Königswinter/Bonn. Ukraine-Krieg, Corona-Pandemie, Klimakrise – die Herausforderungen der Zeit kosten Milliarden. Droht jetzt eine neue Schuldenkrise?
Christian Lindner ist gut gelaunt. Der Bundesfinanzminister steht auf dem roten Teppich hoch über den Dächern von Bonn auf dem Petersberg und schüttelt Hände. Es ist ein geschichtsträchtiger Ort. Hier legten die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg mit dem Petersberger Abkommen den Grundstein für die Eigenständigkeit der Bundesrepublik, hier beherbergte die Bundesregierung in Bonner Hauptstadtzeiten ihre ausländischen Staatsgäste.
Und hier empfängt Lindner diejenigen, die global im Kampf gegen Inflation und Krisen eine Schlüsselrolle einnehmen: die Finanzminister und Notenbankchefs der sieben führenden Industrienationen, der G7.
Eigentlich hat Lindner derzeit wenig Grund zur guten Laune. Sowohl in Schleswig-Holstein als auch in seinem Heimatbundesland Nordrhein-Westfalen musste der FDP-Chef krachende Niederlagen bei den Landtagswahlen erklären. Im Bundestag wird der gewöhnlich auf Sparsamkeit pochende 43-Jährige von der Union als Schuldenkönig verhöhnt. Auf dem Petersberg aber kann Lindner als Gastgeber die Gespräche führen. Es geht um nicht weniger als um die Bewältigung mehrerer Weltkrisen.
Milliarden für die Ukraine
Russlands Angriff auf die Ukraine hat die globalen Finanzplanungen durcheinandergewirbelt. Mit 100 Milliarden Euro will die Ampelkoalition die Bundeswehr fit machen. Doch bei Verteidigungsausgaben bleibt es nicht. Ohnehin fragile Lieferketten sind unterbrochen, auch Energie hat sich drastisch verteuert, was die Inflationsrate mit zuletzt 7,4 Prozent auf den höchsten Stand seit 41 Jahren getrieben hat. Der Bund hat zwei Entlastungspakete geschnürt und dafür einen Nachtragshaushalt von fast 40 Milliarden Euro aufgestellt.
Hinzu kommen Hilfszahlungen für die Ukraine. Lindner kündigte am Donnerstag am Rande des G7-Treffens an, dass Deutschland der Ukraine eine Milliarde Euro an Zuschüssen zahlen wird. Die USA wird 7,5 Milliarden Dollar (rund 7,1 Milliarden Euro) zuschießen.
Das Geld ist für die Deckung der Staatsausgaben der Ukraine, etwa den Sold für Beamte und Soldaten sowie die Renten, gedacht. „Die Ukraine kämpft mit beeindruckender Tapferkeit“, sagte Lindner. Man sehe sich in einer gemeinsamen Verantwortung, ihre finanzielle Handlungsfähigkeit zu gewährleisten.
Entbrannt ist eine Diskussion über die Frage, wie der Wiederaufbau der Ukraine finanziert werden kann. Lindner zeigte sich bereits offen dafür, eingefrorenes russisches Auslandsvermögen zu nutzen. Ob das rechtlich möglich ist, muss sich aber erst noch zeigen.
Zudem wird über gemeinsame Schulden der Europäischen Union diskutiert, so wie es beim Corona-Wiederaufbaufonds auch schon der Fall gewesen ist. Der Wirtschaftsweise Achim Truger begrüßt die Idee. Eine gemeinsame Schuldenaufnahme bringe geringere Risiken als eine unkoordinierte nationale Schuldenaufnahme, sagte Truger unserer Redaktion. „Zwar klingen Summen von 500 Milliarden Euro gigantisch, in Relation zur Wirtschaftsleistung der EU handelt es sich jedoch nur um gut drei Prozent“, so das Mitglied des Sachverständigenrates.
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Schulden durch die Corona-Pandemie
Die Corona-Pandemie hat im Haushalt ein tiefes Loch hinterlassen. Nach sechs Jahren mit einem ausgeglichenen Haushalt hat der Bund im ersten Pandemiejahr 2020 an Krediten 130,5 Milliarden Euro aufgenommen, ein Jahr später waren es 215,4 Milliarden Euro. Nun kommen rund 140 Milliarden Euro für die Pandemie und die Folgekosten des Krieges hinzu.
Beim Bund der Steuerzahler verfolgt man die Entwicklung mit Sorge. „Bei jeder Schuldenaufnahme ist zu berücksichtigen, dass Schulden auch wieder getilgt werden sollten“, mahnt Steuerzahlerbund-Präsident Reiner Holznagel. Ab dem kommenden Jahr aber soll die Schuldenbremse wieder gelten, stellt Lindner klar.
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Teurer klimaneutraler Umbau für die Wirtschaft
Auch ohne Pandemie und Krieg wäre die Klimakrise schon herausfordernd genug gewesen. Die Bundesregierung hat für die Zeit bis 2026 einen 200 Milliarden Euro schweren Klima- und Transformationsfonds geschaffen, mit der die Wirtschaft beim klimaneutralen Umbau unterstützt werden soll. Durch Russlands Angriff gewinnt das Thema an zusätzlicher Dringlichkeit. Die Europäische Union etwa will 300 Milliarden Euro investieren, um sich unabhängig von russischer Energie zu machen – vornehmlich mit einem schnellen Ausbau der erneuerbaren Energien.
Steigende Lebensmittelpreise und Ernährungskrise
Der Krieg hat die Lebensmittelpreise in die Höhe schießen lassen, da die Ukraine als Kornkammer Europas ausfällt. Indien, nach China der zweitgrößte Weizenproduzent der Welt, hat aufgrund der Knappheiten einen Exportstopp verhängt.
Der Preis für eine Tonne Weizen schnellte in dieser Woche an der Börse Euronext daraufhin auf über 435 Euro. Vor einem Jahr hat die Tonne noch unter 200 Euro gekostet. Das trifft vor allem arme Länder hart. Laut des UN-Kinderhilfswerks Unicef könnten die Kriegsfolgen die Mangelernährung von rund 600.000 Kindern in den kommenden Monaten verschärfen.
Weltweite Schuldenkrise
Die ärmsten Länder der Welt kommen schon jetzt angesichts der Herausforderungen nicht mehr hinterher, ihre Schulden zu bedienen. Bundesfinanzminister Christian Lindner forderte beim G7-Gipfel China als größten Gläubiger auf, mehr Transparenz zu zeigen und armen Ländern entgegenzukommen.
In Deutschland liegt die Schuldenquote, also das Verhältnis von Schulden zur Wirtschaftsleistung, bei 69,3 Prozent. Laut den Maastricht-Verträgen der EU soll die Verschuldung nicht über 60 Prozent liegen, diese Voraussetzung erfüllen allerdings nur 13 der 27 EU-Länder.
„Solange die Beschäftigung stabil bleibt, ist die Gefahr einer Schuldenkrise in Deutschland nicht gegeben. Würde es aber etwa im Zuge eines Gasembargos neben der derzeitigen Angebotskrise auch noch zu einer Nachfragekrise kommen und Arbeitsplätze verloren gehen, dann könnte die Schuldentragfähigkeit leiden“, warnt Ökonom Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft aus Köln.
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