Hamburg. Die Branche gibt sich einen grünen Anstrich – doch die Realität ist eine ganz andere. Fünf Wahrheiten über die Luftfahrt.
Kein Zweifel: Viele Hamburger wünschen sich ihren – bis zur Pandemie – gewohnten Urlaubsflug zurück. Die Reisebranche jedenfalls rechnet mit einem nachfragestarken Sommer 2022. Von „ermutigenden“ Vorausbuchungen für Spanien, die Türkei und Griechenland ist die Rede.
Dass Flugreisen eine Belastung für das Klima sind, tritt dabei in den Hintergrund. Zwar sind im vergangenen Jahr die CO2-Emissionen des weltweiten Luftverkehrs wegen der Corona-Krise deutlich gesunken; nach Angaben der Internationalen Energieagentur (IEA) sind sie um 41 Prozent auf 606 Millionen Tonnen zurückgegangen. Doch einer Prognose der IEA zufolge dürfte bis zum Jahr 2025 das Vor-Corona-Niveau wieder erreicht werden.
Fünf Wahrheiten über Luftfahrt und Klimaschutz
Für Flugzeughersteller und Airlines gehört der Umgang mit dem Klimawandel zu den wichtigsten Herausforderungen der nächsten Jahre. Darum beschäftigen sich die fünf Wahrheiten des Abendblatts über den Luftverkehr – hier in Thesenform – mit Fakten rund um dieses Thema.
Fliegen ist weltweit vor allem ein Luxus der Reichen
„Fliegen ist zu einem Alltagsgut geworden“, sagt Michael Eggenschwiler, Chef des Flughafens Hamburg. Zwar sind 2019 – im Jahr vor der Corona-Pandemie – rund um die Welt 4,5 Milliarden Menschen auf Linienflügen unterwegs gewesen. Rein rechnerisch wären das 58 Prozent der Weltbevölkerung.
Doch tatsächlich sind Flugreisen bisher weitgehend den Menschen in den Industrieländern vorbehalten: Schätzungen zufolge sind mindestens 80 Prozent der Weltbevölkerung, also mehr als sechs Milliarden Menschen, noch nie in ihrem Leben geflogen. Und einer Studie zufolge verursacht die Gruppe der Vielflieger, die gerade einmal ein Prozent der Menschheit ausmachen, die Hälfte der CO2-Emissionen des Luftverkehrs.
Innerhalb der Flugzeuge wirkt sich dann eine andere Form der Ungleichheit aus: Ein Passagier in den Buchungsklassen Business oder First ist wegen des deutlich höheren Platzbedarfs für den drei- bis vierfachen CO2-Ausstoß pro Flugkilometer eines Economy-Passagiers verantwortlich.
Klimaschäden des Luftverkehrs sind keine Nebensache
Einer neuen internationalen Studie zufolge ist der weltweite Luftverkehr mit 3,5 Prozent an der von Menschen verursachten Klimaerwärmung beteiligt. Das klingt überschaubar. Aber wäre der Luftverkehr ein Land, würde er damit unter den Top 10 der Klimawandel-Verursacher rangieren, etwa zwischen dem Niveau Großbritanniens und Deutschlands. Hinzukommt: Der Anteil des Luftverkehrs an den gesamten weltweiten CO2-Emissionen hat sich über die vergangenen Jahrzehnte stetig erhöht. Effizienzfortschritte sind durch die hohen Wachstumsraten mehr als ausgeglichen worden.
Branche rechnet sich die Emissionen schön
Bei den Airlines und den Flugzeugbauern sind relative Kennzahlen zum Treibstoffverbrauch äußerst beliebt. Da heißt es zum Beispiel, ein A350-Langstreckenjet von Airbus benötige pro Passagier auf 100 Kilometer nur gerade einmal 2,5 Liter Kerosin, sei also viel sparsamer als zum Beispiel ein Auto.
Rein rechnerisch stimmt das, jedenfalls bei voller Auslastung. Aber die Emissionen fallen weitestgehend in rund zehn Kilometern Höhe an. Damit ist ihre Klimawirkung deutlich größer, als würde der Treibstoff am Boden verbrannt. Und für den Klimaeffekt sind selbstverständlich nicht die relativen Daten der Emissionen – also die Angaben pro Passagier – relevant, sondern die absoluten. Die sind enorm: Auf einem einzigen 14-Stunden-Flug verbraucht ein A350 etwa 84 Tonnen Kerosin, das sind 105.000 Liter. Dadurch werden 265 Tonnen CO2 freigesetzt. Das entspricht dem jährlichen CO2-Ausstoß von fast 100 Mittelklasseautos mit Benzinmotor.
Ein anderes Beispiel: Nach Angaben der EU-Kommission verursacht ein Passagier, der von Europa nach New York und zurück fliegt, so hohe Emissionen wie jemand, der ein komplettes Jahr seine Wohnung heizt.
Technischer Fortschritt beim Fliegen gar nicht so beeindruckend
Die Luftfahrtbranche argumentiert gerne damit, dass sich seit der Einführung der ersten Düsenflugzeuge für den Passagiertransport in den späten 1950er-Jahren die Treibstoffeffizienz (zum Beispiel gemessen am Verbrauch pro Fluggast auf 100 Kilometer) um mehr als 70 Prozent verbessert habe.
Bei näherem Hinsehen wirkt diese Zahl allerdings nicht wirklich beeindruckend. So bauten vor dem Markteintritt der frühen sprithungrigen Düsenflieger die Hersteller Lockheed und Douglas mehrere Typen von Propellermaschinen, die nach dem hier zugrunde gelegten Maßstab für den Treibstoffverbrauch selbst noch mit manchen der heute üblichen Passagierjets mithalten könnten – allerdings waren sie nur etwa halb so schnell, was sie im Konkurrenzkampf der Airlines unattraktiv machte.
- Warum bio, regional und vegan nicht immer besser sind
- Der allerletzte A380 hat Hamburg verlassen
- Beschädigte Kabel verursachen Totalausfall am Airport
Aber selbst wenn man diesen Aspekt außer Acht lässt, wird die 70-prozentige Verbesserung der Treibstoffeffizienz durch Mengeneffekte weit mehr als ausgeglichen: Seit dem Jahr 1960 hat sich die weltweite Flotte der Verkehrsflugzeuge auf heute rund 26.000 Maschinen etwa versiebenfacht. Der CO-Ausstoß der Luftfahrt hat sich seitdem – bis zur Pandemie – dagegen fast verzehnfacht. Denn die Flugzeuge sind im Schnitt deutlich größer und schwerer geworden, sie verbrauchen folglich absolut mehr Treibstoff. Aus diesem Grund sind die modernsten Typen nicht unbedingt sparsamer als ihre Vorgängermodelle, sie haben aber häufig bei ungefähr gleichem Verbrauch eine deutlich höhere Transportleistung.
Aus Kostengründen agieren Airlines nicht unbedingt klimaschonend
Immer wieder hört man von Fluggesellschaften, sie selbst hätten doch das größte Interesse an einem möglichst klimaschonenden Betrieb, weil der Treibstoff ein so bedeutender Kostenfaktor sei. Das stimmt nur eingeschränkt. Zwar macht die – je nach aktuellem Marktpreis stark schwankende – Kerosinrechnung tatsächlich in der Regel zwischen einem Fünftel und einem Drittel der Gesamtkosten aus. Aber die Personalkosten liegen häufig noch darüber. Um das fliegende Personal effizient einsetzen zu können und die Wartungskosten niedrig zu halten, tendieren Airlines dazu, nur möglichst wenige unterschiedliche Flugzeugtypen zu verwenden – viele Billigflieger wie etwa die auch in Hamburg aktive Gesellschaft Ryanair betreiben gar nur ein einziges Jet-Modell. Ein solches „Eine Größe passt für alles“-Verfahren ist aber nicht unbedingt auch klimaschonend.
Ein Beispiel: Ein Airbus A320neo, wie er bei Airbus in Hamburg gebaut wird, ist dafür konstruiert, 20 Tonnen Nutzlast bis zu 4600 Kilometer weit zu transportieren. Ohne Gegenwind käme man damit von Hamburg bis an die Atlantikküste Kanadas. Tatsächlich aber wird ein A320neo in der Regel für Strecken genutzt, die nicht einmal halb so lang sind und daher mindestens sechs Tonnen weniger Treibstoff benötigen.
Das bedeutet: Für diese kürzeren Routen ist ein A320neo eigentlich zu schwer gebaut, denn er ist ja darauf ausgelegt, mit sechs Tonnen mehr Gewicht starten zu können. Ein Flugzeug, das auf diese kürzeren Strecken optimiert wäre, würde weniger Treibstoff verbrauchen. Allerdings müssten die Airlines dann ihr Personal auf unterschiedliche Jet-Typen schulen und zwei separate Ersatzteil-Pools vorhalten.