Hamburg. Marc Fielmann über die Pandemie, den Krieg in der Ukraine, einen schwachen Aktienkurs und seine ambitionierten Pläne für die Zukunft.

Marc Fielmann ohne Krawatte? Bisher war dies bei Abendblatt-Interviews undenkbar – nun ist es Realität. Der 32-jährige Vorstandsvorsitzende der Hamburger Augenoptikerkette hat sich aber nicht nur äußerlich verändert. Es ist eine Mischung aus Lockerheit, Selbstbewusstsein und Verbindlichkeit, die der junge Vater bei dem Termin mit unserer Zeitung ausstrahlt. Marc Fielmann scheint endgültig angekommen zu sein – in seiner Rolle als Nachfolger von Vater, Firmengründer und Branchenlegende Günther Fielmann. Der Junior drückt dem Familienunternehmen nach und nach seinen eigenen Stempel auf. Auch wenn die aktuell hohen Investitionen auf Kosten kurzfristiger Gewinne gehen – Marc Fielmann lässt sich auf seinem Weg nicht beirren.

Herr Fielmann, Sie stehen seit gut zwei Jahren allein an der Spitze des Unternehmens, kurz darauf kam Corona. Wie hoch ist der Druck für Sie als Vorstandschef in der Krise?

Marc Fielmann Der war anfangs extrem groß. Aber hoher Druck kann ja auch etwas Positives erzeugen. Nach dem ersten Schock haben wir angefangen, Lösungen zu schaffen, unsere Kunden und Mitarbeiter zu schützen, Schutzbrillen zu produzieren, die Liquidität zusammenzuziehen. Und wir haben schnell festgestellt, dass wir – selbst wenn es hart auf hart gekommen wäre und wir gar keine Umsätze mehr gemacht hätten – mindestens ein halbes Jahr lang hätten weitermachen und alle Mitarbeiter bezahlen können. Das war die Stunde des Unternehmers.

War das eine Art Reifeprüfung?

Wenn ich nicht schon vorher im Unternehmen angekommen wäre, wäre es schwierig geworden. Ich würde sagen, es war die letzte große Prüfung. Wir liegen in diesem Jahr komplett in der Prognose, schließen beim Außenumsatz nach vorläufigen Zahlen 19 Prozent über dem Vorjahr ab und zehn Prozent über 2019. Beim Ergebnis sind wir noch nicht wieder auf Vorkrisenniveau. Das liegt an den hohen Investitionen – die haben wir mit der Vision 2025 deutlich ausgeweitet. Mich haben in der Pandemie viele langjährige Mitarbeiter angerufen und mir ihr Vertrauen ausgesprochen. Das hat mich sehr gefreut.

Aktuell bestimmt der Krieg in der Ukraine die weltweiten Schlagzeilen. Fielmann hat dort 36 Niederlassungen und 250 Mitarbeiter. Wie ist die aktuelle Situation? Wie soll es dort weitergehen?

Die Situation hat uns überrascht und schockiert. Zuerst einmal haben wir die Niederlassungen geschlossen, damit sich alle Mitarbeiter in Sicherheit bringen konnten. Dann haben wir die Gehälter vorab ausgezahlt, damit die Menschen Geld in der Hand haben. Nun stehen wir in regelmäßigem Kontakt und helfen, so gut das eben aus Hamburg und über unsere Geschäftsführung aus Kiew geht. Für unsere Kunden bieten wir dort, wo es geht, einen Notdienst für die dringendsten Fälle an. Außerdem haben wir unseren internen Hilfsfonds aktiviert, über den Mitarbeiter und das Unternehmen den Kollegen vor Ort finanziell helfen werden. Wir stehen da als Familienunternehmen zusammen.

Die Auswirkungen der Weltlage auf Fielmann

Ihr Vater Günther Fielmann hat das Unternehmen lange stark geprägt. Wie reagiert er auf die unruhige Weltlage und die Auswirkungen auf das Unternehmen?

Er ist zufrieden mit der Konstellation im Unternehmen, so wie sie jetzt ist. Zu einer gelungenen Nachfolge gehört, dass man weiß, wer verantwortlich ist. Das ist bei uns klar geregelt.

Gibt er Ihnen Ratschläge?

Ich sehe meinen Vater häufig und regelmäßig, aber über die Firma reden wir nicht mehr so viel.

Wie geht es ihm gesundheitlich?

Dem Alter entsprechend.

Ihre Schwester Sophie ist bislang nicht im Unternehmen aktiv. Gibt es Pläne, das zu ändern?

Meine Schwester macht gerade ihre Promotion in Psychologie in Cambridge. In den nächsten eineinhalb bis zwei Jahren ist ein Wechsel kein Thema, und auch darüber hinaus gibt es keine konkreten Pläne, dass sie ins Unternehmen eintritt. Aber die Türen sind immer offen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen.

Neue Arbeitswelt durch Corona

Wie hat sich Ihr persönlicher Arbeitsalltag durch Corona geändert?

Bei uns in der Zentrale ist es generell so, dass die meisten Mitarbeiter sowohl von zu Hause als auch im Büro arbeiten wollen. Und so ähnlich ist das auch bei mir. Wir haben als Familie nicht nur die Fielmann AG, sondern auch einige andere Unternehmen, zum Beispiel einen ziemlich großen landwirtschaftlichen Betrieb in Schleswig-Holstein mit Rinderzucht, ökologischem Ackerbau – und fast 60 Mitarbeitern. Die Arbeit auf dem Hof und für das Unternehmen verbinde ich jetzt manchmal, zum Beispiel, wenn ich am Wochenende mit meiner Familie in Schierensee bin.

Wird die Möglichkeit, mobil zu arbeiten, inzwischen von Bewerbern bei Neueinstellungen verlangt?

Es wird immer wichtiger, dass die Arbeit flexibel geregelt ist. Für uns als Arbeitgeber gehört aber auch dazu, dass gerade Führungskräfte einmal im Büro sind, etwa um ein Personalgespräch zu führen oder an einem Meeting teilzunehmen. Ansonsten ist es mir als Vorgesetzter egal, wo ein Mitarbeiter seine Arbeit macht. Hauptsache, das Ergebnis stimmt. Überall dort, wo es möglich ist, bieten wir die größtmögliche Flexibilität an. Ein Augenoptiker in der Niederlassung kann allerdings auch weiterhin nicht virtuell beraten.

Welche Auswirkungen haben die Veränderungen auf die Zentrale in Barmbek?

Wir haben schon vor Corona 1500 Qua­dratmeter umgebaut. Dort probieren wir aus, wie die Arbeit bei Fielmann künftig aussieht. Wie viele Einzelbüros müssen wir einrichten, wie viele feste und wie viel geteilte Arbeitsplätze brauchen wir? Wir schätzen, dass wir künftig 20 bis 30 Prozent weniger Bürofläche benötigen werden, weil viele Mitarbeiter auch weiterhin mobil arbeiten wollen. Weil wir parallel wachsen, wird die Gesamtfläche voraussichtlich aber nur um zehn Prozent schrumpfen. Die Planungen für das neue Bürokonzept laufen. Um es umzusetzen, müssen wir auf jeden Fall in absehbarer Zukunft umziehen.

Verlässt Fielmann die Weidestraße?

Das bedeutet, Sie werden die Weidestraße verlassen?

Nicht unbedingt. Aber wir müssten ausziehen, das Gebäude entkernen und umbauen, wenn wir hierbleiben wollen. Es kann sein, dass das nur eine Übergangslösung sein wird und wir danach wieder einziehen. Im Moment laufen aber auch Gespräche mit mehreren anderen Vermietern und Immobilienentwicklern. Es entscheidet sich noch in diesem Jahr, wo Fielmann in den nächsten zehn bis 15 Jahren seine Zentrale haben wird.

Bleibt die Fielmann-Zentrale auf jeden Fall in Hamburg?

Das ist wahrscheinlich, hängt aber von den jetzt laufenden Gesprächen ab. In jedem Fall ist die Anfahrtszeit und Erreichbarkeit für unsere Mitarbeiter natürlich ein wesentliches Kriterium.

Fielmann kommt wirtschaftlich vergleichsweise gut durch die Corona-Krise, aber wenn man auf den Kapitalmarkt schaut, ist die Situation weniger rosig. Während fast alle deutschen Aktien seit Beginn der Pandemie bis zum Beginn des Ukraine-Krieges an Wert gewonnen hatten, hatte das Fielmann-Papier da bereits rund 30 Prozent verloren. Wie ist Ihre Antwort an die Aktionäre?

Die müssen sich keine Sorgen machen. Fielmann ist eine langfristige, wertstabile Anlage mit einer sehr guten Dividenden-Entwicklung. Wir werden die Dividende allein 2022 um 25 Prozent erhöhen. Das ist eine attraktive Alternative etwa zu Staatsanleihen. Ich setze auf unsere längerfristige Strategie, die Börse ist oft aber nur von kurzfristigen Entwicklungen geprägt. Wenn ich jetzt im Interview sagen würde, dass wir im nächsten Quartal wieder eine 16 Prozent- Ebt-Rendite erreichen, dann würde sich der Kurs sofort nach oben bewegen. Aber das sage ich nicht, weil es nicht realistisch ist und wir jetzt lieber kräftig investieren, um langfristig optimal aufgestellt zu sein.

Machen Sie es sich nicht ein bisschen zu einfach?

In den vergangenen zwei Jahren hat sich im Unternehmen Fielmann nichts Essenzielles geändert. Nur die Quartalsgewinne sind wegen der Ausnahmesituation in der Corona-Pandemie gesunken. Und darauf bauen viele Anleger ihre Prognosen auf. Früher war es immer so, dass uns vorgeworfen wurde, dass die Zukunftsaussichten fehlten und die Gefahr bestehe, dass Fielmann die Digitalisierung verschlafen könnte. Jetzt kritisieren nicht wenige die hohen Investitionen in die Expansion und Digitalisierung. Ich bin mir sicher: Wir sind auf dem richtigen Weg.

Das prognostiziert Fielmann für 2022

Wie ist Ihre Pro­gnose für 2022?

Wenn die Corona-Welle abebbt und sich die Situation vollständig normalisiert, werden wir bei Fielmann ein zweistelliges Umsatzwachstum sehen. Ein wesentlicher Faktor ist dabei, wie es mit der Büroarbeit und den Frequenzen in den Innenstädten weitergeht. Im Moment sind die Kundenzahlen in den Stadtteilen und in den kleineren Städten stabil, aber die Niederlassungen in den Zentren der Großstädte leiden unter den Frequenzrückgängen.

Wird es auch in Deutschland neue Standorte geben?

Wir planen in diesem Jahr fünf neue Standorte in Ost- und Süddeutschland. Insgesamt planen wir Baumaßnahmen in 120 Niederlassungen, davon sind 50 Neueröffnungen.

Was ist in Norddeutschland mit Blick auf die Filialen geplant?

Wir haben hier ein sehr dichtes Netz, allein Hamburg mit 23 Standorten. Aber es sind Umbauten und Erweiterungen geplant, unter anderem in Ottensen. Da werden wir auf 400 Quadratmeter vergrößern und rechnen dort mit einer Umsatzsteigerung von 40 Prozent.

Werden Brillen von Fielmann bald teurer?

Im Moment steigen überall die Preise. Werden auch Fielmann-Brillen teurer?

Bei uns steigen die Kosten nicht ganz so stark, weil wir selbst produzieren. Wir haben im Bereich der Brillengläser sogar die Preise reduziert. Bei Brillenfassungen sind die Preise stabil.

Für viele Firmen war in der Corona-Krise das Onlinegeschäft ein wichtiges Standbein. Die Fielmann-App, über die man Brillen mit Korrektionsgläsern bestellen kann, fristet eher ein Schattendasein. Wann kommt der Durchbruch für das Onlinegeschäft mit Brillen?

Das wäre ein Blick in die berühmte Glaskugel. Aktuell ist das Interesse der Kunden, Brillen online zu kaufen, noch ziemlich gering. Und die Technologie ist deutlich komplexer, als auch ich mir das anfangs vorgestellt habe. Wir investieren seit fünf Jahren sehr viel Geld in augenoptische Messtechnologie. Wir haben inzwischen 25 Patente, und trotzdem ist es nicht so einfach, die beiden wesentlichen Technologien – die Brillenglaszentrierung und den Sehtest – online abzubilden. Das hat dazu geführt, dass wir das Angebot bei Fassungen und Gläsern einschränken müssen. Wir bleiben dabei, dass wir keine halb garen Lösungen auf den Markt bringen.

Da rudern Sie hinter die Ankündigungen der vergangenen Jahre zurück.

Die App ist live, da liegen wir im Zeitplanhorizont. Der Online-Sehtest ist komplexer, als wir uns das vorgestellt haben. Aber ich bin zu 100 Prozent davon überzeugt, dass man in Zukunft auch eine Gleitsichtbrille in der gleichen Qualität online bestellen kann wie im Laden. Sonst würden wir nicht zweistellige Millionenbeträge investieren. Aber ich habe mich verschätzt, was die Komplexität der Technologien angeht.

So weit ist Fielmann im internationalen Vergleich

Wie weit ist Fielmann im Vergleich zur weltweiten Konkurrenz?

Wir sind das führende Unternehmen, was die Online-Messtechnologie für Smartphones angeht. Wir arbeiten dabei mit Start-ups und mit anderen großen Konzernen zusammen Das ist die einzige Chance, mit den großen Technologie-Unternehmen mitzuhalten. Meine Sorge ist nicht, dass ein Mitbewerber eine Messtechnologie vor uns zur Marktreife führt, sondern dass Google oder Apple es machen.

Die vergangenen beiden Jahren waren eine Art Reifeprüfung oder auch Bewährungsprobe für Sie als Chef. Wie hat sich der Mensch Marc Fielmann verändert?

Ich bin gelassener geworden. Wenn man sich in dieser Zeit von jeder neuen Nachricht unter Druck setzen lassen würde, stünde man unter Dauerdruck. Das hielte der Körper nicht aus.

Haben Sie Strategien gegen Stress entwickelt – wie Ausdauersport, Yoga oder Meditation?

Ich tanke bei meiner Familie und in der Natur auf. Zudem habe ich einen exzellenten Coach.

Apropos Familie. Inzwischen sind Sie selbst Vater. Wie muss man sich den Papa Marc Fielmann vorstellen? Wechseln Sie auch Windeln und singen Gute-Nacht-Lieder?

Ja und ja. Zudem bin ich sehr dankbar, dass meine Frau eine ganz tolle Mama ist.