Hamburg. Seit Monaten sprechen Airbus und IG Metall über den Konzernumbau. Am Montag ist die letzte Verhandlungsrunde. Was die Knackpunkte sind.
Der geplante Konzernumbau bei Airbus hat in den vergangenen Monaten für viel Aufregung gesorgt. Mehrfach äußerten Betriebsrat und IG Metall in Journalistengesprächen ihre Sorgen um die Mitarbeiter, der Konzern stellte seine Sicht der Dinge dar. Doch in den vergangenen Tagen wurden von beiden Seiten Gesprächsversuche abgeblockt. Die Auseinandersetzung steuert auf die Ziellinie zu – offenbar will derzeit keine Partei die andere mit öffentlichen Aussagen vor den Kopf stoßen.
Am Montagvormittag treffen sich Management und Arbeitnehmervertreter zur wohl letzten Verhandlungsrunde. Denn bis zum 31. Januar müsse ein Ergebnis her, sonst werde man die Urabstimmung über Streiks einleiten, hatte Emanuel Glass als Zweiter Bevollmächtigter der IG Metall Hamburg am vergangenen Dienstag gesagt. Das Abendblatt analysiert die aktuelle Ausgangslage und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Airbus: Was plant das Unternehmen?
Im April 2021 hatte der Flugzeugbauer angekündigt, dass die Rumpffertigung neu aufgestellt werden soll. Bisher werden die Rumpfschalen bei der 2009 ausgelagerten 100-prozentigen Tochter Premium Aerotec Group (PAG) gefertigt. Zukünftig sieht das Unternehmen diesen Bereich aber wieder als Kernaktivität an. Das hängt mit dem geplanten „grünen“ Flugzeug zusammen, das Airbus 2035 auf den Markt bringen möchte.
Es soll mit Wasserstoff angetrieben werden, der durch erneuerbare Energien gewonnen wurde. Weil das verflüssigte Gas in der benötigten Menge sehr voluminös ist, dürfte es zu gravierenden Veränderungen der Flugzeugarchitektur führen. Während Kerosin vor allem in den Tragflächen untergebracht ist, dürfte Wasserstoff vor allem im Rumpf platziert werden. Daher soll die Rumpffertigung zurück in den Konzern geholt und eine „moderne, industrielle Fertigung“ aufgebaut werden – die allerdings in neuen Töchtern erfolgen soll.
Was ist in Hamburg geplant?
Der DAX-Konzern plant drei neue Firmen. Für das Hamburger Werk ist die beabsichtigte Aerostructure-Einheit ASA die entscheidende. Von den rund 14.000 Beschäftigten auf Finkenwerder sollen etwa 4000 aus der Airbus Operations GmbH in dieses neue Unternehmen wechseln, das zu 100 Prozent im Besitz von Airbus bleiben soll. Diese Mitarbeiter sind in der Struktur- und Ausrüstungsmontage tätig. Sie bauen also Rumpfschalen zu Rumpfsektionen zusammen.
Ihre Kollegen rüsten diese dann mit Elektrokabeln, Hydraulik- und Klimarohren aus. Zudem soll das komplette Werk Stade mit seinen rund 2000 Beschäftigten in die ASA-Tochter wechseln ebenso wie rund 150 PAG-Beschäftigte in der Hansestadt. Von PAG sollen die Standorte Nordenham und Bremen sowie Teile von Augsburg in diese Neugründung wechseln. Rund 9500 Beschäftigte dürfte das neue Unternehmen künftig zählen.
In der Airbus Operations GmbH verbleiben die Endlinien, an denen die Flieger zusammengebaut werden, das Auslieferungszentrum und ein Großteil des Engineerings mit rund 3500 Ingenieuren.
Was sind die Knackpunkte in Hamburg?
Die Gründung der neuen Tochter kann Airbus im Alleingang vornehmen. Eine Zustimmungspflicht der Arbeitnehmervertreter besteht nicht. Mit der Gründung einer neuen Firma hat sich die IG Metall im Prinzip abgefunden. Allerdings darf sie einen Sozialtarifvertrag fordern – und das tut sie. In diesem werden die Bedingungen für Beschäftigte festgelegt, die bei Airbus Operations und der künftigen ASA vom Umbau betroffen sind. Aus Hamburger Sicht dürfte es vor allem um zwei Problemfelder gehen.
Man fordere eine Standort- und Beschäftigungsgarantie bis 2035, hatte Glass dem Abendblatt am Dienstag gesagt. Anfang Dezember sicherte der Konzern zwar eine Mindestauslastung der Standorte sowie den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen zu – allerdings nur bis Ende 2025.
Das klingt zwar lang, aber: Anfang 2012 einigten sich Airbus und IG Metall auf den Zukunftstarifvertrag, der beispielsweise bessere Bedingungen für Leiharbeiter und den Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen vorsah. Die Laufzeit: fast neun Jahre bis Ende 2020. Lange Abschlüsse haben zwischen den Parteien also eine gewisse Tradition. Ob sich Gewerkschaft und Unternehmen auf eine Laufzeit einigen können, dürfte einer der Knackpunkte der Gespräche sein.
Zumal auf der Arbeitnehmerseite die Befürchtungen groß sind, dass Airbus künftig verstärkt in außereuropäischen Ländern Flugzeuge fertigen will, weil das Lohnniveau dort geringer ist. Die Fertigung eines Nachfolgers der A320-Familie, die zu mehr als der Hälfte auf Finkenwerder endmontiert wird, will man aber unbedingt an der Elbe halten.
Ein Bekenntnis des Unternehmens dazu fordert die IG Metall – auch in Form von Geld. Für deren Verhandlungsführer Daniel Friedrich sind die avisierten Investitionen von 1,5 Milliarden Euro – Airbus spricht sogar von nahezu zwei Milliarden Euro – zwar eine hohe Summe. „Aber man muss auch deutlich sagen: Sie sichert maßgeblich den Hochlauf ab“, sagte er Anfang Dezember.
Nach dem coronabedingten Absenken der Produktionsraten auf konzernweit 40 A320-Flieger pro Monat wird die Fertigung nun wieder hochgefahren auf 65 Exemplare im Sommer 2023 – so viel wie nie zuvor. Das Auftragsbuch ist mit mehr als 5800 Maschinen des Typs prall gefüllt. Es liegt daher im kaufmännischen Interesse des Unternehmens, dafür notwendige Investitionen zu tätigen und diese Jets pünktlich an die Kunden auszuliefern.
Eine Zusicherung für Arbeitspakete am künftigen A320-Nachfolger inklusive benötigter Investitionen in Forschung und Technologien dürfte also ein weiteres Kernproblem der Gespräche sein.
Was ist der Hauptstreitpunkt?
Der Fokus der Auseinandersetzung spielt sich nicht in Hamburg ab, sondern bei PAG in Varel und im Augsburger Werk IV. Die beiden Standorte sind in der sogenannten Einzelteilefertigung mit rund 3500 Beschäftigten aktiv. Airbus hält den Bereich für verlustreich, will ihn in einer zweiten Tochtergesellschaft bündeln und an einen Investor verkaufen.
Im Dezember sicherte das Unternehmen zu, mit immerhin 25,1 Prozent an der Einzelteilefertigung beteiligt zu bleiben. Die bisher gewohnten sozialen Standards sollten beibehalten werden. Der Investor sollte nach strengen Kriterien ausgewählt werden, die dann zusammen mit der Arbeitnehmerseite festgelegt werden.
Vor rund zwei Monaten sagte IG- Metall-Verhandlungsführer Friedrich: „Wir haben große Zweifel, dass die Investorenlösung funktionieren kann.“ Einen Investor mit einer starken industriellen Perspektive, der Aufträge mitbringe und soziale Standards erfülle, sehe man nicht. Ursprünglich wurde auch PAG übrigens zu einer Airbus-Tochter, um sie zu verkaufen.
In den vergangenen 13 Jahren fand sich für sie allerdings kein Abnehmer. Dem Vernehmen nach wird – vielleicht auch aus der Not heraus – nun auch wieder über eine lange von der Gewerkschaft geforderte andere Lösung gesprochen: dem Verbleib der Einzelteilefertigung im Konzern. Dieser Schritt dürfte allerdings mit einer Restrukturierung und erheblichen Einschnitten verbunden sein.
Gibt es Chancen auf eine Einigung?
Es wird vor allem davon abhängen, inwieweit man sich in den vergangenen Wochen in strittigen Punkten angenähert hat. Denn das Treffen am heutigen Montag dürfte von beiden Seiten im Hintergrund gründlich vorbereitet worden sein, um zumindest alle Möglichkeiten für einen Kompromiss auszuloten. „Die Chancen stehen fifty-fifty“, lautet die Einschätzung eines Insiders, der lange Gespräche bis in den Abend oder sogar tief in die Nacht erwartet.
Der Ton in der Auseinandersetzung war dabei bisher scharf. „Wir haben ein Management, dem kein Mensch mehr vertraut“, sagte Holger Junge, der Vorsitzende des Konzernbetriebsrats, kurz nach Bekanntwerden der Umbaupläne.
Schließlich hatten kurz zuvor 2300 Mitarbeiter das Unternehmen mit Abfindungen freiwillig verlassen, um den wegen der Covid-19-Krise geplanten Stellenabbau ohne betriebsbedingte Kündigungen zu schaffen. Nur wenige Wochen später verkündete Airbus die Umbaupläne. Salamitaktik war ein häufig gefallenes Wort. Friedrich sprach zuletzt von einem sehr strapazierten Geduldsfaden.
Auf die Warnstreikankündigungen der IG Metall Anfang Dezember reagierte das Management verschnupft. Vorstandschef Guillaume Faury und Airbus- Operations-Aufsichtsratschef Michael Schöllhorn schrieben eine Rundmail an die Beschäftigten. Der Aufruf sei „unangemessen und respektlos gegenüber all jenen, die Tag für Tag so viel für Airbus geben“ und es gebe dafür „keinen gravierenden Grund“.
Dennoch beteiligten sich Anfang Dezember an den Warnstreiks bundesweit 21.000 Mitarbeiter, in Hamburg waren es mehr als 12.000 in mehreren Schichten. Der Druck von den Beschäftigten ist also groß. Aber auch die Arbeitnehmerseite dürfte Druck verspüren. Denn während in Deutschland noch gestritten wird, wurden andernorts schon Fakten geschaffen.
Gibt es schon Einigungen?
Anfang Januar gab es die erste Vollzugsmeldung bei der dritten und letzten der geplanten drei neuen Töchter – in Frankreich. Zum Jahresbeginn ist Airbus Atlantic gegründet worden. Das Unternehmen beschäftigt rund 13.000 Mitarbeiter und hat ein geschätztes Geschäftsvolumen von 3,5 Milliarden Euro. Die Einzelteilefertigung bleibt in Frankreich Bestandteil der neuen Tochter – dies sehen Gewerkschafter und Politiker als Nachteil für den Luftfahrtstandort Deutschland und kritisieren dieses Ungleichgewicht scharf.
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Airbus Atlantic bündelt die Airbus-Standorte Nantes und Saint-Nazaire, die damit verbundenen zentralen Funktionen und die weltweiten Standorte der bisherigen Airbus-Tochter Stelia Aerospace, die vordere Rumpfabschnitte und das Cockpit baut. Das sind neben neun französischen Standorten sieben Niederlassungen in Portugal, Tunesien, Marokko und Kanada.
Durch die Fertigung in den afrikanischen Ländern dürften die Lohnkosten in der Einheit bereits deutlich niedriger als hierzulande sein. Und weil das Firmenkonstrukt dort schon steht, können die nächsten Schritte beim Aufbau von Airbus Atlantic eingeleitet und neue Produktionsprozesse bereits eingeführt werden. In Frankreich soll es bereits so etwas wie eine Aufbruchstimmung geben, heißt es, nach dem Motto: „Wir schaffen etwas Neues.“