Berlin. Der Chef der Verbraucherzentralen, Klaus Müller, fordert von der Bundesregierung Maßnahmen zur Abmilderung der hohen Inflation.

Mit Klagen gehen Verbraucherschützer gegen mächtige Konzerne vor. Sie warnen vor Abzocke und Betrugsmaschen. Wo Verbraucherrechte noch gestärkt werden müssen, sagt Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentralen, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Corona-Pandemie hat die Welt weiter im Griff. Wie stehen die Verbraucherzentralen und Sie persönlich zur Impfpflicht?

Klaus Müller Die Verbraucherzentralen halten sich aus dieser Diskussion heraus. Ich persönlich finde eine Impfpflicht richtig – wie bei anderen Krankheiten, wie etwa gegen Masern, auch. Die Politik muss mit den Menschen im Gespräch bleiben, die Angst vor einer Impfung haben. Hier gibt es noch einen großen Kommunikationsbedarf.

Der Verbraucherschutz schlüpft in der neuen Bundesregierung unter das Dach des Umweltschutzes. Fühlen Sie sich dort gut aufgehoben?

Die großen Aufgaben des nächsten Jahrzehnts sind Nachhaltigkeit und Klimaschutz. Wie kann der private Konsum ressourcenschonender, energieeffizienter und klimagerechter werden? Hier kann die Kombination Umwelt und Verbraucherschutz sinnvoll sein. Es gibt im Koalitionsvertrag hierzu zwei konkrete Versprechen: die Stärkung der Reparierbarkeit und längere Gewährleistungsfristen für Produkte. Wir hoffen, dass die neue Verbraucherschutzministerin bei der Umsetzung schnell die Initiative ergreift.

Das heißt konkret?

Jeder hat schon mal erlebt, ein defektes Gerät wegwerfen zu müssen, weil es verschweißt oder verklebt ist und deshalb nicht repariert werden kann. Das ärgert nicht nur mich, sondern auch viele Handwerksbetriebe. Auch, dass manche Geräte kurz nach Ablauf der Gewährleistung kaputtgehen. Ein Staubsauger, ein Smartphone oder eine Waschmaschine sind sicher nicht nur für 24 Monate gebaut. Wenn Hersteller künftig mit einer längeren Haltbarkeit werben, müssen sie diese in Zukunft dann auch einhalten.

Die neue Ampel-Regierung hat viele Verbraucherthemen auf der Agenda. Welche weiteren sollten schon im Januar umgesetzt werden?

Ein dringendes Problem sind die steigenden Energiepreise. Ein relevanter Teil der Bevölkerung ist so hart davon betroffen, dass Hilfe nötig ist – eine Sofortenergiehilfe. Wir erwarten, dass die neue Regierung noch in den ersten 100 Tagen den Heizkostenzuschuss für Wohngeldberechtigte erhöht.

Also keine Zuschüsse für alle?

Nein, eine generelle Subventionierung von Energie ist nicht zu finanzieren und setzt falsche Anreize. Allerdings würden alle von einer Stromkostensenkung über die Abschaffung der EEG-Umlage profitieren. Und je schneller erneuerbare Energien ausgebaut werden, desto mehr sparen die Verbraucher.

Welches ist eine weitere Forderung an die Regierung?

Die Musterfeststellungsklage ist als In­strument, Verbraucherrechte durchzusetzen, zwar gut, hat aber noch stumpfe Zähne. Wir können damit zwar gegen Unternehmen vorgehen, aber für Verbraucher nicht Euro und Cent einklagen. Laut europäischem Recht muss bis Ende 2022 eine neue Verbandsklage eingeführt werden. Hier wünschen wir uns aus dem Justizministerium einen baldigen Entwurf für ein starkes, unbürokratisches Sammelklagegesetz.

Welches Ziel verfolgen Sie damit?

Im Bereich von Banken und Sparkassen gibt es mehrere gerichtlich verbotene Praktiken, bei denen Kunden um Summen im mittleren zwei- und dreistelligen Bereich geschädigt werden. Das sind Beträge, für die kein Mensch zum Anwalt geht. Man ärgert sich, das Geld fehlt in der Haushaltskasse, aber Aufwand und Ertrag stehen in keinem guten Verhältnis. Umgekehrt erzielen dadurch Geldinstitute zu Unrecht millionenschwere Einnahmen, die ihnen nicht zustehen. Durch Sammelklagen wollen wir hier für etwas mehr Moral unter anderem im Banken- und Finanzsektor sorgen. Diese Branche hat es einfach übertrieben.

Bisher haben Sie Musterfeststellungsklagen gegen VW, Daimler, Sparkassen, Partnervermittlungen und Sportstudios in Gang gesetzt. Wie viel Geld mussten die verklagten Konzerne bisher durch Ihre Klagen an die Verbraucher auszahlen?

Bisher ist nur ein Verfahren abgeschlossen. Volkswagen musste insgesamt 750 Millionen Euro an 240.000 Betroffene auszahlen. Es ist der größte Vergleich dieser Art in Europa. Alle anderen laufen noch.

Die Inflationsangst geht um. Wie kann gegengesteuert werden?

Ich gehe davon aus, dass schon ab Januar die Steigerungen wieder unter fünf Prozent liegen werden. Steigerungen von 2,5 bis drei Prozent werden es aber immer noch sein. Diese entstehen vor allem durch steigende Energiekosten und auch durch Kosten für den Klimaschutz. Wichtig ist, dass die neue Bundesregierung den Umstieg auf klimafreundliche Produkte erleichtert. Sie sollte die CO2-Bepreisungseinnahmen eins zu eins an die Bevölkerung zurückgeben. Bei den Mietnebenkosten sollten die CO2-Kosten zwischen Mieter und Vermieter aufgeteilt werden – bislang tragen die Kosten alleine die Mieter.

Heizen wird durch den CO2-Preis teurer – Verbraucherschützer fordern eine Aufteilung bei den Mietnebenkosten zwischen Mieter und Vermieter.
Heizen wird durch den CO2-Preis teurer – Verbraucherschützer fordern eine Aufteilung bei den Mietnebenkosten zwischen Mieter und Vermieter. © dpa | Hauke-Christian Dittrich

Sollte bei Lebensmitteln auch die Mehrwertsteuer gesenkt werden?

Ja, wir fordern eine Steuersenkung für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte. Das wäre ein guter und gesunder Ausgleich.

Zu viel Zucker, Fett und Salz ist der Auslöser von Fettleibigkeit, aber auch von Krankheiten. Reicht es, hier nur die Werbung für Kinder zu beschränken? Oder wäre nicht auch die Einführung einer Zuckersteuer sinnvoll, um auch Erwachsene zum Umdenken zu bewegen?

Bei der Industrie kann man nicht auf Freiwilligkeit setzen – das hat bisher nicht funktioniert. Bis heute werden Kinderprodukte mit Comicfiguren und bunten Bildchen beworben, die Zucker-, Salz- oder Fettbomben sind. Das ist inakzeptabel, und die gesundheitlichen Konsequenzen sind nicht zu unterschätzen. Insofern ist ein Werbeverbot sinnvoll. Die Weltgesundheitsorganisation hat längst gute Anforderungen an Kinderprodukte formuliert, die kann man als Grundlage nehmen. Ein weiterer wichtiger Schritt wäre die Einführung einer Zuckersteuer für Süßgetränke, die in Großbritannien gute Erfolge erzielt hat. Diese Chance hat die neue Regierung in ihrem Koalitionsvertrag leider nicht genutzt. Wir haben hier kein Erkenntnis-, sondern ein reines Umsetzungsproblem.

Wie gut ist die Essensversorgung an Schulen, in Altenheimen und Krankenhäusern?

Hier gibt es deutlichen Verbesserungsbedarf. Oft wird das Essen von Kindern in Ganztagsschulen verschmäht, weil sie es nicht mögen. Es darf nicht aussehen wie in einer Kantine, man braucht Frische und Wahlmöglichkeiten. Hier müssen Bund und Länder deutlich mehr investieren.

Die Regierung hat die Zuschüsse für die Anschaffung von E-Autos bis Ende 2022 verlängert. Ist das aus Verbrauchersicht gerecht?

Die E-Mobilität ist die Zukunft und sollte deshalb auch gefördert werden. Wir brauchen einen E-Gebrauchtwagenmarkt und deshalb auch viele Autos im Markt. Doch die Förderung ist nicht sozial ausgewogen, weil sich viele Menschen überhaupt keinen Neuwagen leisten können. Die Bundesregierung hätte sich bei den Zuschüssen besser auf das Segment der Klein- und Mittelklassewagen konzentrieren sollen, anstatt auch Luxusautos mitzufinanzieren. Die Förderung sollte nicht dauerhaft erfolgen. Sie ist weder zielgerecht noch sozial ausgewogen.

Wo sehen sie die größten Hemmschuhe für die E-Mobilität?

Wir brauchen ein deutlich dichteres Netz von E-Ladestationen. Das Laden muss einfach und überall möglich sein. Außerdem muss Laden deutlich transparenter werden. Wir bekommen viele Beschwerden von Verbrauchern, die von sehr hohen E-Tankrechnungen überrascht werden. Ein Pauschalpreis von 15 Euro für eine Sieben-Kilowattstunden-Ladung – das ist ein krasses Beispiel, weil etwa siebenfach über dem Normalpreis. Die Preise für das Laden müssen in Apps ebenso vergleichbar sein wie die Spritpreise der Tankstellen. Nur so kann jeder selbst entscheiden, ob man einige Kilometer weiter bis zur nächsten Ladesäule fährt, um dort billiger zu laden. Einfachheit und Transparenz hilft für mehr Akzeptanz.

Und wie sieht es bei der Pendlerpauschale oder dem Dieselprivileg aus? Sollten diese bleiben?

Jemand mit hohem Einkommen profitiert deutlich stärker von der Pendlerpauschale als Menschen mit niedrigem Einkommen. Die Pendlerpauschale sollte künftig nicht mehr an die Steuerprogressivität gekoppelt werden, vielmehr sollte jeder einen festen Satz pro gefahrenem Kilometer erhalten. Hier hat der Bundesverkehrsminister noch viel Potenzial, um klimagerechte Mobilität auch sozial gerechter zu machen.

Mit Kryptowährungen sind manche reich geworden. Ist dies eine krisenfeste Investition auch gegen die Inflation?

Wer Kryptowährungen kauft, der kann auch gleich Lotto oder Roulette spielen. Kryptowährungen sind hochspekulative Anlagen, die in keiner Weise gesichert sind. Die Behauptung, Kryptowährungen sind ein Mittel gegen Inflation, ist völliger Bullshit – und volkswirtschaftlich falsch. 99 Prozent der Anleger verstehen nicht, wie Kryptowährungen geschürft werden. Es ist ein endliches System. Je höher die Nachfrage, desto höher der Preis. Die Inflation ist damit Teil dieses Systems. Die Währungen klingen vielleicht hip und cool, aber sie sind wie Zertifikate oder Hebelprodukte etwas für professionelle Anleger. Oder für Menschen, die zu viel Geld haben. Übrigens: Wer zu viel Geld hat, kann dies auch spenden.