Hamburg. Handelskammer-Präses Norbert Aust und -Hauptgeschäftsführer Malte Heyne über die Pandemie, die neue Bundesregierung und die Finanzlage.

Wie geht es für die Hamburger Wirtschaft weiter mit dem neuen Bundeskanzler Olaf Scholz? Soll es eine allgemeine Impfpflicht geben? Und was wird aus dem Wirtschaftsforschungsinstitut HWWI? Handelskammer-Präses Norbert Aust und -Hauptgeschäftsführer Malte Heyne im gemeinsamen Abendblatt-Interview.

Hamburger Abendblatt: Deutschland hat jetzt einen Hamburger Bundeskanzler. Sehen Sie darin einen Vorteil für die Hansestadt, und wenn ja, welchen?

Norbert Aust: Ich sehe tatsächlich einen Vorteil. Ich glaube, dass Hamburger und norddeutsche Themen künftig eine bessere Chance haben, gehört zu werden. Das war ja viele Jahre nicht der Fall.

Ist Hamburg denn tatsächlich in der Bundespolitik zu kurz gekommen?

Aust: Nicht nur Hamburg, sondern der ganze Norden wurde vom Bund nicht so oft gesehen. Allein bei großen Infrastrukturvorhaben im Straßenbau, aber auch beim Bahnverkehr sind wir beispielsweise im Vergleich zu Bayern zu kurz gekommen.

Malte Heyne: Unsere Forderung an die neue Koalition war, dass der neue Bundesverkehrsminister aus dem Norden kommt.

Das hat nicht geklappt.

Heyne: Nein, aber wir sind dennoch zufrieden. Wir brauchen nicht erst erklären, welche Bedeutung der Hamburger Hafen hat. Auch das Vorhaben, die Planungsprozesse für große Projekte zu verkürzen, findet unsere Unterstützung.

Was muss die neue Bundesregierung aus Ihrer Sicht als Erstes anpacken?

Aust: Das hat Herr Heyne eben schon erwähnt, nämlich die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren. Die Klimakrise wartet nicht, deshalb muss das Thema ganz schnell angegangen werden, und wir benötigen die Beseitigung von Investitionshemmnissen.

Heyne: Richtig. Schon die Umstellung auf neue Technologien wie zum Beispiel Wasserstoff erfordert viele Planungsprozesse, die alle schneller laufen müssen als bisher.

Das spiegelt sich im Koalitionsvertrag wider. Was fehlt Ihnen darin?

Heyne: Der Koalitionsvertrag definiert bestimmte Ziele für die Zukunft. Als Wirtschaftsvertreter fühlen wir uns dazu eingeladen, konkrete Vorschläge zu machen, wie wir dahinkommen sollen.

Macht Ihnen das keine Sorgen, dass alles unter einem Finanzierungsvorbehalt steht und wir mit Christian Lindner einen Finanzminister haben, der sehr genau aufs Geld gucken wird?

Aust: Dass insbesondere durch Corona die Geldmittel geringer werden, wussten wir schon vor dem Koalitionsvertrag. Dennoch kann man nicht auf notwendige Investitionen verzichten, wenn man gestalten will.

Schuldenbremse oder Gas geben?

Aust: Es muss beides gehen. Wir müssen sparsam haushalten, aber gleichzeitig notwendige Infrastrukturprojekte vorantreiben, denn nur dadurch lassen sich Mehrwerte schaffen.

Heyne: Gerade darum ist die Beschleunigung von Genehmigungen so wichtig, weil dadurch Anreize für privatwirtschaftliche Investitionen gesetzt werden. Bei der Umstellung auf Wasserstoff beispielsweise kann man mit einer klugen politischen Rahmensetzung private Investitionen aktivieren, was den Staatshaushalt entlastet.

Aust: Ich glaube, dass sehr viele Investoren – auch Sparer – bereit sind, ihr Geld in sinnvolle, zukunftsorientierte Projekte anzulegen. Die müssen aufs Gleis gesetzt werden, und daran hapert es.

Ein Thema beherrscht derzeit alles, und das ist Corona. Immer mehr Hamburger Firmen treten für eine allgemeine Impfpflicht ein. Wie steht die Handelskammer dazu?

Aust: Dass Menschen, die in gefährdeten Berufen arbeiten, geimpft sind, halte ich für unerlässlich.

Wir fragen aber nach der allgemeinen Impfpflicht für jedermann.

Heyne: Es gibt aktuell keine beschlossene Position der Kammer zur allgemeinen Impfpflicht, weil das eine zutiefst persönliche Entscheidung ist. Es stimmt aber, dass die Stimmen in unserer Unternehmerschaft lauter werden, die eine allgemeine Impfpflicht fordern, und natürlich ist das ein wichtiges Instrument der Krisenbewältigung.

Warum sind Sie bei dem Thema so zögerlich? Viele Händler klagen, dass mit der 2G-Regel jetzt eine Impfpflicht durch die Hintertür kommt. Sie haben jetzt die Kosten, und müssen die Umsetzung kontrollieren. Die Politik hat die Entscheidung in die Unternehmen geschoben. Warum sagt die Handelskammer nicht klar: Wir brauchen die allgemeine Impfpflicht, damit wir von Corona wegkommen?

Heyne: Hier geht es weniger um eine inhaltliche als vielmehr um eine kammerrechtliche Frage, die uns eine gewisse Zurückhaltung auferlegt. Generell gilt aber: Wir setzen uns dafür ein, die Impfkampagne zu beschleunigen. Als erste deutsche Kammer hatten wir daher ein eigenes Impfzentrum für kleinere Betriebe eingerichtet, die keinen betriebsärztlichen Dienst haben, um das Impfgeschehen zu beschleunigen. Dieses werden wir für die Booster-Impfungen Anfang Januar wieder reaktivieren.

Die Sorgen vor einem neuen Lockdown wachsen. Viele Einzelhändler beklagen bereits deutlich geringere Frequenzen im stationären Weihnachtsgeschäft. Ist kein Land in Sicht?

Aust: Ich hoffe doch. Die Impfungen und das Boostern werden so zunehmen, dass das Infektionsgeschehen abnehmen wird. Gleichzeitig müssen wir die Einschränkungen für die Geimpften weiter senken. Wir werden die Krise sicher überstehen. Aber bis dahin wird es noch eine schwierige Zeit für die Unternehmen sein. Wir setzen uns daher dafür ein, dass die Bundesregierung ihre Unterstützungshilfen aufrechterhält.

Heyne: Und wir dürfen nicht vergessen, dass die übrigen Probleme wie hohe Energiekosten, Lieferprobleme und Fachkräftemangel auch nach Corona fortbestehen werden.

Inwiefern werden denn weitere Staatshilfen für Unternehmen notwendig sein?

Heyne: Unsere Forderung war immer: Kein Unternehmen darf wegen Corona unverschuldet in die Pleite rutschen. Das gilt weiter – und Bund und Länder haben die Hilfen auch wieder verlängert. Ein Problem der Unternehmen ist aber derzeit die vom Bund geforderte Rückzahlung zu viel geleisteter Staatshilfen. Dies belastet viele Unternehmen sehr. Da benötigen wir großzügige Lösungen.

Wir hören vor allem Beschwerden über die komplizierte Rückzahlung nicht in Anspruch genommener Staatshilfen. In anderen Ländern werden Unternehmen quasi alleingelassen. Kann die Wirtschaft nicht einfach einmal Dankbarkeit zeigen, dass es solche Hilfen bei uns gibt?

Heyne: Da muss ich widersprechen. Es ist doch nicht so, dass die Unternehmen undankbar sind. Sie haben in der Krise einen großen Solidarbeitrag geleistet. Sie sind durch Lockdown und weitere Einschränkungen stark getroffen worden, was einen schweren Eingriff in die unternehmerische Freiheit darstellt.

Als Steuerzahler muss ich aber darauf bestehen, dass zu viel gezahlte Staatshilfen zurückgegeben werden.

Aust: Das ist doch klar. Es kommt aber auf die Art und Weise an. Das Problem ist, dass viele Betriebe, die noch in der Krise sind und wieder hineingeraten, jetzt Gelder zurückzahlen und nicht wissen, woher sie die nehmen sollen. Die Forderung des Staates kam im Herbst leider unbedacht, offenbar weil niemand damit gerechnet hatte, dass die Pandemie wieder so zuschlägt. Das bitten wir zu berücksichtigen. Insgesamt sind wir zufrieden, wie der Staat in der Krise mit Unterstützungsleistungen, insbesondere auch durch die Zahlung des Kurzarbeitergelds für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, reagiert hat.

Die Kammer muss auch 2021 mit deutlich weniger Einnahmen auskommen als vor Corona. Wie steht es um Ihre Finanzen?

Heyne: Unsere Mitgliedsbeiträge sind erheblich gesunken, und wir haben Einsparungen vornehmen müssen. Außerdem haben wir die Kammer neu strukturiert und schlanker aufgestellt. Insofern kommen wir bisher über die Runden. Wir hatten vor der Krise Mitgliedsbeiträge von 42,6 Millionen Euro. Vergangenes Jahr waren es 38,5 Millionen Euro.

Aust: Wenn die Krise für irgendetwas gut ist, dann dafür, dass sie neue Kräfte freisetzt. Firmen stellen sich neu auf.

Die Wirtschaftsbehörde erarbeitet derzeit einen neuen Hafenentwicklungsplan (HEP). Setzt die Behörde die richtigen Akzente?

Aust: Wir haben uns intensiv mit dem „Zukunftsplan Hafen“ in die Debatte eingebracht. Es ist gut, dass mittlerweile ein Beteiligungsprozess für die Erarbeitung des HEP angestoßen worden ist. Bis dieser abgeschlossen ist, wissen wir aber noch gar nicht, welche Akzente die Behörde setzen möchte mit dem Plan.

Wieso? Sie haben zur Weiterentwicklung Moorburgs beispielsweise einen großen Vorschlag unterbreitet. Wie reagierte die Behörde denn darauf?

Aust: Uns liegt noch keine Antwort vor.

Bedauern Sie das, hätten Sie sich mehr Entgegenkommen gewünscht?

Aust: Das will ich nicht bewerten. Ich bin immer für konstruktive Zusammenarbeit, daher bieten wir allen Behörden in der Stadt eine kooperative Zusammenarbeit an.

Heyne: Es ist aus unserer Sicht erforderlich, den Hafen einem internationalen Benchmarking zu unterziehen. Diese Forderung wurde bisher nicht gehört. Wir werden daher im nächsten Jahr ein internationales Hafensymposium durchführen, um die internationale Perspektive einzubringen.

Die Handelskammer sucht weiter als Gesellschafterin einen neuen wissenschaftlichen Direktor für das Hamburger Wirtschaftsforschungsinstitut HWWI. Wann ist die Suche endlich abgeschlossen?

Heyne: Wir wollen das HWWI strategisch weiterentwickeln. Es geht uns darum, die wissenschaftliche Arbeit zu stärken, die norddeutsche Perspektive zu erweitern und ökonomische Trends frühzeitig zu erkennen und für die Wirtschaft zu beurteilen. Dafür suchen wir neue Partner – und für die zum 1. Oktober 2021 frei gewordene Stelle eine neue wissenschaftliche Leitung. Ich bin zuversichtlich, dass wir in den kommendem Wochen Vollzug melden können.

Der frühere HWWI-Direktor Henning Vöpel soll nach unseren Informationen auch deshalb gegangen sein, weil es Einflussnahmen seitens der Kammerführung auf die wissenschaftliche Arbeit des Instituts gegeben habe. Wie wichtig ist Ihnen die wissenschaftliche Unabhängigkeit des HWWI?

Aust: Als einziger Gesellschafter des HWWI muss die Kammer das Ergebnis der Arbeit der Gesellschaft bewerten. Die Unabhängigkeit bei seiner wissenschaftlichen Arbeit steht außer Frage. Wir wollen, wie Herr Heyne bereits sagte, ja gerade die Wissenschaftlichkeit wieder stärken. Darüber hatten wir mit Herrn Vöpel auch konstruktive Gespräche, er hat sich dann für ein anderes Angebot entschieden.

Herr Vöpel hat das Strategiepapier der Kammer „Hamburg 2040“ kritisiert. Dieses sei zu weit nach vorne gedacht, man bräuchte kurzfristigere Konzepte. Hamburg habe gar nicht die Zeit, sich Gedanken über Visionen für 2040 zu machen, sondern müsse an 2025 denken. Was sagen sie dazu?

Aust: 2025 wäre quasi morgen. Natürlich muss man auch kurz- und mittelfristige Entwicklungen im Blick haben. Aber man muss gleichzeitig auch Perspektiven zum Beispiel für die Innenstadt, den Hafen oder beim Thema Fachkräfte entwickeln, die langfristig ihre Wirkung entfalten, und heute mit der Arbeit anfangen! Wenn wir die Innenstadt wiederbeleben wollen, müssen wir jetzt damit anfangen. Denn es wird dauern, Wohnraum in der City zu schaffen. Deshalb ist unsere Strategie völlig richtig.