Hamburg. Weil die Kunden nur noch schwer Personal finden, entwickelt der Konzern nun besondere Transportsysteme – und sucht Spezialisten.
Bei Jungheinrich folgen Licht und Schatten sehr dicht aufeinander: Gerade erst hat der Hamburger Hersteller von Gabelstaplern und anderer Lagertechnik wie Hubwagen sein bisher erfolgreichstes Geschäftsjahr der Unternehmensgeschichte abgeschlossen. Doch in der vergangenen Woche musste der Vorstand die Anleger mit einer Gewinnwarnung schocken – die Aktie verlor am vorigen Freitag zeitweise rund 18 Prozent an Wert.
„Wir hätten uns gerne länger über das tolle Geschäftsjahr 2021 gefreut“, sagte Jungheinrich-Chef Lars Brzoska am Donnerstag bei der Bilanzvorlage, „aber seit Ende Februar haben wir eine neue Zeitrechnung.“ Zu der Chip-Krise und den wegen der Corona-Pandemie noch immer bestehenden Lieferkettenproblemen habe sich eine regelrechte „Materialkostenexplosion“ gesellt.
Jungheinrich: Kosten für Stahl seit 2020 fast verdreifacht
Am Beispiel des für die Jungheinrich-Produkte wichtigen Rohstoffs Stahl konkretisierte Brzoska dies: „Noch 2020 kostete eine Tonne Stahl 500 Euro, 2021 waren es 700 Euro. Im März 2020 zahlte man dafür schon 1300 bis 1400 Euro, in Prognosen ist inzwischen sogar von 2000 Euro die Rede.“ Es gelinge aber nur „eingeschränkt“, diese Kostensteigerung an die Kunden weiterzugeben.
Zum Teil gehen diese Effekte direkt auf den Ukraine-Krieg zurück: In Mariupol ist eines der größten Stahlwerke Europas zerstört worden. Allerdings habe sich Stahl schon zuvor wegen des kräftigen Strompreisanstiegs verteuert, erklärte Brzoska, denn die Stahlproduktion ist sehr energieintensiv. Der zuletzt noch beschleunigte Preisauftrieb bei dem Metall führe im Einkauf manchmal zu geradezu kuriosen Situationen: „Es kommt vor, dass ein Angebot nur für Stunden gültig ist.“
Um Produktionsunterbrechungen möglichst vermeiden zu können, baut das Unternehmen nach Angaben des Vorstands zudem Sicherheitsbestände der für die Fahrzeugelektronik erforderlichen Computerchips auf, was natürlich mit Mehraufwendungen für die Vorratshaltung verbunden ist.
Mitarbeiterzahl soll bei Jungheinrich weiter steigen
Im Personalbereich agiert Jungheinrich ebenso vorausschauend, aber mit einem deutlich längeren Zeithorizont. Nachdem die Belegschaft im vorigen Jahr bereits um 1000 auf gut 19.100 Personen ausgeweitet wurde – in Hamburg wuchs die Beschäftigtenzahl um fast 200 auf knapp 3700 Menschen –, ist für 2022 trotz der aktuellen Schwierigkeiten ein weiterer „Ausbau der personellen Kapazitäten“ geplant, auch wenn dies ebenfalls zulasten der Kosten geht.
Davon dürfte die Zentrale in Hamburg abermals profitieren, auch wenn Brzoska anmerkte: „Für uns ist der Arbeitsort gar nicht mehr vorrangig – gerade auch IT-Fachkräfte müssen nicht an einem bestimmten Standort arbeiten.“ Zur Begründung des angekündigten Personalaufbaus sagte der Firmenchef: „Wir wollen wachsen und verstärken uns deshalb insbesondere auch in der Technik und im Kundendienst.“ Zudem gehe man davon aus, dass sich der Fachkräftemangel noch weiter verschärfe, und setze daher die Suche nach entsprechenden Kräften jetzt weiter fort: „Das betrifft bei uns vor allem auch Spezialisten für den Bereich Automatisierung, Software und Energiesysteme.“
Gewinn vor Steuern auf historische Bestmarke geklettert
Immer wichtiger wird die Entwicklung von Fahrzeugen, die selbsttätig und eigenständig ihren Weg durch Lagerhallen finden, indem sie Hindernisse mittels Sensoren erkennen und umkurven. Im November hat Jungheinrich das mit angeblich „marktführender Technologie“ in diesem Bereich tätige Münchner Start-up Arculus übernommen.
Bisher machen solche Produkte erst einen eher kleinen Teil des Absatzes aus, aber das dürfte sich schnell ändern: „Fahrerlose Transportsysteme und autonome mobile Roboter sind ein Segment, das sich hochdynamisch entwickelt – auch weil unsere Kunden nur noch schwer Fahrer für manuelle Stapler finden“, sagte Brzoska. Manche Jungheinrich-Kunden gingen heute von einer Automatisierungsquote von 30 Prozent bis 2030 aus.
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Im vorigen Jahr hat der Konzern den Umsatz um elf Prozent auf 4,24 Milliarden Euro gesteigert und den Betriebsgewinn (Ebit) sogar um 65 Prozent auf 360 Millionen Euro verbessert. Mit 267 (Vorjahr 151) Millionen Euro erreichte das Ergebnis nach Steuern eine historische Bestmarke. Noch deutlich stärker als der Umsatz legte der Ordereingang zu (plus 29 Prozent auf 4,9 Milliarden Euro), wobei es nach Angaben des Vorstands wegen der Lieferketten-Probleme aber nicht gelungen ist, alle Aufträge wie vorgesehen abzuarbeiten.
Jungheinrich unterstützt Familien ukrainischer Beschäftigter
Schon wegen dieses Überhangs rechnet Brzoska für 2022 ungeachtet der eingetrübten Konjunkturaussichten mit einem weiteren leichten Anstieg der Umsätze. Der Gewinn dürfte sich nach Einschätzung des Vorstands aber wegen der Materialkostenerhöhungen „deutlich“ verschlechtern.
Auf der Absatz-Seite spielen die Ukraine und Russland mit einem Prozent beziehungsweise vier Prozent Umsatzanteil nur eine untergeordnete Rolle. Ein Werk hat Jungheinrich in keinem der beiden Länder, wohl aber 83 Vertriebsmitarbeiter in der Ukraine und 576 in Russland. Schon Anfang März wurden alle Exporte nach Russland und Belarus sowie der Service dort eingestellt. Jungheinrich-Beschäftigte und das Unternehmen haben bisher einen hohen sechsstelligen Betrag für die Ukraine-Hilfe gespendet. „Eine höhere zweistellige Anzahl an Familienangehörigen unserer ukrainischen Mitarbeitenden ist bislang in benachbarte Länder geflüchtet und wird dort von uns unterstützt“, sagte Brzoska.
Aktienkurs seit Jahresanfang um 41 Prozent abgestürzt
Mit seinem Ausblick auf 2022 konnte er am Donnerstag der Jungheinrich-Aktie keinen positiven Impuls verleihen: Der Kurs schwächte sich bis zum späten Nachmittag weiter um gut zwei Prozent ab. Im vorigen Jahr hatte sich das Papier zwar mit einem Plus von 23 Prozent noch spürbar besser als der Gesamtmarkt entwickelt, ist seit Anfang 2022 dann aber um 41 Prozent abgestürzt.
In den vergangenen Tagen kam es wohl auch deshalb zu mehreren Kaufempfehlungen von Analystenhäusern. So stufte die Privatbank Hauck Aufhäuser Lampe die Aktie von Jungheinrich am Dienstag von „Halten“ auf „Kaufen“ hoch. Denn, so führte der Wertpapierexperte Jorge Gonzalez Sadornil in seinem Kommentar an: „Am Horizont ist mehr Licht als Schatten.“