Hamburg. Nach Abendblatt-Recherchen legen Tarife um mehr als 250 Prozent zu. Grundversorgung ist nun am günstigsten. Experten sind alarmiert.

Tausende Hamburgerinnen und Hamburger haben in den vergangenen Monaten teure Nachrichten von ihren Gasversorgern bekommen. Um zum Teil mehrere Hundert Prozent haben viele Energielieferanten ihre Preise angehoben.

Ein Beispiel für die Tariferhöhungen ist der auch in Hamburg lange Zeit als sogenannter Billiganbieter beliebte Versorger Montana. Zwischen Spätsommer 2021 und heute hat das Unternehmen den Preis für eine Kilowattstunde (kWh) von 4,39 auf 15,92 Cent erhöht – ein Plus von 262 Prozent. Für einen Dreipersonenhaushalt in einem älteren, kleinen Haus bedeutet dies bei einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh eine finanzielle Mehrbelastung von gut 2300 Euro – und dabei gehört Montana, wie ein aktueller Vergleich zeigt, derzeit zu den günstigsten Anbietern.

Extrem steigende Gaspreise: Das sagen die Versorger

Als Gründe für die „Tarifanpassungen“ geben die Versorger vor allem hohe Einkaufspreise beim Gas an. Tatsächlich hat sich der Großhandelspreis an der Börse in den vergangenen zwölf Monaten versiebenfacht. Aufgrund des langen, kalten Winters 2020/21 waren die Erdgasspeicher in Europa leerer als üblich, zudem habe die Nachfrage weltweit wegen der kräftigen Erholung der Weltwirtschaft nach der Corona-Rezession stark zugelegt, erklärt Claudia Wellenreuther, Energieexpertin am Hamburgischen WeltWirtschaftsInstitut (HWWI).

„Zuletzt spielten aber auch der Russland-Ukraine-Konflikt, die Unruhen im Förderland Kasachstan und die Diskussion um die Zulassung der Pipeline Nord Stream 2 eine Rolle“, sagt Kai Eckert, Chefredakteur des Hamburger Energie Informationsdienstes (EID). „Da ist viel Spekulation im Markt“, fügt Eckert an. Für private Gaskunden wird es unterdessen immer schwieriger, überhaupt noch einen bezahlbaren Tarif zu finden, denn immer mehr Versorger nehmen wegen des drastischen Anstiegs der Einkaufspreise gar keine Neukunden mehr an oder kündigen die Verträge. In Hamburg ist der Rückfall in die Grundversorgung inzwischen die günstigste Möglichkeit, Gas zu beziehen.

Hamburger Energierechtler: Energie wird unbezahlbar

Experten wie der Hamburger Energierechtler Jan Bornemann warnen bereits, in den nächsten Monaten werde es in der Hansestadt Menschen geben, die sich Energie nicht mehr leisten können.

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Als Lars Schrader im Juni 2021 eine E-Mail seines Gaslieferanten Montana bekam, dachte er noch gar nicht an einen Wechsel des Energieversorgers. Obwohl das Unternehmen den Kilowattstundenpreis von 4,39 auf 5,22 Cent angehoben hatte, wollte der langjährige Kunde Montana treu bleiben, schließlich zogen damals bereits flächendeckend die Preise an. Doch nur wenige Wochen später bekam er die nächste Mail. Nun sollte der Preis zum Jahreswechsel auf 7,13 Cent je Kilowattstunde steigen – ein Plus von satten 62 Prozent gegenüber dem Ursprungswert. Schrader hätte bei einem Verbrauch von 30.000 Kilowattstunden für sein älteres Einfamilienhaus gut 820 Euro mehr im Jahr zahlen müssen. Es reichte ihm.

Gaspreise gehen seit mehreren Monaten durch die Decke

Nach langer Recherche im Internet fand er noch einen seriösen Versorger, der ihm einen Kilowattstundenpreis von 4,96 Cent für ein Jahr garantierte. Bis nächsten November hat er nun Ruhe – und was macht er dann? Denn die Gaspreise gehen seit mehreren Monaten durch die Decke. Wer als Hamburger in diesen Tagen Neukunde bei Montana werden möchte, soll aktuell laut Internetseite des Versorgers 15,87 Cent für eine Kilowattstunde Gas zahlen. Eine Preissteigerung gegenüber dem Frühsommer 2021 von 261 Prozent! Und Montana ist kein Einzelfall. Tatsächlich gehört dieser Tarif derzeit zu den günstigsten für Neukunden zugänglichen Verträgen auf dem Markt.

Millionen Gaskunden in Deutschland werden in diesen Tagen durch hohe Preissteigerungen ihres Gasanbieters geschockt. Wer sich wie gewohnt auf einem Vergleichsportal wie Check24 oder Verivox auf die Suche nach einer günstigen Alternative macht, reibt sich die Augen: Die Verträge, die dort angezeigt werden, kosten mittlerweile bei einem Jahresverbrauch von 20.000 kWh zwischen 225 und mehr als 1000 Euro – im Monat!

Hamburger Energierechtler: Zum Teil Fantasiepreise für Gas

Waren noch vor wenigen Monaten sogenannte Arbeits- oder Verbrauchspreise von weniger als 5 Cent pro kWh gar nicht selten, liegen viele der aktuellen Angebote bei 20 bis 30 Cent, in der Spitze sind es gut 57 Cent. „Das sind zum Teil Fantasiepreise“, sagt Jan Bornemann, der als Energierechtler im Auftrag der Verbraucherzentrale Hamburg berät. Und während üblicherweise die Tarife des jeweiligen örtlichen Grundversorgers – in Hamburg ist das E.on Energie – unattraktiv teuer waren, hat sich dies in vielen Fällen völlig umgekehrt. So auch in der Hansestadt: Die Grundversorgung von E.on Energie kostet bei einem Jahresverbrauch von 20.000 Kilowattstunden 146,77 Euro im Monat und damit erheblich weniger als die günstigsten Sondertarife. „Eine solche Situation habe ich noch nie erlebt“, sagt Bornemann. „Bisher galt immer die Devise: schnell raus aus der Ersatzversorgung. Jetzt kann man nur dazu raten, erst einmal drinzubleiben.“

Allerdings kann sich Bornemann nicht vorstellen, dass der Preis beim Grundversorger für Hamburg noch lange so niedrig bleibt. Nach Angaben von Check24 haben die Gasgrundversorger bundesweit bereits in 1042 Fällen die Preise erhöht oder zumindest Preiserhöhungen angekündigt. Allein zum Jahreswechsel gab es 694 Verteuerungen. „Im Durchschnitt betragen die Preiserhöhungen 62,3 Prozent“, heißt es von dem Vergleichsportal, betroffen seien gut 3,6 Millionen Haushalte: „Für einen Musterhaushalt mit einem Verbrauch von 20.000 kWh bedeutet das zusätzliche Kosten von durchschnittlich 945 Euro pro Jahr.“

Gaspreise: Grundversorgung vielfach günstiger als neuer Sondertarif

Dennoch dürfte die Grundversorgung vielfach noch günstiger sein als ein neuer Sondertarif. Nur kann ein Gasverbraucher eben nicht so einfach in die Ersatzversorgung wechseln – man rutscht automatisch hinein, wenn man keinen anderen gültigen Vertrag hat, etwa wenn jemand sein Sonderkündigungsrecht bei einer Preiserhöhung genutzt hat oder wenn ein Versorger aus wirtschaftlichen Gründen die Gaslieferung eingestellt hat, was zuletzt in mehreren Fällen vorgekommen ist.

Vor diesem Hintergrund liegt es nahe, dass E.on Energie in den zurück­liegenden Monaten zahlreiche neue Grundversorgungskunden quasi begrüßen musste. Das Unternehmen will sich dazu aber auf Anfrage nicht äußern. Auf der Internetseite des Unternehmens heißt es dazu lediglich: „Als Ihr örtlicher Grundversorger haben wir die Pflicht, Ihre Energielieferung zu gewährleisten. Und das tun wir gerne.“ Letzteres darf in diesem Fall bezweifelt werden.

Energielieranten nehmen teil keine neuen Kunden mehr auf

Denn etliche Energielieferanten nehmen derzeit aufgrund der drastisch gestiegenen Beschaffungskosten schon gar keine neuen Kunden mehr auf. „Während sich einige Discountanbieter in dieser schwierigen Marktsituation ihrer Verantwortung entziehen und sogar ihre Kunden kündigen, springen wir in vielen Regionen Deutschlands ein, sowohl für die Strom- als auch Erdgasversorgung“, teilt dazu E.on-Energie-Sprecher Stefan Moriße mit.

In Ostdeutschland ist es aber sogar schon vorgekommen, dass sich der örtlich zuständige Gasversorger Mitgas geweigert hat, gestrandete Kunden eines Anbieters, der die Versorgung einstellte, in seinen Ersatzversorgungstarif aufzunehmen. Andere Grundversorger gehen einen anderen Weg, sie haben neue Tarife ausschließlich für Neukunden eingeführt. Hier wurden die Preise nach Angaben von Check24 um durchschnittlich 174,3 Prozent angehoben. „Wir halten eine solche Auftrennung für rechts­widrig“, sagt Bornemann.

Trost für Gaskunden: Heizen mit Öl ist noch teurer

Für Gaskunden dürfte es ein schwacher Trost sein, dass sich Heizen mit Öl zuletzt noch deutlich stärker verteuert hat: Während im Zeitraum September bis Dezember 2021 nach den offiziellen Berechnungen des Vergleichsportals Check24 die Gasheizkosten in der Grundversorgung um 24 Prozent gegenüber der Vorjahresperiode auf 672 Euro kletterten, mussten die auch in Hamburg und Umgebung noch zahlreichen Nutzer einer Ölheizung 669 Euro und damit 96 Prozent mehr bezahlen als für den gleichen Zeitraum 2020. Angesichts der drastischen Preissteigerungen für Energie ist Bornemann pessimistisch: „Wir werden in den nächsten Monaten in Hamburg Menschen sehen, die sich die Energie nicht mehr leisten können.“