Hamburg. Marcus Vitt über die Lage der Geldinstitute in der Hansestadt, den Aktienmarkt 2022 – und ein unmoralisches Angebot an sein Finanzhaus.
Marcus Vitt ist nicht nur der Vorstandssprecher des traditionsreichen Hamburger Bankhauses Donner & Reuschel. Er ist auch Vorsitzender des Norddeutschen Bankenverbands und vertritt damit die privaten Geldhäuser in Hamburg, Niedersachsen und Bremen mit zusammen 17.000 Beschäftigten. Für die Branche war 2021 ein ereignisreiches Jahr.
Es war unter anderem gekennzeichnet durch ein wegweisendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zu Bankgebühren, durch eine weitere BGH-Entscheidung zu sogenannten Cum-Ex-Aktiengeschäften und durch den ersten Wechsel einer früheren Landesbank – der jetzigen Hamburg Commercial Bank – in das Lager der privaten Kreditinstitute. Über all dies und über angebliche Bilanzkosmetik bei Donner & Reuschel sprach das Abendblatt mit Vitt.
Die neue Bundesregierung will die gesetzliche Rente um eine „teilweise Kapitaldeckung“ ergänzen und dazu zunächst zehn Milliarden Euro aus Haushaltsmitteln am Aktienmarkt investieren. Wie finden Sie diesen Plan?
Marcus Vitt: Ich bin sehr froh darüber, denn das ist ein Signal an die Bürger, dass sie keine Angst vor dem Aktienmarkt haben müssen und er langfristig sehr attraktive Investmentchancen bietet. Zusammen mit hochrangigen Personen aus der Wissenschaft, dem Finanzwesen und der Politik wie dem früheren bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU) und dem ehemaligen Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) habe ich einige Monate vor der Bundestagswahl einen offenen Brief zur EZB-Zinspolitik und zur Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten formuliert. In den begleitenden Sitzungen habe ich immer wieder auch den Einstieg in eine aktiengedeckte Altersversorgung gefordert. Ein möglicher Ansatz war: Warum investiert man nicht das Geld für die nächste Kindergelderhöhung stattdessen in einen langjährigen Aktien-Vermögensaufbau? Dann lernt die heranwachsende Generation auch gleich, wie Wirtschaft funktioniert. Allerdings ist der Staat selbst kein sonderlich geschickter Investor. Darum sollte die Investmentbranche das maßgeblich mitgestalten, analog der vermögenswirksamen Leistungen.
Der Bundesgerichtshof hat geurteilt, dass Banken bei Gebührenerhöhungen die Zustimmung ihrer Kunden nicht einfach voraussetzen dürfen – wie das bisher üblich war. Manche Geldhäuser haben daraufhin freiwillig Rückerstattungen vorgenommen, andere stellen sich stur. Schadet all das nicht dem Image der Branche?
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Marcus Vitt: Das ist sicherlich nicht förderlich. Es stimmt aber auch, dass die Finanzbranche in dieser Sache sehr unterschiedlich agiert hat. Aus meiner Sicht gibt es da grundsätzlichen Regulierungsbedarf, der Gesetzgeber muss klare branchenübergreifende Rahmenbedingungen aufstellen, um Rechtssicherheit zu schaffen. Von den Spitzenverbänden der Sparkassen und der Volksbanken gab es Empfehlungen, wie auf das BGH-Urteil reagiert werden soll, die privaten Banken reagieren differenzierter.
Gegen mehr als eine Hamburger Privatbank wird wegen sogenannter Cum-Ex-Aktiengeschäfte ermittelt. Schlafen Sie manchmal unruhig aus Sorge, was da noch alles ans Licht kommen kann?
Marcus Vitt: Überhaupt nicht, ich schlafe ruhig. Auch ich bin vor einigen Jahren von Anwälten angesprochen worden, ob die Bank nicht solche Geschäfte tätigen will. Wir haben das dann in einer Vorstandssitzung kurz besprochen und sind zu dem Schluss gekommen, dass es vom moralischen Standpunkt her nicht richtig sein kann, eine Erstattung von Steuern zu kassieren, die vorher gar nicht gezahlt worden sind. Es ist zwar sehr bedauerlich, dass die juristische Aufarbeitung jetzt noch längere Zeit die private Finanzbranche in ein ungünstiges Licht rückt. Man sollte dabei aber nicht vergessen, dass wohl auch verschiedene staatliche Banken umfangreich Cum-Ex-Geschäfte getätigt haben.
Die frühere HSH Nordbank, jetzt Hamburg Commercial Bank (HCOB), gehört seit Kurzem dem Verband der privaten Banken an. Ist sie dort mit offenen Armen empfangen worden oder gab es noch immer Vorbehalte?
Marcus Vitt: Die Bank ist jedenfalls nicht wiederzuerkennen – in jeder Hinsicht. Der Wandlungsprozess war zweifellos schmerzhaft. Aber die HCOB ist heute bestens kapitalisiert und mit einem sehr klugen Management versehen. Sie ist auch eine Bereicherung für die Arbeitsgruppen in unserem Verband und bringt sich sehr konstruktiv ein.
Dem Finanzstandort Hamburg ist es in den zurückliegenden Jahren nicht gut gegangen, Tausende von Arbeitsplätzen sind verloren gegangen. Sehen Sie irgendwelche Ansätze, diesen Niedergang zu stoppen?
Marcus Vitt: Es lag seit Langem auf der Hand, dass in der Bankbranche Konsolidierungsbedarf besteht – schließlich gab es noch in den 1990er-Jahren praktisch mehr Bankfilialen als Bäckereien. Immerhin ist Hamburg noch der zweitgrößte Bankenstandort Deutschlands. Es gab politische Versäumnisse in der Standortpolitik, auch was den Versicherungsstandort Hamburg angeht, und es gibt sicher Verbesserungspotenzial im Hinblick auf die Verzahnung zwischen der Politik, der Universität und der Finanzwirtschaft. Diese Kooperation funktioniert beispielsweise in München besser. Aber Hamburg hat auch seine Stärken. So ist die Börse sehr erfolgreich, außerdem gibt es zahlreiche Assetmanager, Fintechs, Privatbanken und Kapitalverwaltungsgesellschaften in der Hansestadt. Und gerade erst kürzlich hat man in der Initiative „Finanzplatz Hamburg“ gemeinsam mit der Handelskammer und dem Senat beschlossen, die Zusammenarbeit analog zu den bestehenden Branchen-Clustern deutlich auszubauen. Auch arbeitet man gemeinsam daran, einen Accelerator zur Förderung von jungen Unternehmen in der Finanz- und Versicherungswelt aufzubauen. Das wird dem Standort guttun.
Was erwarten Sie für den Aktienmarkt?
Marcus Vitt: Der DAX kann zum Jahresende 2022 in Richtung 18.000 Punkte klettern. Derzeit haben wir noch ein erhebliches Lieferkettenproblem, das die Wirtschaft hemmt, aber gelöst wird. Die Pandemie hat auch dazu geführt, dass die Unternehmen große Fortschritte bei der Digitalisierung gemacht haben. Das wird sich künftig positiv auswirken. Außerdem wird das Geld günstig bleiben – leider. Denn wir müssen eigentlich aus den Minuszinsen wieder heraus. Wie die Europäische Zentralbank in diesem Punkt ihr Mandat ausübt, ist mindestens grenzwertig: Staatsfinanzierung ist nicht ihre Aufgabe.
Nach vier Jahren Umgestaltung wird das historische Bankgebäude am Ballindamm wieder für Kundentermine und Veranstaltungen genutzt. Was empfinden Sie dabei?
Marcus Vitt: Ich habe immer noch eine Gänsehaut, wenn ich hierherkomme. Die Verbindung aus modernsten Arbeitswelten und der Tradition ist faszinierend. Bis auf die Außenmauern, den denkmalgeschützten Aufzug und dem Tresor wurde alles weggenommen. Wer uns heute besucht, spürt nicht, dass er in einer Bank ist. Hier dreht sich alles um den Austausch zwischen Menschen. Das Haus hat seine Seele behalten. Die Rückmeldungen unserer Gäste sind überwältigend.
Im Banken-Blog finanz-szene.de heißt es, Donner & Reuschel habe sich zuletzt nur durch Bilanzkosmetik mittels Immobilien-Neubewertungen gerade so in den schwarzen Zahlen halten können. Stimmt das?
Marcus Vitt: Wir hatten im vorigen Geschäftsjahr Sonderaufwendungen im zweistelligen Millionenbereich wegen der Modernisierung all unserer IT-Systeme, dem Umbau des Hamburger Stammhauses und dem Zukauf des Vermögensverwaltergeschäfts von Berenberg und haben außerdem wegen der Pandemie erhebliche Vorsorgereserven von über zehn Millionen Euro für allgemeine Bankrisiken gebildet. Auf der anderen Seite bekommen wir regelmäßig Kaufangebote für das Münchner Stammhaus von Reuschel, die weit über dem Buchwert liegen. Darum haben wir eine maßvolle Zuschreibung auf den Buchwert vorgenommen und den Ertrag daraus für die Reservebildung verwendet.
Und wie ist es 2021 gelaufen?
Marcus Vitt: Wir liegen ohne irgendwelche Sondereffekte operativ weit über unseren Planungen und werden voraussichtlich ein Ergebnis von rund 20 Millionen Euro ausweisen. Wir wachsen gesund und kräftig. Allein im ersten Halbjahr haben wir das verwaltete Vermögen unserer Private-Banking-Kunden um etwa 500 Millionen Euro steigern können. Inzwischen sind wir der Marktführer in der Vermögensverwaltung für gesetzliche Krankenkassen – was man von einem Unternehmen, das zu einer privaten Versicherungsgruppe gehört, nicht unbedingt vermuten würde. Im Frühjahr werden wir ein Büro in Stuttgart eröffnen, außerdem haben wir einen Krypto-Asset-Fonds am Start.
Will Donner & Reuschel nun auch mit Bitcoin & Co. Geld verdienen?
Marcus Vitt: Solche sogenannten Krypto-Währungen sehe ich eher distanziert, da warne ich vor leichtfertigen Investments – das ist schon ein hoch komplexes Thema. Aber ich bin sicher, dass der Blockchain-Technologie die Zukunft gehört. Vielleicht werden schon in zehn Jahren alle Wertpapiertransaktionen darauf abgewickelt. Darauf wollen wir rechtzeitig vorbereitet sein. Damit wird sich die Rolle von Banken stark wandeln – sie werden noch mehr zu einem wichtigen Ratgeber in komplexen Finanzfragen. Auch die Kosten werden sich durch diese Technologie deutlich reduzieren.