Hamburg. Wie die Berufsunfähigkeitsversicherung hilft, wenn Menschen nicht mehr arbeiten können und was dabei wichtig ist.

Kein Einkommen mehr für viele Monate? Das kann schneller passieren, als man denkt. Ein Unfall, eine körperliche Erkrankung, psychische Probleme: Es gibt viele Ursachen, die es Menschen unmöglich machen, ihren Beruf weiter auszuüben. Jeder Vierte schafft es nicht bis zur Rente, und ohne Erwerbseinkommen ist der finanzielle Ruin nah.

Knapp die Hälfte aller Erwerbstätigen kann ihren Lebensstandard dann nicht länger als ein halbes Jahr halten, wie aus einer Umfrage der Nürnberger Versicherung hervorgeht. Doch nur jeder Vierte hat eine private Berufsunfähigkeitsversicherung (BU) abgeschlossen. Was bringt diese Versicherung? Warum werden die Policen im nächsten Jahr teurer? Was kostet eine BU? Auf was muss man beim Abschluss achten? Wir beantworten die wichtigsten Fragen zum Thema.


Berufsunfähigkeit – was versichere ich da genau?


Eine BU-Police leistet, wenn der Versicherte seinen ausgeübten Beruf zu mindestens 50 Prozent aufgrund von Krankheit, Körperverletzung oder übermäßigem Kräfteverfall nicht mehr ausüben kann. Für die Einschätzung ist ein Prognosezeitraum von einem halben Jahr üblich. Die Stiftung Warentest empfiehlt als Faustregel, zwei Drittel des Netto­einkommens privat abzusichern.

Sandra Klug, Verbraucherzentrale HH, Finanzexpertin
Sandra Klug, Verbraucherzentrale HH, Finanzexpertin © Agentur Raum11 | GERT BAUMBACH

Auf diesen Betrag sollte dann eine private BU-Rente abgeschlossen werden. „Eine BU-Versicherung ist neben der privaten Haftpflichtversicherung die wichtigste Absicherung gegen existenzielle Risiken“, sagt Sandra Klug von der Verbraucherzentrale Hamburg. „Sofern man es sich leisten kann, sollte man auf diesen Schutz nicht verzichten.“ Denn die staatliche Absicherung im Fall der Erwerbs­losigkeit fällt sehr gering aus.


Was leistet der Staat?


Die gesetzliche Erwerbsminderungsrente vom Staat lag 2020 laut Deutscher Rentenversicherung im Schnitt bei monatlich 882 Euro. Wie hoch diese im Einzelnen ausfällt, ist aus der jährlichen Renteninformation ersichtlich. Aber diese Rente bekommt nur, wer in keinem Job länger als drei Stunden täglich arbeiten kann. Auf die bisherige Ausbildung und Position wird dabei keine Rücksicht genommen.

Berufsunfähigkeits-Rente, Police Berufsunfähigkeit neu2
Berufsunfähigkeits-Rente, Police Berufsunfähigkeit neu2 © HA F Hasse | Frank HasseHA Hasse

Wer noch drei bis sechs Stunden pro Tag arbeiten kann, hat nur Anspruch auf die halbe Erwerbsminderungsrente. Die meisten müssen erleben, dass sie gar keine Rente erhalten, sondern auf leichtere Arbeiten wie die als Pförtner oder Telefonistin verwiesen werden. Status, Ausbildung und subjektive Zumutbarkeit sind ohne Bedeutung.


Zahlt die BU auch bei einer Corona-Erkrankung?


Wer eine BU hat und durch Long-Covid berufsunfähig wird, bekommt die vereinbarte Leistung. „Die Ursache für eine Berufsunfähigkeit ist nicht entscheidend“, sagt Christian Bökenheide vom Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). „Ob es Covid-19, eine andere schwere Erkrankung oder körperlicher Verschleiß ist – entscheidend ist, dass man durch die Einschränkungen nicht mehr in der Lage ist, seinen Beruf zu mindestens 50 Prozent auszuüben.“


Warum wird die BU 2022 teurer?


Eine BU-Versicherung gehört zur Sparte der Lebensversicherungen. In diesem Bereich gibt es einen sogenannten Höchstrechnungszins, der mit Beginn des nächsten Jahres von 0,90 Prozent auf 0,25 Prozent abgesenkt wird. In der BU steigt das Risiko mit zunehmendem Alter.

„Damit die Prämie aber nicht jährlich ansteigt, sondern möglichst über die vereinbarte Vertragsdauer konstant bleibt, hat der monatliche oder jährliche Beitrag neben dem Risiko- und Kostenanteil noch einen Sparanteil. Aus diesem Sparanteil werden Rückstellungen gebildet, um die Prämie zu glätten“, sagt Bianca Boss vom Bund der Versicherten. Wenn aber die garantierte Verzinsung des Sparanteils sinkt, muss der Tarif für Neuabschlüsse neu kalkuliert werden. „Wir rechnen bei BU-Verträgen mit einer Prämiensteigerung um fünf bis zehn Prozent“, sagt Boss.


Sollte man jetzt noch schnell einen Vertrag abschließen?


Ein hektischer Abschluss ist keine gute Idee und kann später dazu führen, dass die Versicherung Leistungen verweigert. „Denn bei der Antragstellung müssen viele Gesundheitsfragen beantwortet werden“, sagt Klug. Das sei aber naturgemäß sehr zeitaufwendig. Unterstützung kann ein Versicherungsmakler leisten.

Er kann anonyme Risikoanfragen stellen. Macht das der Versicherte selbst, kann das seine Ausgangslage verschlechtern, wenn mehrere Anträge abgelehnt werden. Unterstützung gibt es auch bei den Verbraucherzentralen. „Bei diesen Verträgen kommt es nicht vorrangig auf die Prämienhöhe an, sondern auf eine saubere und einwandfreie Antragsstellung und bedarfsgerechte Leistungen“, sagt Boss.


Was kostet eine BU?


Der Beitrag hängt von vielen Faktoren wie Höhe der vereinbarten Rente, Risikogruppe des Berufs, Alter und Laufzeit des Vertrages sowie dem Gesundheitszustand ab. „Aber auch das Freizeitverhalten kann die Höhe der Prämie beeinflussen. Wer riskante Sportarten ausübt, muss unter Umständen mehr zahlen, ebenso in der Regel alle, die Vorerkrankungen haben“, sagt Boss.

Für Beispielrechnungen wurde ein 28 Jahre alter Kfz-Mechatroniker ausgewählt, der eine monatliche BU-Rente von 1500 Euro bis zum 67. Lebensjahr versichert hat. In der Tabelle (s. Grafik) sind die zehn günstigsten Anbieter aufgeführt, wobei die Direktversicherung Europa mit einem Monatsbeitrag von rund 78 Euro das günstigste Angebot macht. Es gibt aber auch Versicherer wie etwa die Allianz, die eine doppelt so hohe Prämie verlangen. Selbst wer es nicht mehr schafft, in diesem Jahr einen Vertrag abzuschließen, sollte sich von der Prämienerhöhung im nächsten Jahr nicht abschrecken lassen. Denn angesichts der großen Preisunterschiede findet man immer günstige Anbieter.

 (Symbolbild).
(Symbolbild). © picture alliance / photothek

Der 36 Jahre alte Maschinenbauingenieur hat eine monatliche Rente von 2500 Euro versichert. Er zahlt bei höherer Leistung zum Teil noch niedrigere Beiträge als der Kfz-Mechatroniker, weil sein Beruf mit 100 Prozent Büroarbeit wesentlich risikoärmer eingestuft wird. Das günstigste Angebot kommt in diesem Fall von der Ergo mit einem Monatsbeitrag von 67 Euro. Alle in der Tabelle aufgeführten Tarife haben von der Ratingagentur Franke und Bornberg eine hervorragende oder sehr gute Bewertung erhalten.


Was ist der Unterschied zwischen Netto- und Bruttobeitrag?


Der Nettobeitrag ist der Beitrag, der monatlich zu entrichten ist. Aber den Bruttobeitrag sollten Verbraucher auch beachten, denn falls der Anbieter nicht gut kalkuliert, kann der Beitrag bis zu dieser Höhe steigen. Je größer die Spanne zwischen den Beiträgen, desto höher das Risiko, dass später deutlich mehr als am Anfang gezahlt werden muss.


Worauf muss ich beim Abschluss einer BU achten?


Eine einmal vereinbarte Rentenhöhe von 1500 Euro hat bei einer Inflationsrate von drei Prozent nach zehn Jahren nur noch eine Kaufkraft von 1116 Euro. „Es ist wichtig, eine Dynamik zu vereinbaren, auch wenn das den Vertrag teurer macht“, sagt Klug. Dann steigt die vereinbarte Rente regelmäßig, um zumindest die Inflation auszugleichen.

Ein zu schneller Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist nicht ratsam. Denn die Gesundheitsfragen müssen ausführlich beantwortet werden.
Ein zu schneller Abschluss einer Berufsunfähigkeitsversicherung ist nicht ratsam. Denn die Gesundheitsfragen müssen ausführlich beantwortet werden. © dpa

Auch eine Nachversicherungsgarantie sollte im Vertrag enthalten sein. Bei bestimmten Anlässen wie Heirat, Geburt eines Kindes oder Immobilienerwerb kann die Rente ohne Gesundheitsprüfung erhöht werden. „Die Prognose zur Berufsunfähigkeit sollte auf sechs Monate beschränkt sein“, sagt Klug. Ein solcher Zeitraum ist einfacher abzuschätzen als drei Jahre.


Welche Alternativen gibt es zur Berufsunfähigkeitsversicherung?


Eine private Erwerbsunfähigkeitsversicherung zahlt, wenn man keine drei Stunden mehr in irgendeinem Beruf arbeiten kann. Wie bei der BU kann eine monatliche Rente vereinbart werden. Eine sogenannte Dread-Disease-Versicherung zahlt einen vereinbarten Geldbetrag auf einen Schlag.

Voraussetzung ist, dass ein Arzt eine schwere Krankheit wie etwa Krebs oder Schlaganfall diagnostiziert und diese Krankheit auch im Vertrag aufgeführt ist. „Keine dieser Alternativen bietet einen so umfangreichen Schutz wie die BU“, sagt Klug. Aber sie können eine Alternative sein, wenn die BU nicht bezahlbar ist.