Hamburg. In der ganzen Stadt sind die Fortbewegungsmittel unterwegs. Für die Anbieter sind sie ein gutes Geschäft – für andere ein Ärgernis.
Wer rund um die Alster oder in der City unterwegs ist, sieht sie inzwischen an jeder Ecke: die grünen, orangefarbenen oder weißen E-Scooter, die in Gruppen auf Plätzen geparkt sind oder mit einem oder mehreren Fahrern mehr oder minder kontrolliert über Radwege und Straßen sausen.
Auch wenn die Pandemie den Verkehr vielerorts verringert hat, bei E-Scootern ist das Gegenteil der Fall. Anbieter wie Tier oder Voi haben ihre Flotten ausgebaut und sprechen von erstaunlichen Wachstumsraten bei den Buchungen. Zugleich soll das Angebot der Roller auch in Zukunft weiterwachsen. In Hamburg wie in ganz Europa sind die Betreiber, oft ausgestattet mit Millionenspritzen ihrer Investoren, auf Expansionskurs.
Verkehr Hamburg: 17.000 E-Scooter auf den Straßen
In der Hansestadt bieten derzeit die Firmen Bird, Dialog, Lime, Bolt, Tier und Voi die E-Scooter an, deren Zahl auf rund 9000 Roller angewachsen ist, heißt es von der Behörde für Verkehr und Mobilitätswende. Der Verband für Shared Mobility PSM spricht dagegen schon von 17.000 Exemplaren auf Hamburgs Straßen. Zu Beginn der Einführung vor gut zwei Jahren waren es noch knapp 4000 Scooter von vier Anbietern.
Sosehr das Angebot auch zunimmt – sowohl die technische Ausstattung der Roller, die batteriebetrieben maximal 25 Kilometer in der Stunde fahren, als auch die Preise der Firmen bleiben ähnlich: Der Ausleihvorgang kostet einen Euro, ab dann zahlen Kunden etwa bei Tier und VOI 19 Cent und bei Lime 22 Cent pro angefangene Minute.
Viermal so viele Fahrten pro Tag wie im Jahr 2019
Hamburg belegt bei der Scooterdichte pro 10.000 Einwohner den dritten Platz unter den europäischen Großstädten, nach Berlin und Stockholm. Die Diskussionen über die Roller werden angesichts der wachsenden Bestände immer hitziger geführt. Für die einen ist es ein Spaßmobil, auf dem hauptsächlich angeheitertes Partyvolk unterwegs ist, für die anderen wichtiges Instrument der Verkehrswende hin zu mehr E-Mobilen und weniger Spritschluckern. So unterschiedlich die Meinungen, so klar ist der Trend: „Mit den schrittweisen Lockerungen der Corona-Maßnahmen und dem Beginn der Sommermonate hat sich die Nachfrage in einen regelrechten Boom verwandelt“, sagt Caspar Spinnen vom Anbieter Voi.
Mehr als 10.000 Fahrten absolvierten die korallfarbenen Roller in Hamburg inzwischen jeden Tag. „Das ist mehr als viermal so viel wie noch 2019“, verdeutlicht der Voi-Sprecher den Trend und nennt die Gründe: „Wir gehen davon aus, dass viele Menschen die Scooter im Homeoffice für sich entdeckt haben, außerdem wenden sich vor allem jüngere Generationen immer mehr vom Auto ab“, heißt es bei dem Unternehmen aus Stockholm.
Hamburg: Auch Tier verzeichnet wachsende Nachfrage
Auch auf den Rollern von Tier, die zu den ersten Fahrzeugen in Hamburg gehörten, cruisen immer mehr Menschen durch die Stadt. Nachdem hier Ende 2019 nur mehrere Hundert der türkisfarbenen Scooter unterwegs waren, „sind wir aktuell mit 5000 Tier-Scootern in Hamburg aktiv“, sagt Florian Anders, Sprecher der 2018 gegründeten Berliner Firma, über das rasante Wachstum.
„Die Anfragen der Kunden steigen kontinuierlich“, sagt Falk Sluga von Free Now. „In den vergangenen Monaten konnten wir eine drei- bis viermal so hohe Nachfrage nach E-Scootern und anderen Mikromobilitätsservices über unsere App verzeichnen“, so der Sprecher der Firma, die Angebote von Partnern wie Voi, Miles, Tier, Emmy und Share Now bündelt.
E-Roller werden über App gebucht
Unabhängig davon, ob Kunden die Apps einzelner Anbieter wie Voi oder Lime oder einen Mobilitätsdienst wie Free Now nutzen, der Ausleihvorgang ist immer ähnlich: Die Roller werden stets über eine App gebucht. Hierzu ist ein Smartphone mit Internetverbindung nötig. Eine Karte in der App zeigt die Standorte freier Roller in der Nähe an, die ausgeliehen und etwa per Kreditkarte bezahlt werden können. Anschließend schalten die Kunden den Roller per App frei und fahren so lange sie wollen durch die Stadt.
In einigen Gebieten ist die Verkehrspolitik weniger experimentierfreudig als in Hamburg. Im gerade für die Scooter erschlossenen Leipzig etwa dürfen die Scooter nicht einfach irgendwo am Straßenrand abgestellt werden, sondern nur an festen Parkplätzen, so wie es in der Hansestadt bei den StadtRädern üblich ist. Auch europäische Metropolen wie Paris, wo gerade teilweise eine Geschwindigkeitsbegrenzung für Scooter von zehn Kilometer pro Stunde beschlossen wurde, sowie London und Mailand arbeiten daran, ein Netz an Parkflächen zu schaffen.
Sperrzonen für E-Scooter in Hamburg
Es gelten aber auch in Hamburg Sperrzonen, wo die Scooter nicht abgestellt werden dürfen, etwa an der Außenalster und im Stadtpark. Die Firmen reagieren auf die Beschränkungen: Bei Tier existieren für bestimmte Bereiche, etwa den Jungfernstieg, die Fleetinseln und die Speicherstadt, GPS-basierte Systeme, die ein Ausloggen und Abstellen nicht ermöglichen.
Voi parkt mithilfe eines Algorithmus schlecht oder verkehrsbehindernd abgestellte E-Scooter um. Der Algorithmus errechne aus allen Erfahrungswerten auch die günstigsten Standorte für die Roller, „sodass sie immer dort stehen, wo sie auch gebraucht werden“, beschreibt der Voi-Sprecher die Neuerung. Ziel sei es, dass beim Öffnen der App „der nächste bereite Scooter nicht weniger als eine Minute entfernt ist“.
E-Scooter kommen langsam an Stadtrand
Auch um sich die für den Stadtverkehr nötige Kooperation mit den Kommunen zu erleichtern, hat Tier Mobility jetzt den Leipziger Fahrradverleiher Nextbike übernommen. Nextbike kann hilfreich sein, weil das Leihradsystem in 300 Städten und 28 Ländern meist im Auftrag öffentlicher Verkehrsunternehmen und Kommunen betrieben wird.
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Nachdem die Scooter anfangs vornehmlich in den Innenstädten rollten, erobern sie nun auch immer mehr umliegende Stadtteile. Wie bei Voi: Zunächst waren die Roller außer in Hamburgs City nur in Berne und Poppenbüttel unterwegs, in Kooperation mit der Hamburger Hochbahn. Ziel war die Vernetzung mit dem öffentlichen Nahverkehr. 2020 expandierte Voi dann nach Bergedorf und Harburg - und ist seit Kurzem auch in Lokstedt zu finden, wo das Centre for Sustainable Society Research momentan eine Studie zu autofreien Monaten durchführt: Die Teilnehmer lassen für drei Monate ihr Auto zu Hause und erhalten dafür stattdessen ein Mobilitätsbudget – darunter auch für die Scooter.
Verkehr in Hamburg: Auch Mopedsharing wächst
An jeweils zwei U-Bahn-Haltestellen stehen in Langenhorn und Lokstedt auch 200 Tier-Scooter als Zubringer zum ÖPNV zur Verfügung. Es gibt Gedankenspiele um eine weitere Expansion: „Wir können wir uns gut vorstellen, in enger Absprache mit der Stadt Hamburg künftig unser Geschäftsgebiet weiter in den Außenbezirken zu erweitern und unsere Flotte schrittweise zu vergrößern“, sagt Florian Anders von Tier.
Neben den Scootern, die sich wie die Kindertretroller mit Batteriebetrieb fahren lassen, erobern immer neue Modelle für geteilte Mobilität den Markt. So schreibt in Hamburg Mopedsharing eine Erfolgsgeschichte. „Das Angebot wird in der Stadt so gut angenommen, dass in Hamburg die zweitgrößte Stadt-Mopedsharingflotte in Deutschland unterwegs ist“, sagt Stephanie Altemöller von der Invers GmbH, die Software für die Sharingfirmen anbietet. So ist die Zahl der Mopeds zum Leihen von 400 im Jahr 2020 auf heute 1900 gewachsen. Aktuell gibt es in Hamburg die drei Anbieter Emmy (seit 2017), Tier und Felyx, die beide 2021 hinzugekommen sind, heißt es in einer aktuellen Studie.