Hamburg. Gewerkschaft bereitet Tarifforderung vor. Mitglieder wünschen sich offenbar deutlich mehr Geld, während Arbeitgeber vor Jobverlust warnen.

Es ist der Beginn einer Tarifrunde, die schon jetzt als eine der schwierigsten seit Jahren gilt: Gut 180 Vertreter der IG Metall aus Norddeutschland berieten am Dienstag in Hamburg darüber, mit welchen Forderungen die Gewerkschaft in die Gespräche mit den Arbeitgebern der Metall- und Elektrobranche gehen soll. „Es heißt ja, die nächste Tarifrunde sei immer die schwerste. In diesem Jahr gilt das sicherlich umso mehr“, sagt Daniel Friedrich, Bezirksleiter der IG Metall Küste, zu der Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordniedersachsen gehören.

Neue Tarifrunde: Gewerkschaft in der Zwickmühle

Die Lage ist kompliziert, die Gewerkschaft steckt in einer Zwickmühle: Soll sie angesichts der hohen Inflationsrate versuchen, ein möglichst großes Lohnplus herauszuholen? Oder ist es besser, sich eher zurückzuhalten, um die Arbeitsplätze in einer Branche nicht zu gefährden, die mit den Folgen von zwei Jahren Pandemie und seit Beginn des Kriegs gegen die Ukraine mit extrem gestiegenen Energie- und Rohstoffkosten, mit Material- und Bauteilknappheit zu kämpfen hat und der nun ein Gaslieferstopp droht?

Das Abendblatt beantwortet die wichtigsten Fragen zu den anstehenden Verhandlungen in der Kernbranche der deutschen Wirtschaft.

Das ist der Zeitplan

Bei Regionalkonferenzen wie der in Hamburg erkundet die Gewerkschaftsspitze die Stimmung in den Betrieben. Zugleich startete eine Befragung aller Mitglieder dazu, was ihnen wichtig ist – und wie stark sie bereit sind, für die Forderungen zu kämpfen. Ihre konkreten Forderungen will die IG Metall im Juli bekanntgeben. Spätestens Mitte September muss es die erste Verhandlung mit den Arbeitgebern gegeben haben, der aktuelle Tarifvertrag läuft am 30. September aus. Die Friedenspflicht endet am 28. Oktober, danach kann es Warnstreiks geben.

Wie sah der jüngste Abschluss aus?

Vor gut einem Jahr hatten sich die Tarifparteien inmitten der Pandemie auf eine Einmalzahlung von 500 Euro sowie auf ein sogenanntes Transformationsgeld in Höhe von knapp 20 Prozent eines Monatsgehalts verständigt. Einmalzahlungen sind in unsicheren Zeiten ein beliebtes Mittel, weil die Unternehmen nicht dauerhaft einen höheren Tariflohn zahlen müssen. In diesem Jahr will sich die Gewerkschaft darauf wohl nicht einlassen. „Die Erhöhung der Tabellenentgelte steht für uns im Mittelpunkt. Die Kolleginnen und Kollegen haben hohe Erwartungen an eine starke Erhöhung der Lohntabelle“, sagt Bezirksleiter Friedrich nach der Regionalkonferenz.

Was haben andere Branchen vereinbart?

Im vergangenen Jahr sind die Tarifverdienste in Deutschland nach Berechnungen der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung um durchschnittlich 1,7 Prozent gestiegen. Die Inflationsrate betrug 3,1 Prozent. Viele Beschäftigte mussten also einen Reallohnverlust hinnehmen. In diesem Jahr gibt es hohe Forderungen, aber nicht immer auch hohe Abschlüsse.

So verlangte die IG BCE für die bundesweit 580.000 Beschäftigten der Chemie- und Pharmabranche ursprünglich ein Lohnplus „über der Inflationsrate“, einigte sich mit den Arbeitgebern unter dem Eindruck des Ukrainekriegs aber auf 1400 Euro Sonderzahlung. Die Beschäftigten der privaten Banken erhalten binnen zwei Jahren insgesamt fünf Prozent mehr Gehalt und zwei Sonderzahlungen von je 500 Euro. Für die Sicherheitsleute an Flughäfen und Gastronomiebeschäftigte in Hamburg konnte die Gewerkschaft Ver.di dagegen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit niedrigem Stundenlohn 7,8 und bis zu 11,0 Prozent mehr Geld allein in diesem Jahr durchsetzen.

Wie viel Lohnplus wird die Gewerkschaft fordern?

Eine hohe Lohnforderung ist wahrscheinlich. Konkrete Zahlen wird die Gewerkschaft frühestens Ende Juni nennen, wenn die IG Metall-Bezirke ihre Empfehlungen an den Bundesvorstand beschließen. Doch schon jetzt gibt es Hinweise, dass es auf etwa 8,0 Prozent hinauslaufen könnte. So fordert die Gewerkschaft für die Beschäftigten der Stahlindustrie in Nordwest- und Ostdeutschland bereits 8,2 Prozent Lohnplus. Und in dem Fragebogen, den die Mitglieder nun ausfüllen sollen, können sie unter anderem ankreuzen, ob „bis 4 Prozent“, „bis 6 Prozent“ oder „bis 8 Prozent“ mehr Geld angemessen wäre.

„Bis 8 Prozent“ – diese Antwortoption habe es zuletzt bei der Umfrage vor der Tarifrunde 2013 gegeben, sagt Daniel Friedrich. Zuletzt 2008 forderte die Gewerkschaft tatsächlich so viel mehr Geld. Der Bezirksleiter sagt zwar mit Blick auf die nächste Lohnrunde: „Die Auswirkungen des Ukrainekriegs, die Energiepreise, die Inflation und die wirtschaftliche Lage werden wir bei der Forderung mit einbeziehen.“ Doch die wirtschaftliche Lage der Branche ist nach seiner Einschätzung keineswegs schlecht. „Wir hören aus vielen Betrieben, dass die Lage stabil ist und die Auftragsbücher gut gefüllt sind. Den Unternehmen gelingt es, gestiegene Kosten durch Preiserhöhungen an ihre Kunden weiterzugeben.“ Die Aufgabe sei, einen Tarifabschluss zu finden, „der Unternehmen, denen es gut geht, nicht unterfordert und diejenigen, denen es schlecht geht, nicht überfordert“.

Was sagen die Arbeitgeber?

Ein hoher Abschluss werde Arbeitsplätze kosten sowie viele kleine und mittlere Unternehmen in die Insolvenz treiben, hat Stefan Wolf, der Präsident des Arbeitgeberverbandes Gesamtmetall bereits gewarnt. Nordmetall-Hauptgeschäftsführer Nico Fickinger, der Gegenspieler von Friedrich, sagt: „Wir appellieren an die Gewerkschaftsmitglieder, angesichts der unsicheren Konjunkturlage, der weltwirtschaftlichen Risiken und der Pandemie-Folgen Augenmaß zu bewahren.“

Die hohen Teuerungsraten belasteten Arbeitgeber und Arbeitnehmer gleichermaßen. „Ein Ruf nach starken Lohnerhöhungen käme zur Unzeit und würde zusätzliche Arbeitsplätze gefährden“, so Fickinger. Aus seiner Sicht ist es vor allem Aufgabe des Staates, schwächere Einkommen durch gezielte Maßnahmen zu entlasten. „Die Tarifpolitik wäre mit dieser Aufgabe überfordert.“