Hamburg. Klimaschutzziele sollen durch höheren Anteil erneuerbarer Energien erreicht werden. Doch gleich mehrere Faktoren sorgen für Engpässe.
Explodierende Energiekosten, neue Umweltgesetze und der Corona-Effekt, statt in Reisen in das eigene Heim zu investieren, hat zu einer stark steigenden Nachfrage nach Haustechnik geführt. Neue Heizungen oder Solaranlagen waren und sind bei den Deutschen derzeit ähnlich beliebt wie bisher das fabrikneue Auto in der Garage. Doch eines haben Neuwagen und Energietechnik aktuell gemeinsam: Sie sind nur schwierig zu bekommen.
Es fehlen Handwerker, weil die Branche ganz besonders unter dem Fachkräftemangel ächzt. Sanitär- und Heizungsberufe zählen bundesweit zu den Bereichen mit den größten Engpässen beim Personal. Hier ist der Bedarf sogar noch größer als in der Pflege von Kranken und Senioren.
Engpässe bei Heizungen haben schwere Folgen
Der Mangel betrifft zudem wichtige Teile für moderne Technik in den Häusern. Etwa Steueranlagen in Heizanlagen – die Lieferschwierigkeiten bremsen während der Pandemie längst nicht nur die Auto- oder Computerindustrie aus. In den Überschwemmungsregionen in Ahrweiler klagt die Handwerksinnung bereits über frierende Flutopfer. Der Grund seien die langen Lieferfristen für neue Heizungen. Die großen Hersteller bekämen zu wenig Halbleiter.
Die Engpässe haben Folgen für die gesamte Gesellschaft: „Unter diesen Umständen ist es schwierig, die Vorgaben zum Klimaschutz auf dem Weg zum 1,5-Grad-Ziel umzusetzen“, warnt Hjalmar Stemmann, Präsident der Handwerkskammer Hamburg.
Schließlich kommt ein Drittel des Energiebedarfs aus dem Gebäudesektor, sodass hier der Einbau neuer, umweltverträglicher Technologien besonders dringlich ist. Zugleich ist der gesetzliche Druck, unter dem die Verbraucher in Deutschland und speziell in Hamburg stehen, enorm.
Hamburg: Nachhaltigkeit bei Energie ist Pflicht
Bereits seit dem Juli ist es in der Hansestadt Pflicht, dass Haushalte 15 Prozent ihres Energiebedarfs aus regenerativen Quellen beziehen. Dazu müssen die Gebäude etwa mit Solarzellen oder Pelletheizungen ausgestattet werden. „Anfangs konnten dabei noch Betriebe aus dem Umland aushelfen“, beschreibt Stemmann die Situation, „doch nun ziehen Niedersachsen und Schleswig-Holstein mit entsprechenden Forderungen nach“.
In der Folge seien die Fachfirmen mittlerweile auch in ihrer jeweiligen Heimatregion mehr als ausgelastet. „Derzeit müssen Kunden für den Austausch einer Heizung ein halbes Jahr Zeit einplanen“, fasst Stemmann die Herausforderungen für die Hamburger zusammen.
Energiekosten: Strom und Öl kratzen an Rekordpreis
Diese müssen zudem nicht nur die Klimaziele im Blick haben, sondern auch die steigenden Kosten. So zahlten private Haushalte in Deutschland laut Berechnungen des Vergleichsportals Verivox im Oktober so viel für Heizung, Strom und Sprit wie noch nie.
Laut Verivox liegen die Energiekosten für einen Musterhaushalt mit drei Personen nun bei 4549 Euro und damit 35 Prozent höher als ein Jahr zuvor. „Egal ob Strom, Gas, Heizöl oder Sprit: Alle Energiearten kratzen an ihren Rekordständen oder haben diese sogar übertroffen“, sagt Verivox-Energieexperte Thorsten Storck.
Vor allem Heizölkunden leiden unter der aktuellen Entwicklung. So habe sich das Heizen mit Öl auf Jahressicht um 144 Prozent verteuert, sagt Storck. Auch bei Gas sei mit 28 Prozent ein deutliches Preisplus zu verzeichnen. Die Teuerungen betreffen Millionen Menschen: Denn 70 Prozent aller Heizanlagen in Deutschland werden noch mit Erdgas oder Öl betrieben.
Deutschland hinkt in der Klimawende hinterher
Zu den Hamburger Umweltzielen für die Hausbesitzer kommen die Pläne der Ampelkoalition: Diese fordert, dass alle geeigneten Dachflächen für Solarenergie genutzt werden. Ab 2025 soll zudem jede neue Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Bereits 2019 hatte die Bundesregierung in ihrem Klimapaket beschlossen, dass ab 2026 keine reinen Ölheizungen mehr neu installiert werden.
Der Vergleich mit anderen Industrieländern zeigt den Nachholbedarf: In Skandinavien, Italien, Frankreich oder Spanien ist etwa der Anteil der auf Wärmepumpe umgestellten Heizungsanlagen bereits wesentlich größer als in Deutschland. Die anderen europäischen Länder schaffen diese Klimawende etwa durch Kaufanreize.
Der Effekt der neuen Technologien für die Umwelt ist immens: Bei Wärmepumpen kann der Heizenergieaufwand um etwa 30 bis 50 Prozent reduziert werden. Durch Kopplung mit Solarstrom, Haushaltsstrom oder Erdgas zum Antrieb der Wärmepumpe wird die Kohlendioxidemission im Vergleich zum Heizöl oder Gas zudem erheblich gesenkt. Auch durch das Heizen mit Pellets wird ein hoher Beitrag zur Erreichung der Klimaziele geleistet: Durch die Holzpresslinge entstehen bis zu 89 Prozent weniger CO2 im Vergleich zur alten Ölheizung.
Zu wenig Personal, keine neuen Kunden
„Seit Jahren predigen wir den Klimawandel, aber jetzt erleben wir im Handwerk einen Flaschenhals“, berichtet Nick Zippel, Geschäftsführer der Firma Paul Opländer-Haustechnik mit Blick auf den Fachkräftemangel in der Branche.
Die Folgen sind drastisch: Zippel nimmt keine neuen Kunden mehr an, nur seine langfristigen Wartungsverträge kann er noch erfüllen. Er beobachtet zudem, dass die oft lange vernachlässigten Rohre häufiger Schäden nehmen als früher, Rost etwa mache die Leitungen anfällig.
Das Problem erfordert kreative Lösungen. Zippels Betrieb mit Sitz in Niendorf, der in den vergangenen Jahren stetig gewachsen ist, beschäftigt inzwischen 160 Frauen und Männer, allein 16 Asylbewerber seien darunter. „Und die Mehrheit ist fantastisch“, freut sich der Unternehmer. „Die neuen Mitbürger“, sagt der Ingenieur, „sind zielstrebig und wollen ihr Wissen erweitern.“
Sofortprogramm soll für Abhilfe sorgen
Nicht nur auf die Mitarbeiter aus dem Ausland setzt Zippel, er will zudem ein Sofortprogramm umsetzen, über das der Unternehmer in Kürze auch mit Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) spricht. Dabei sollen fachfremde Kräfte in nur einem Jahr in Sachen Solartechnik und Wärmepumpen ausgebildet werden.
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Diese könnten dann gemeinsam mit Handwerksprofis die Anlagen installieren, damit die Ziele in Sachen Nachhaltigkeit überhaupt umsetzbar seien. Schließlich dauert eine reguläre Ausbildung im Handwerk gut drei Jahre, und diese Zeit haben die Betriebe angesichts des enormen Bedarfs bei neuer Haustechnik nicht. Dazu kommt, dass die geburtenstarken Jahrgänge in Rente gehen und den Mangel an Energie-, Sanitär- und Solarfachleuten verschärfen.
In Hamburg fehlen die Lehrlinge
Auch Stemmann warnt davor, dass die Umrüstung nur im Schneckentempo erfolgen könnte. „Wenn wir in der gegenwärtigen Geschwindigkeit vorankommen, ist der Gebäudebestand in Deutschland erst in 70 Jahren saniert“, warnt der 58-Jährige. Derzeit seien in Hamburg etwa 100 Lehrstellen in klimarelevanten Handwerksberufen unbesetzt.
Auch die Kammer helfe daher bei der Suche nach neuem Personal. Man sei in den Social-Media-Kanälen unterwegs, spreche speziell Mädchen an und sitze gemeinsam etwa mit Umwelt- und Schulbehörde an einem runden Tisch, um die Probleme zu lösen. Allerdings gibt Stemmann Entwarnung für Hamburger, die akute Probleme haben. Wasserrohrbrüche etwa würden die Betriebe sofort bearbeiten. „Da ist das Handwerk so wie Krankenhäuser: Notfälle werden immer vorgezogen.“