Hamburg. 225 Jahre nach der Gründung macht sich Tee Zwanck an der Kattrepelsbrücke auf den Weg der Modernisierung. Aber ganz vorsichtig.
Auch wenn man mit geschlossenen Augen durch die Ladentür treten würde, wäre sofort klar, wo man sich befindet. In der Luft liegt ein feiner Duft, unverwechselbar nach Tee. Die Sinne sind aktiviert. Erst kommt das Riechen, dann das Sehen. In den Regalen in dem Geschäft in der Altstadt stehen Earl Grey Blue Star, Goldener Drache, Frühstückstee, abgepackt in silbrig glänzenden Tüten und durchnummeriert.
Hier hat sich seit Jahrzehnten nichts geändert. Hier ist nichts inszeniert. Hier wird Tee verkauft. „Wir führen 150 Sorten, davon 20 Mischungen nach eigenen Rezepten“, sagt Ilka Dikkeschey und bindet ihre Schürze hinter dem Rücken. Die 83-Jährige ist die Inhaberin von Tee Zwanck. Immer noch steht sie fast jeden Tag hinter dem Verkaufstresen von Hamburgs ältester Teehandlung. Und da macht ihr so schnell niemand etwas vor.
Traditionsgeschäft Hamburg: Tee Zwanck modernisiert
Seit 225 Jahren wird das Wissen um Assam, Ceylon, Darjeeling oder die besondere Noblesse von Earl Grey bei Tee Zwanck von Generation zu Generation weitergegeben. „Unsere Stärke sind Schwarztees und Schwarztee-Mischungen“, sagt Ilka Dikkeschey. Daran soll sich auch künftig nichts ändern, obwohl Tees aus Kräutern und Früchten in der Branche gerade den Trend bestimmen. „Das Jubiläum zeigt, dass Krisen durch eine kontinuierliche Besessenheit von Qualität überwunden werden können“, erklärt die Senior-Chefin, die den Familienbetrieb nach dem Tod ihres Ehemanns und ihres Vaters 1998 übernommen hatte. Damals war sie 60 Jahre alt. Seit einigen Jahren arbeitet Tochter Katharina Westphal auch im Geschäft mit. Jetzt ist der jüngste Enkel John Westphal eingestiegen. „Die Firma“, sagt die Grande Dame des Teehandels mit feinem Lächeln, „bleibt nicht nur in der Familie, sondern auch in guten Händen.“
Gegründet worden war das Unternehmen auch von einem Westphal. Gottlieb Wilhelm Alexander Westphal hatte seinen Teehandel im September 1796 am Cremon nicht weit vom heutigen Standort entfernt eröffnet. Zwar gibt es nach einigen Eigentümerwechseln keine familiären Beziehungen zu den heutigen Westphals – aber ein bisschen hat die Namensgleichheit etwas von einem Wink des Schicksals. Der ebenfalls bis heute existierende Teehandel G.W.A. Westphal und das dazugehörige Ladengeschäft waren 1892, kurz nach dem Beitritt Hamburgs in den Deutschen Zollverein, getrennt worden.
„Bei uns ist wirklich alles Handarbeit“
Der damalige Prokurist Ernst Zwanck übernahm den Tee-Einzelhandel und führte ihn unter seinem Namen weiter. In einer Annonce empfahl er sich als Hamburgs erstes Spezialgeschäft für „Thee“ und Hoflieferant der prinzlichen Haushalte auf Schloss Plön. In den Jahren darauf entstand das Markenzeichen mit einem Chinesen, dessen Körper ein großes Z ist. Tee Zwanck zog an die Holzbrücke, später an den Plan. Beide Standorte wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. 1958 übernahm der Vater der heutigen Inhaberin, Hermann Otto Boesche, die Firma.
„Ich bin mit Tee aufgewachsen“, sagt Ilka Dikkeschey. Jetzt führt sie in das Lager der heutigen Teehandlung an der Kattrepelsbrücke. Neben der Treppe in den Keller gibt es eine Rampe für die Teesäcke, darüber hängt ein Kranhaken. Unten lagern die Vorräte in schönen große Holzkisten, in denen Tee früher transportiert wurde, in den Regalen. Mitten im Raum stehen eine Mischmaschine und eine altmodische Waage mit Gewichten à ein, zwei und fünf Kilo.
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Das mag auf den ersten Blick aussehen wie im Museum, aber bei Tee Zwanck ist alles regelmäßig im Einsatz. Nebendran auf dem Holztisch wird alle vier Wochen vor allem der beliebte Earl Grey mit Kornblumen und Bergamotte-Öl aromatisiert. „Bei uns ist wirklich alles Handarbeit“, betont Katharina Westphal.
Das Geschäft mit dem Tee läuft
Viele Tees bezieht die Teehandlung seit Jahrzehnten über Importeure von Plantagen in Indien, China und Japan, die schon Familienpatriarch Hermann Otto Boesche ausgewählt hatte. „Er war nicht nur ein Teekenner, sondern auch ein anerkannter Teeverkoster“, sagt seine Nachfolgerin. Auch sie probiert mit Tochter und Enkel regelmäßig Muster aus der aktuellen Ernte, die sie zugesandt bekommt. Inzwischen setzt die Teehandlung parallel auf Direktimporte. John Westphal hatte noch während seines Masterstudiums an der renommierten London School of Economics, das er im vergangenen Jahr abgeschlossen hat, erste Kontakte geknüpft.
Unter anderem zu einer kleinen Teeplantage in Taiwan, von wo Tee Zwanck jetzt einen besonders feinen Oolong bezieht. „Die Kunden erwarten heute, dass wir den Ursprung unseres Tee kennen und auf Nachhaltigkeit achten“, sagt der 24-Jährige. Er hat auch einen neuen Assam aus dem Nordosten Indiens ins Programm geholt. „Der kommt von einer Bio-Plantage.“ Das Besondere: Die Produzenten werben nicht nur mit Elefanten, sondern gestalten ihren Teeanbau besonders elefantenfreundlich.
Das kommt auch bei jüngeren Kunden gut an. Überhaupt läuft das Geschäft mit dem Tee. Tee Zwanck hat Stammkunden in der ganzen Republik, die sich ihre Teepakete regelmäßig über den traditionellen Versandhandel zusenden lassen. Zusätzlich hat die Pandemie offenbar die Lust am Tee verstärkt. „Gerade im Homeoffice sind viele wieder auf den Teegeschmack gekommen“, sagt Westphal Junior. Schon vor Corona hat der Versand etwa zwei Drittel des Umsatzes ausgemacht. „Nachdem wir 2020 den Onlineshop erneuert haben, hat sich der Umsatz im vergangenen Jahr vervierfacht“, sagt der Junior-Chef. Die konkreten Zahlen will er nicht preisgeben. Aber auch in den Laden kämen mehr Kunden. „Insgesamt haben wir 50 Prozent mehr Umsatz als vor Corona.“
Tee Zwanck: Teebeutel in Handarbeit hergestellt
Das gibt Spielraum für weitere Veränderungen. Unter anderem beliefert Tee Zwanck inzwischen auch mehr Restaurants und Cafés in Hamburg, wie die Alte Druckerei in der direkten Nachbarschaft, das vegane Café Nasch im Gängeviertel und das Passage-Kino in der Mönckebergstraße. Seit vergangenem Jahr bietet Tee Zwanck auch Teebeutel an. Ein Novum für den Händler. „Wir haben gemerkt, dass diese Zubereitungsart für die Gastronomie sehr interessant ist“, sagt John Westphal. Im Moment produziert er die Pyramidenbeutel aus biologisch abbaubaren Material noch in Handarbeit selbst, meistens in einer Nachtschicht. „Ich schaffe 120 Stück in der Stunde“, sagt er und grinst. Angesichts der steigenden Nachfrage sucht er allerdings einen Abfüller, der ähnliche Qualität liefert – und größere Mengen schafft. Weitere Expansionschancen sieht er außer in Hotellerie und Gastronomie künftig bei Unternehmen.
Auch im Laden will das Tee-Trio umbauen. Etwa modernisieren? John Westphal winkt ab. Die Idee ist, die Arbeitsprozesse wie Mischen und Abfüllen der typischen Zwanck-Tees, die bislang hinter Trennwänden verborgen waren, in den Verkaufsraum zu integrieren. „Wir wollen uns treu bleiben. Alles, was wir tun, ist durch unsere Geschichte belegt“, sagt er und schaut dabei zu seiner Großmutter. Noch ist sie die Chefin im Haus. Im April reist der Junior-Chef zum ersten Mal nach Indien, um Plantagen zu besuchen und Tees zu probieren. Der Generationswechsel ist eingeleitet.