Hamburg. Das Großhandels-Start-up Ankorstore beliefert bereits 700 Geschäfte in der Stadt. Eine moderne Internetplattform macht es möglich.
Elegantes Briefpapier, gute Stifte, Notizbücher in allen Größen und Farben – auf der Suche nach schönen Schreibwaren wird man im Laden von Christine Bruhn gut bedient. Vor fast 20 Jahren hat sie den traditionsreichen Betrieb aus der Familie ihres Ehemanns übernommen und zu einer Papeterie mit Anspruch gemacht. In den Verkaufsräumen am Spritzenplatz in Ottensen bleibt kaum ein Fleck ungenutzt.
In Vitrinen und Ständern, auf Regalen und Tischen sind zigtausend Artikel liebevoll drapiert. Neben dem klassischen Sortiment hat die Einzelhändlerin immer Neues und Unerwartetes im Angebot. Zum Beispiel eine neue Auswahl an Postkarten, die gerade reingekommen sind. Alle in Schwarz-Weiß und mit typografischen Motiven. „Das Design finde ich richtig gut“, sagt Bruhn und zeigt auf den prall gefüllten Ständer. „Wann, wenn nicht jetzt“ steht auf einer. Das passt.
Einzelhandel Hamburg: Hersteller kommen von überall
Das Besondere ist Bruhns Geschäftsprinzip. In ihrem Laden versammelt die Unternehmerin Marken und Hersteller aus allen Teilen Deutschlands, gern auch aus anderen europäischen Ländern. Nicht nur Schreibwaren. Es gibt auch edle Seidentücher aus der Haute Provence, lustige Stofftiere aus London, filigrane Armbändchen aus Bayern. Die Postkarten mit den schön geschriebenen Sätzen zum Nachdenken kommen von einer kleinen Druckerei aus Stuttgart.
„Die einzige Überlebenschance für den inhabergeführten Einzelhandel ist, ein Einkaufserlebnis zu vermitteln“, sagt Christine Bruhn. Die Corona-Pandemie hat diese Entwicklung noch mal beschleunigt. „Es ist eine schwere Zeit für uns“, sagt die Ladeninhaberin, die nicht nur wochenlang schließen, sondern auch mit erschwerten Beschaffungswegen kämpfen musste. Messen wurden abgesagt, Vertreter kamen gar nicht oder selten. Dazu gibt es Produktionsengpässe und Lieferschwierigkeiten bei den Herstellern.
Ankorstore will den Großhandel digitalisieren
Dass sie trotzdem immer wieder neue Artikel und Marken im Angebot hat, hat auch mit Constantin Langholz-Baikousis und seinen Kollegen von Ankorstore zu tun. Das Start-up ist angetreten, den Großhandel zu digitalisieren. „Wir bringen unabhängige Marken und lokale Einzelhändler zusammen“, sagt Langholz-Baikousis. Der gebürtige Hamburger ist seit Oktober 2021 Deutschlandchef der Internetplattform mit Sitz in Berlin.
Das Unternehmen war vor drei Jahren in Paris gegründet worden, seit 2020 ist Ankorstore auch in Deutschland auf dem Markt. 20.000 Händler bestellen hierzulande inzwischen über die Großhandelsplattform mit mehr als einer Million Produkten, insgesamt sind es mehr als 200.000. Im Januar hat Ankorstore eine Finanzierungsrunde über 250 Millionen Euro abgeschlossen und wird mit 1,7 Milliarden Euro bewertet.
Portal listet mehr als 15.000 Markenhersteller in Deutschland
Das Prinzip ist einfach: Einzelhändler können sich bei dem Portal registrieren und mit einem Mindestbestellwert von 100 Euro bei mehr als 15.000 Markenherstellern in Deutschland einkaufen. „Sie können sich inspirieren lassen, vielfältige Sortimente individuell zusammenstellen, tun was sie am besten können. Wir übernehmen das Drumherum“, sagt Deutschlandchef Langholz-Baikousis. Der 35-Jährige, der vorher fünf Jahre bei Zalando war und das Mode-Start-up Aiyde gegründet hat, sieht in Deutschland einen starken Wachstumsmarkt für das Technologieunternehmen.
Denn nicht nur das Entdecken von neuen interessanten Produkten ist für kleine Händler schwierig, auch die Abwicklung der Bestellung mit Versand und Zollauflagen ist oft eine große Herausforderung. „Wir verstehen uns auch als Retter lokaler Läden“, sagt er – und quasi als Gegenmodell zu Amazon. In Hamburg beliefert Ankorstore inzwischen knapp 700 Geschäfte.
„Es ist gerade jetzt eine sehr gute Möglichkeit“
Papeterie-Besitzerin Christine Bruhn bestellt seit Beginn der Corona-Pandemie auch bei Ankorstore. „Es ist gerade jetzt eine sehr gute Möglichkeit“, sagt sie. Dreimal die Woche sei sie auf der Großhandelsplattform unterwegs, klicke sich durch die neuen Angebote, sagt sie. Mehrere Hundert Artikel von 15 bis 20 Marken hat sie inzwischen für ihr Sortiment entdeckt und geordert. „Für mich ist wichtig, dass die Mindestbestellmenge gering ist und ich so Produkte ausprobieren kann.“ Ein weiterer Vorteil: Die Pakete kommen ab einem Rechnungsbetrag von 300 Euro frachtfrei ins Haus. Zusätzliche Kosten für den Service entstehen für sie nicht.
Ankorstore verdient über die Provisionen, die die Hersteller zahlen. Dabei werden 20 Prozent bei Erstbestellungen und 10 Prozent bei jeder weiteren Order fällig. „Wir prüfen genau, welche Firmen wir auf die Plattform aufnehmen“, sagt Constantin Langholz-Baikousis, der den Aufbau in Deutschland mit einem 30-köpfigen Team vorantreibt. Dabei gehe es um unabhängige Produzenten mit einer Geschichte, Herstellungsverfahren und die Qualität der Produkte. „Wir wollen Vielfalt und keine Handelsketten“, so der Ankorstore-Chef. Inzwischen sind 2500 Marken aus dem deutschsprachigen Raum dabei, darunter einige aus Hamburg.
Finanzierung von mehr als 400 Millionen US-Dollar
Auch für die Hersteller ist der Vertriebskanal attraktiv. So hat etwa das kleine Hamburger Unternehmen Eulenschnitt, das seit 2013 Produkte für den täglichen Bedarf vom Frühstücksbrettchen bis zur Fußmatte herstellt, im vergangenen Jahr über Ankorstore einen Jahresumsatz in Höhe von 450.000 Euro erwirtschaftet.
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Online-Marktplätze wie Ankorstore sind ein neuer Trend. Pionier und Branchenprimus ist das Unternehmen Faire, das 2017 in San Francisco gegründet wurde. Inzwischen sind auf dem Großhandelsplatz 300.000 Einzelhändler und mehr als 40.000 Marken registriert. Im November 2021 war der Online-Handelsplatz mit 12,4 Milliarden US-Dollar bewertet worden und hatte sich eine Finanzierung von 400 Millionen Dollar gesichert. Seit vergangenem Jahr ist Faire auch in Europa aktiv. Deutschland gilt Experten zufolge als einer der stärksten europäischen Märkte.
Einzelhandel Hamburg: Ankorstore nur für Händler
Auch Langholz-Baikousis will in diesem Jahr das Markenangebot aus dem deutschsprachigen Raum bei Ankorstore deutlich ausbauen. „Außerdem wollen wir die Plattform technisch weiterentwickeln und die Betreuung der Einzelhändler verstärken“, sagt er. Endkunden können übrigens nicht auf der Plattform bestellen – aber sie können ausgewählte Produkte in kleinen Läden wie in der
Papeterie von Christine Bruhn kaufen.