Hamburg. „Sea Clear“ wird ab Mai in der Hansestadt eingesetzt. Es kann Abfall von Pflanzen und Fische von Seegras unterscheiden.

Als Erstes kam eine Plastikflasche aus der Tiefe an die Wasseroberfläche. Dann entdeckte die Kamera Metallteile und Kanister. So wurde nach und nach deutlich, wie viel Müll auf dem Meeresboden vor der touristischen Insel Lokrum lagert, nur wenige Hundert Meter von der Hafeneinfahrt der kroatischen Stadt Dubrovnik entfernt. Es sind Hunderte Kilo, auch Autoreifen sind darunter und anderer Abfall, der eigentlich auf Sondermülldeponien gehört. Entdeckt und geborgen hat den Unrat nicht etwa ein Taucher, sondern ein mit Greifarmen ausgestatteter Roboter, der ab Mai auch im Hamburger Hafen eingesetzt werden soll.

„Sea Clear“ heißt das automatisch arbeitende System, an dem mehrere europäische Universitäten arbeiten, um die Meeresböden in Küstennähe zu säubern. Noch befindet es sich in der Entwicklung. Wesentlichen Anteil an dem Forschungsprojekt haben zwei Hamburger Institutionen: die Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) und das Fraunhofer Centrum für Maritime Logistik (CML).

Hafen Hamburg: Wie ein Unterwasser-Roboter die Elbe reinigt

Sea Clear besteht aus einem autonomen Boot, das mit zwei Unterwasserrobotern verbunden ist. Diese identifizieren den Abfall unter Wasser und sammeln ihn ein. Der Erkundungsroboter scannt dazu den Meeresboden mit einer Kamera sowie einem Sonargerät und erstellt eine Karte, auf der Müllfunde lokalisiert werden. Aufgrund einer fortschrittlichen Software kann der Roboter nicht nur Müll von Pflanzen, sondern auch Fische von Seegras unterscheiden. Sobald der Erkundungsroboter Verschmutzungen erkannt hat, sendet er diese Information zu dem zweiten Unterwasserroboter, der mit einem Greifarm ausgestattet ist. Dieser Roboter navigiert zur entsprechenden Stelle und sammelt den dort befindlichen Müll ein.

Das System besteht bisher aus mehreren Komponenten – unter Wasser, in der Luft und an Land.
Das System besteht bisher aus mehreren Komponenten – unter Wasser, in der Luft und an Land. © Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen CML

So weit die Theorie. In der Praxis ist aber alles viel schwieriger. „Nicht nur, dass der Müll entdeckt und beispielsweise von Fischen unterschieden werden muss. Zudem muss so ein Greifroboter auch auf Meeresströmungen und andere Schwierigkeiten reagieren können“, sagt Cosmin Delea, wissenschaftlicher Mitarbeiter des CML. Die ersten Tests in Dubrovnik hätten vor allem dazu gedient, die unterschiedlichen Systeme in Einklang zu bringen und Daten zu sammeln, damit die Roboter lernen können, Müll zu entdecken. Das System ist nämlich lernfähig. Mag der Roboter am Anfang eine Plastikflasche nicht von einer Qualle unterscheiden können, so ändert sich das mit der Zahl der Tauchgänge.

Projekt muss für die Elbe im Hamburger Hafen angepasst werden

Delea war an den Versuchen in Kroatien beteiligt und hat dabei eine Reihe von Dingen festgestellt, die sich so in Hamburg nicht wiederholen lassen. Denn noch laufen die Tests in der Adria. Doch im Mai 2022 soll es eine Testreihe in Hamburg geben. „Die Treffen der Projektpartner finden immer abwechselnd in Hamburg und Dubrovnik statt – in Hamburg wetterbedingt erst im Mai“, sagte eine Sprecherin der HPA. Das Treffen im kommenden Jahr sei das erste in Hamburg. 2023 solle es dann die finale Demonstration wieder in der Hansestadt geben. „Parallel zur Entwicklung werden mit dem Oberhafenamt die rechtlichen Rahmenbedingungen für den Einsatz von autonomen Systemen erarbeitet.“

Das trübe Wasser der Elbe, die Tideströmungen und auch der Schiffsverkehr auf dem Fluss stellen besondere Herausforderungen an das System, die bereits bei der Entwicklung bedacht werden müssen. „In Kroatien hat eine Flugdrohne die Roboter zum Müll gelenkt“, sagt Delea. Im klaren Wasser sei das kein Problem gewesen. „In der Elbe geht das nicht, es sei denn, der Müll treibt auf der Wasseroberfläche.“

Roboter von Sea Clear sind sicherer und preiswerter als Taucher

Auch unter Wasser habe der Müllsammelroboter bei Du­brovnik mit Kameras gearbeitet. Im Elbwasser im Hamburger Hafen, das von Schwebeteilchen braun und dunkel ist, würde das nicht funktionieren. Da müssten eher akustische Verfahren wie Schallwellen zum Einsatz kommen. Doch ein 20 bis 30 Kilogramm schweres Sonargerät setze wiederum eine andere Konzeption des Roboters voraus, so Delea.

Das Projekt hat hohe Relevanz: Zwischen 26 und 66 Millionen Tonnen Abfall befinden sich in den Ozeanen, etwa 94 Prozent davon dort, wo man ihn nicht sehen kann – auf dem Meeresboden. Derzeit wird der Müll vor allem in touristischen Gegenden von Tauchern am Meeresgrund geborgen. Dieser Ansatz ist jedoch kostenintensiv und für die Taucher nicht ungefährlich. Mit Sea Clear würde man diese Arbeit den Robotern überlassen können. Das wäre nicht nur sicherer, sondern auch preiswerter, davon sind die Experten überzeugt.

Win-win-Situation für den Hamburger Hafen

Für die HPA liegt bei den Tests im Hamburger Hafen der Fokus nicht auf der Müllentsorgung, sondern auf der Gestaltung rechtlicher Rahmenbedingungen für den Einsatz von autonomen Systemen. „Wir freuen uns, den Hamburger Hafen als Testgebiet für dieses innova­tive Projekt zur Verfügung zu stellen“, sagt HPA-Chef Jens Meier. „Für uns handelt es sich hier um eine Win-win-Situation: Zum einen tragen wir dazu bei, die Ozeane von Abfall zu reinigen, zum anderen machen wir hier in Hamburg wichtige Erfahrungen beim Einsatz von autonomen Systemen.“

Das Fraunhofer CML arbeitet derweil an anderen Herausforderungen: sowohl an einer Software, welche die Nutzung des Sea-Clear-Systems auf der ganzen Welt ermöglicht, als auch an der „allerletzten Sequenz“ wie Delea sagt: die Beschaffenheit des Sammelkorbs für den Greifroboter. „Der muss so sein, dass der Greifer leicht seinen Müll dort ablegen kann, andererseits darf der Abfall aber nicht wieder herausschwimmen.“