Hamburg. Geschäftsführer Revermann erklärt die neue Strategie von Görtz. Künftig können Kunden hier mehr als nur Schuhe kaufen.

Im Museum of Popcorn in der Hamburger HafenCity gibt es ein pinkfarbenes Bällebad, ein knallgrünes Riesen-Schaukelpferd und eine Badewanne in Form einer Pflanze. Hier kommen Menschen hin, die sich in den sozialen Medien gerne in besonderen Kulissen inszenieren. Die meisten sind unter 30. Frank Revermann ist ein eher untypischer Besucher.

Der Geschäftsführer der Hamburger Schuhhandelskette Görtz will an diesem Tag die aktuelle Sommerkollektion der Eigenmarke Another A vor Internet-Influencern präsentieren: rosa Sandalen mit Flechtoptik, Chunky Boots mit bonbonfarbenen Profilsohlen und Holz-Clogs, die mal wieder als Comeback des Jahres gefeiert werden – alles sehr modisch.

Einzelhandel Hamburg: Görtz will sich neu erfinden

„Beim Design sind viele internationale Trends eingeflossen. Für die neue Freiheit nach der Pandemie“, sagt der 52-Jährige mit einer ordentlichen Portion Zuversicht in der Stimme. Er trägt zur schwarzen Hose und Rollkragenpullover strahlendweiße Sneaker, natürlich auch aus dem eigenen Haus.

Der Termin ist eine Premiere für den eher biederen Schuhhändler. „Wir müssen uns neu erfinden, weil der stationäre Handel sich neu erfinden muss“, sagt der Görtz-Chef. Das hat mit der Pandemie, monatelangen Lockdowns und die immer noch zögerliche Rückkehr der Kunden in die Geschäfte zu tun. Das Traditionsunternehmen mit 180 Filialen in Deutschland und Österreich trifft es hart. Für 2020 hat die Hauptgesellschaft, die Ludwig Görtz GmbH, unter dem Strich einen Jahresfehlbetrag von 35,5 Millionen Euro stehen, lässt sich im Bundesanzeiger nachlesen.

Görtz: „zwei katastrophale Jahre“

Als „insgesamt massiv nicht zufriedenstellend“ beurteilt die Geschäftsführung im Lagebericht das Ergebnis. Nur mithilfe von Krediten, staatlichen Hilfsmitteln und Einsparungen vor allem bei Mieten kam das Familienunternehmen über die Runden. Und das, nachdem es sich in den Vorjahren mit großer Kraftanstrengung und einem Teilverkauf aus einer wirtschaftlichen Krise gearbeitet hatte.

Für das Jahr 2021 liegen noch keine Geschäftszahlen vor, aber die Ladenschließungen im ersten Halbjahr lassen keine Entspannung erwarten. Auch wenn das Onlinegeschäft mit zweistelligen Wachstumszahlen inzwischen auf den Umsatzanteil von 30 Prozent ausgebaut wurde. „Hinter uns liegen zwei katastrophale Jahre. Wir können nur nach vorne gucken“, sagt Revermann, der nach der Umbildung des Gesellschafterkreises im Herbst 2020 selbst Anteilseigner ist und damit seine Position an der Führungsspitze gestärkt hat. Hauptgesellschafter ist mit 60 Prozent weiterhin die Gründerfamilie. Die Beteiligungsgesellschaft Afinum, die 2014 ins Unternehmen eingestiegen war, ist nicht mehr dabei. „Es ist wichtig, dass wir uns weitertransformieren und unabhängiger vom stationären Handel machen.“

Görtz verkauft jetzt auch Klamotten

Die wohl überraschendste Neuerung: Das Schuhhaus verkauft 147 Jahre nach der Gründung jetzt auch Kleider, Hosen und Jacken. Seit Anfang März gibt es im Onlineshop 5000 Modeartikel von mehr als 60 Marken für Damen und Herren. „Wir werden im Kern immer für Schuhe stehen, wandeln uns aber zum Lifestyle-Unternehmen“, sagt der Görtz-Chef. 70.000 Schuhe sind auf dem digitalen Marktplatz erhältlich.

Seit einigen Jahren gehören zudem Accessoires wie Taschen, Gürtel, Schals und Modeschmuck zum Angebot. Nun können sich auch Textilfirmen mit ihren Sortimenten auf der Plattform goertz.de präsentieren. Mit dabei sind bekannte Namen wie Tommy Hilfinger oder Marc O’Polo. „Der Start läuft gut“, sagt Revermann. Konkreter will er noch nicht werden, aber es wollten immer mehr Marken dabei sein.

Görtz verkauft bald Kinderkleidung

Die Idee dahinter: Wer sich schicke neue Schuhe bestellt, möchte vielleicht gleich das passende Kleid dazu – und umgekehrt. Görtz, selbst auch inzwischen bei Plattformen wie Zalando vertreten, verdient über die Provisionen. Dabei ist Revermann wichtig: „Wir behalten die Geschmackshoheit und wählen aus, welche Produkte bei uns vertreten sein dürfen.“ Demnächst soll auch Kinderkleidung folgen.

Im ersten Schritt ist das neue Modeangebot nur online erhältlich. Aber Revermann denkt weiter. In der Düsseldorfer Innenstadt-Filiale, die als eine Art Testlabor genutzt wird, gibt es neben einer Cafébar im Schaufenster einen ganz realen Marktplatz mit wechselnden Angeboten. Dort könnte er sich vorstellen, auch Mode zu verkaufen. „Gerade in den großen Städten müssen wir mehr Begeisterung für stationäre Geschäfte schaffen und sie zu Treffpunkten machen“, sagt er.

Görtz gab auch in Hamburg Standort auf

Das findet offenbar auch bei Ludwig Görtz Anklang, der das Unternehmen über Jahrzehnte geprägt und groß gemacht hat und als graue Eminenz im Hintergrund wirkt. „Er freut sich immer über neue Ideen“, sagt Revermann. Am Heimatstandort Hamburg will er die Filiale an der Spitalerstraße im Herbst umbauen und Schuhe als Hingucker neu inszenieren. Eigenmarken wie Another A, Cox, Ludwig Görtz oder Flare & Brugg sollen mit frischen Designideen stärker ausbaut werden.

Um das Unternehmen langfristig zu sichern, wird das nicht reichen. Parallel hat Revermann, der nach Stationen beim Matratzenhersteller MFO und Modehändler Bonita zu Görtz kam, mit Co-Geschäftsführer und Finanzchef Tobias Volgmann dem Unternehmen einen Sparkurs verordnet. Dabei geht es vor allem um die Mieten der Geschäfte, die oftmals in Premiumlagen liegen.

„Wenn wir bei den Verhandlungen mit Vermietern keine Mietminderungen erreichen, dann schließen wir auch Filialen“, erhöht der Kaufmann den Druck. Im vergangenen Jahr hat Görtz zehn Standorte aufgegeben, darunter zwei in der Friedrichstraße in Berlin und einen im Hamburger Schanzenviertel. In der Hansestadt gibt es aktuell 17 Standorte.

Schließen weitere Görtz-Filialen?

Auch die einstige Vorzeige-Filiale im glamourösen Upper-West-Gebäude in der Nähe des Bahnhof Zoo in Berlin ist seit zwei Monaten dicht. „Wir haben nicht die gewünschten Umsätze erzielen können und von unserem Sonderkündigungsrecht Gebrauch gemacht“, sagt Revermann. Weitere Schließungen werden wohl folgen. In zwei Fällen, in Schweinfurt und im hessischen Baunatal, sei das Aus gerade noch verhindert worden, nachdem die Eigentümer mit der Miete heruntergegangen waren.

Die Probleme treffen nicht nur den deutschen Branchenprimus. Nach ersten Schätzungen des Bundesverbands Textil Schuhe Lederwaren endete das vergangene Jahr im stationären Schuhfachhandel mit einem Umsatzminus von 25 Prozent im Vergleich zu Vor-Corona-Zeiten. Die Online-Umsätze stiegen 2021 nach ersten Berechnungen um zwölf bis 15 Prozent.

Einzelhandel Hamburg: Görtz-Chef setzt auf Normalität

Der Anteil am Gesamtgeschäft liegt demnach inzwischen bei 40 Prozent. Weil auch im zweiten Pandemie-Jahr weniger Schuhe fürs Büro oder für besondere Anlässe wie Hochzeiten und große Feste gekauft wurden, ist das Marktvolumen mit 10,2 Milliarden Euro auf dem Niveau des Jahres 2020 geblieben – und damit 13 Prozent unter dem Niveau des Jahres 2019.

Görtz-Chef Revermann setzt jetzt auf die neue Normalität. „Wir sind zuversichtlich, dass durch die Öffnung auch die Lust auf schicke Schuhe wieder kommt. High Heels statt Hausschuhe.“