Hamburg. Täglich fallen Boxen von Bord in die Meere. Auch Hamburger Reedereien sind davon betroffen – wo Experten die Gründe dafür sehen.

Wenn das Containerschiff „Madrid Bridge“ der japanischen Reederei ONE (Ocean Network Express) in diesen Tagen im Hafen von New York festmacht, wird die Überraschung nicht gering sein. Dann wird die Reederei genau zählen, wie viele Container ihr auf der Überfahrt im Atlantischen Ozean verloren gegangen sind. Vor wenigen Tagen hatte die Reederei gemeldet, dass in schwerer See einige Boxen über Bord gegangen seien.

Die genaue Anzahl wurde nicht mitgeteilt – weil ein solcher Unfall schon fast zum Alltag auf See gehört. Im vergangenen Oktober gingen der „ZIM Kingston“ in kanadischen Gewässern mehr als 100 Stahlboxen über die Rehling, im November der „Cosco Nagoya“ 38 Container. Und ziemlich genau vor einem Jahr verlor die „Maersk Essen“ mitten im Pazifik, etwa 1000 Kilometer nordöstlich des amerikanischen Atolls Midway, 750 Container – auch hier in besonders schwerer See.

Schifffahrt: Auf See gehen Container verloren – auch bei Hamburger Schiffen

Containerschiffe verlieren auf den Weltmeeren immer wieder Ladung, aber in den vergangenen beiden Jahren haben sich solche Fälle nach Angaben der Versicherungswirtschaft „auffallend gehäuft“. Allein im Winterhalbjahr von 2020 auf 2021 belief sich der Wert der verlorenen Ware auf „mehrere 100 Millionen Euro“, wie der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) kürzlich mitteilte.

„Das Grundproblem ist, dass die Fahreigenschaften großer Containerschiffe und die gängigen Sicherungssysteme nicht mehr zusammenpassen“, erklärte die stellvertretende GDV-Hauptgeschäftsführerin Anja Käfer-Rohrbach. „Wir müssen diese Entwicklung stoppen: Die Containerverluste gefährden die Besatzung und das Schiff, verursachen hohe Kosten und tragen zur Verschmutzung der Meere bei.“

Auch Hamburger Reedereien von Containerverlust betroffen

Auch die beiden großen Hamburger Reedereien Hapag-Lloyd und Hamburg Süd, sind von Containerverlusten betroffen. Über die Anzahl der jährlichen Verluste schweigen sie sich aber aus. „Verluste bei Containern erfolgen bei uns grundsätzlich in Folge von Unfällen und nicht aufgrund einer unsachgemäßen Stauung oder Laschung der Container“, heißt es lediglich in einer schriftlichen Mitteilung von Hapag-Lloyd.

Wie viele Ladungsverluste auf hoher See die Welthandelsschifffahrt erleidet, ist unklar. Das World Shipping Council, der Interessenvertreter der Reedereien, veröffentlichte im Juli 2020, dass im Schnitt etwa 1400 Container im Jahr über Bord gehen. Doch an dieser Zahl gibt es ernste Zweifel, da allein von Oktober 2020 bis März 2021 mehr als 2500 Stahlboxen als verloren gemeldet wurden.

Einer der spektakulärsten Unfälle fand im Januar 2019 in der Nordsee statt: Der Containerfrachter „MSC Zoe“ fuhr bei rauer See und nordnordwestlichen Winden der Stärke acht bis zehn in Richtung Bremerhaven als auf dem schwankenden Deck mehrere Containertürme kollabierten und insgesamt 342 Stahl­boxen über Bord gingen und in den Küstengewässern vor Borkum versanken – 297 auf niederländischer und 45 auf deutscher Seite. Als das Schiff in Bremerhaven anlegte, bot sich ein chaotisches Bild von völlig durcheinandergewirbelten Containern an Deck.

Ladungsstapel bieten große Angriffsfläche für Wind

Die wachsende Anzahl der Zwischenfälle führen die GDV-Experten auf die zunehmende Größe der Schiffe zurück. Heutige Containerfrachter sind mehr als 60 Meter breit, sie sind damit stabil, aber auch steif. Das schützt sie allerdings nicht davor, im Seegang zu rollen. Nachteil der großen Schiffe ist, sie verhalten sich wie Stehaufmännchen. Richten sie sich also nach einer Rollbewegung zur Seite wieder auf, ist die Beschleunigung am Umkehrpunkt besonders groß, und es wirken starke Kräfte auf die Container an Deck, die auf den großen Schiffen bis zu zwölf Lagen hoch gestapelt werden.

Hinzu kommen die großen Angriffsflächen für den Wind an den Ladungsstapeln. Früher trugen Containerschiffe fünf bis sechs Lagen hohe Stapel. Da waren die Sicherungssysteme, die sogenannten Twistlocks, mit denen die Boxen untereinander verbunden werden, durchaus voll ausreichend. Heute sind sie es aber in manchen Fällen nicht mehr. Die Schiffe sind in ihrer Größe kontinuierlich gewachsen. Die Sicherungssysteme der Container nicht.

„Wir achten zudem sehr genau auf die deklarierten Container­gewichte“

Außerdem werden die Stellplatzkapazitäten auf den Schiffen wegen der aktuell riesigen Transportnachfrage meist bis auf den letzten Stellplatz ausgereizt. Anders gesagt: Die Frachter sind bis an ihre Grenzen beladen. Zwar muss jeder Container internationalen Bestimmungen zufolge einmal gewogen werden, bevor er auf ein Schiff geladen wird. Doch nicht immer sind die Staupläne so erstellt, dass die schwersten Container ganz unten stehen.

Hapag-Lloyd weist solche Vorwürfe zurück: „Wir nehmen die Stauung unserer Container sehr ernst und machen keine Kompromisse in puncto der Belastungsgrenzen der Stacks an Bord unserer Schiffe“, sagt Unternehmenssprecher Tim Seifert. „Wir halten uns konsequent an oder übererfüllen alle gängigen Vorschriften bei der Stauplanung und bei der Laschung der Container auf unseren Schiffen. Wir schauen uns zudem sehr sorgfältig den Zustand unserer Container an und warten diese entsprechend. Operativ umfahren wir Schlechtwettergebiete auf Basis eines optimierten Wetterrouting.“

Die Schiffe seien sehr wohl mit technischem Equipment und mit Software zur Vermeidung von Resonanzen und dem gefährlichen Rollen ausgerüstet und die Besatzungen entsprechend geschult. „Wir achten zudem sehr genau auf die deklarierten Container­gewichte, beraten Ladungseigner bei der Sicherung der Ladung innerhalb der Container und machen Stichproben“, so Seifert. Außerdem staue man in den Außenreihen der Schiffe grundsätzlich kein Gefahrgut oder Ladung mit Meeresschadstoffen.

Die Versicherer stellen Forderungen an die Reeder

Dennoch sieht der Verband der Versicherungswirtschaft für die Weltschifffahrt Handlungsbedarf und fordert ein Umdenken. Der gefährlichen Rollbewegung entgegenwirken könnten sogenannte Rolldämpfungstanks, gefüllt mit Ballastwasser. Bislang ist der Einbau solcher Tanks allerdings nicht vorgeschrieben, nur wenige Reedereien statten ihre Schiffe laut GDV mit Rolldämpfungstanks aus. Der Verband fordert außerdem, die Auslegung der Sicherungssysteme „grundlegend“ zu überdenken. Sie müssten der Dimension und den tatsächlichen Seegangseigenschaften der Schiffe angepasst werden. Und außerdem müssten die Qualität und Gewichtsangaben der geladenen Container besser überprüft werden.