturgemäß weiter gereist als Äpfel aus dem Alten Land, doch Neugebauer will den Kunden ihren Geschmack hier nicht vorschreiben – und ist persönlich zu dem Produzenten in der Dominikanischen Republik geflogen, um sich davon zu überzeugen, dass das Obst möglichst umweltgerecht angebaut wird.