Hamburg. Die Folgen eines Lieferstopps aus Russland wären teils dramatisch. An der Elbe wären drei Unternehmen am meisten betroffen.

Seit Kriegsbeginn in der Ukraine versucht die Europäische Union, sich unabhängiger von Gas- und Öllieferungen aus Russland zu machen. Nun hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen einen Importstopp von russischem Öl innerhalb der nächsten sechs Monate angekündigt. Deutschland hat den Anteil zuletzt schon stark auf zwölf Prozent reduziert. Beim Gas ist die Abhängigkeit von Russland zwar ebenfalls gesunken, mit rund 35 Prozent allerdings noch deutlich höher.

Seit vor einer Woche Polen und Bulgarien der Gashahn zugedreht wurde, gibt es auch hierzulande Diskussionen darüber, wer im Fall eines Gas-Engpasses noch beliefert werden soll. Dabei ist die Lage eigentlich klar: Der Notfallplan Gas schützt selbst in der dritten und höchsten Notfallstufe private Haushalte als Kunden. Auch Kindertagesstätten und Krankenhäuser sowie Fernwärmeanlagen sollen, solange es geht, beliefert werden. Heißt im Umkehrschluss: Die Wirtschaft müsste zurückstecken – und das stört einige Branchenvertreter.

Gas-Embargo: Drei Unternehmen in Hamburg wären betroffen

„Der bisherige Notfallplan Gas sieht bei Einschränkungen vor: Erst Industrie und Gewerbe abschalten, dann Haushalte einschränken. Das ist für Arbeitsplätze und für die Volkswirtschaft schlecht“, sagte auf Anfrage Matthias Boxberger, Vorstandsvorsitzender des Industrieverbands Hamburg (IVH). Von der Grundstoffindustrie bis hin zum Handwerk käme es zu gravierenden Störungen im Alltag, so Boxberger.

„Deshalb muss zügig eine Balance zwischen der Versorgung von Arbeiten und Wohnen hergestellt werden.“ In der Hansestadt wären laut IVH vor allem drei Unternehmen von einem Gasengpass betroffen – das Abendblatt fragte bei ihnen und einem Kunststoffspezialisten nach, wie die Produktion derzeit läuft und ob sie sich schon nach Alternativen umschauen.

ArcelorMittal:

Das Stahlwerk im Hafen verbrauche jedes Jahr rund zwei Terawattstunden und sei daher in hohem Maß auf Gas angewiesen, sagte Sprecher Arne Langner. „Ein Gaslieferstopp aus Russland wird zu einer deutlichen Verknappung von Erdgas führen und unser Unternehmen noch härter als bisher treffen.“ Schon seit Jahresbeginn ist die Produktion im Werk an der Dradenaustraße zeitweise zurückgefahren worden, für die knapp 600 Beschäftigten habe es teilweise immer mal wieder Kurzarbeit gegeben. Der Grund sind die hohen Energiepreise, die mit Kriegsbeginn in der Ukraine noch weiter anstiegen.

Gas wird in dem Werk benötigt, um Eisenschwamm zu erzeugen. Dieses Vorprodukt wird zusammen mit Recyclingschrott zu Rohstahl verarbeitet. Während früher ein Großteil der Einsatzstoffe wie Eisenschwamm vor Ort erzeugt worden sei, würde nun das Gros importiert, um weiter Stahl herstellen zu können – allerdings in einem reduzierten Umfang. Dadurch käme es aktuell bereits zu „deutlich weniger Erdgaseinsatz in Hamburg“, so Langner.

Erdgas soll durch Wasserstoff ersetzt werden

Perspektivisch wird an einem Ersatz des Erdgases durch Wasserstoff gearbeitet. Ab 2025 soll eine Pilotanlage in der Hansestadt im Einsatz sein, die zunächst mithilfe von „grauem“ und später mit „grünem“ – also durch regenerative Energien gewonnenem – Wasserstoff Eisenschwamm erzeugt. Derzeit gebe es Wasserstoff auf industriellem Level allerdings weder in ausreichender Menge noch zu wirtschaftlichen Preisen.

Die Stahlproduktion erfolge im Augenblick wieder ohne Kurzarbeit. Das liege an der seit Anfang April veränderten Wetterlage. Dadurch stehe mehr erneuerbarer Strom als Energiequelle zur Verfügung, was die Strompreise auf hohem Niveau leicht gedrückt habe. Strom wird gebraucht, um den Eisenschwamm zusammen mit dem Recyclingschrott im Elektrolichtbogenofen einzuschmelzen. Wenn der Wind wieder abflaue oder die Sonne sich häufiger hinter den Wolken verstecke, drohe im Werk auch wieder Kurzarbeit – genauso wie bei einem Gaslieferstopp aus Russland.

Gas-Embargo: Konsequenzen müssen bedacht werden

Dieser „wird weitreichende Folgen für die Versorgungssicherheit in Deutschland haben“, sagte Langner und erwartet Auswirkungen auf die Wertschöpfungskette. Der im Hamburger Stahlwerk produzierte Walzdraht wird beispielsweise zur Herstellung von Schrauben, Einkaufswagen und Saiten von Musikinstrumenten eingesetzt. „Diese Folgen müssen allen Beteiligten bewusst sein, wenn es zu einem Stopp an Gaslieferungen aus Russland kommen sollte“, sagte Langner.

Aurubis:

Bei der Kupferhütte machten die Kosten für Erdgas im vergangenen Geschäftsjahr 2020/21 zwölf Prozent der Energieausgaben aus. Auf der Peute wurden mit knapp 450.000 Megawattstunden gut ein Drittel des konzernweiten Gasbedarfs verbraucht. Der Großteil wird für Reduktionsprozesse in der Kupferproduktion verwendet. Nachdem das flüssige Kupfer in einem Konverter behandelt wurde, kommt es in den Anodenofen und wird reduziert, also von Schwefel und Sauerstoff befreit.

So erreichen die Kupferkathoden einen Reinheitsgrad von 99,9 Prozent. Kupferkathoden sind das Ausgangsmaterial für die Verarbeitung zu weiteren Produkten wie Drähten et cetera, für die wiederum Erdgas gebraucht wird. Aktuell geht Aurubis von einer sicheren Erdgasversorgung in der Hansestadt aus. „Aufgrund der Versorgung der Hamburger Haushalte mit CO2-freier Industriewärme für das Fernwärmenetz in Hamburg hat unser Werk den Status als Energieversorger und ist zunächst von Versorgungsengpässen ausgeschlossen“, sagte Sprecher Meino Hauschildt.

Auch Ammoniak bietet eine lternative

An anderen deutschen Standorten werde an alternativen Versorgungsmöglichkeiten gearbeitet. In Belgien gibt es einen direkten Zugang zu verflüssigtem Erdgas (LNG), sodass die Werke von russischem Gas unabhängig sind. Derzeit gebe es an allen Standorten ausreichend Energie und keine Einschränkungen in der Produktion – abgesehen von einem am Mittwoch gestarteten, mehrwöchigen Wartungsstillstand in Hamburg.

Für die Zukunft setzt das Unternehmen mit 2500 Beschäftigten auf der Peute ähnlich wie ArcelorMittal und viele weitere Industriebetriebe auf Wasserstoff – und trifft auf dieselben Probleme: Menge zu gering, Preise zu hoch. Immerhin fand ein Pilotversuch im Anodenofen mit Wasserstoff 2021 schon statt, der „sehr erfolgreich“ und ohne Qualitätsverlust verlaufen sei, so der Sprecher. Auch das Verwenden von Ammoniak gilt als weitere Alternative und soll bald in kleinen Mengen getestet werden.

Zudem ist grundsätzlich eine weitere Elektrifizierung der Anlagen möglich. Der Sprecher verweist auf die Bedeutung der hauseigenen Produkte für eine künftig weniger klimabelastende Produktion. So seien Kupfer und andere Metalle Grundbausteine für die Erweiterung der Wind- und Solarenergie, sagte Hauschildt. „Ohne Kupfer ist die Energiewende nicht möglich, und die Abhängigkeit von russischen Energieimporten verlängert sich.“

Holborn:

Die Raffinerie verarbeitet in Harburg jährlich bis zu fünf Millionen Tonnen Rohöl zu Benzin, Diesel und Heizöl sowie Grundstoffen für die Chemieindustrie. Der Gasverbrauch sei im Verhältnis zum Gesamtenergiebedarf sehr gering. Eine relativ kleine Menge Erdgas würde für einige Pilotbrenner genutzt. Falls Russland den Gashahn zudrehen würde, sei das „für uns nicht existenzgefährdend“, sagte Sprecherin Daniela Frommann-Herms. Als Alternative könne man selbst erzeugtes Raffineriegas und Butan nutzen. Geplant wird auch mit dem Einsatz von Biogas und „grünem“ Wasserstoff, um die CO2-Bilanz des Unternehmens zu verbessern.

Otto Krahn Group:

Das Traditionsunternehmen ist sowohl im Chemiehandel als auch über eine Tochterfirma in der Kunststoffherstellung tätig. Die Produktionsprozesse benötigten in erster Linie allerdings Strom, der in Deutschland aus regenerativen Energien bezogen werde. Ein eventueller Lieferstopp von Gas „hätte anzunehmenderweise auch Auswirkungen auf unsere Rohstofflieferanten“, sagte Sprecher Jan Philipp Betz. Die Firma selbst benötige Gas in nicht nennenswerter Höhe in der Produktion, wohl aber für die Beheizung der Standorte – da hat das Unternehmen etwas mit vielen Privathaushalten gemeinsam.