Hamburg. 100.000 weitere Bäume in Kaltenkirchen sollen CO2 aufnehmen und so zum Klimaschutz beitragen. Wie groß ist der Nutzen dieser Aktion?
Dass Traubeneichen mit Trockenheit besonders gut zurechtkommen, ist für den jungen Baum, den Hamburgs Flughafenchef Michael Eggenschwiler gerade pflanzen hilft, an diesem regnerischen Vormittag noch nicht relevant. Aber die Eiche wird ja auch erst in mehreren Jahrzehnten so richtig ihren Zweck erfüllen können. Sie soll CO2 aus der Atmosphäre aufnehmen und binden und auf diese Weise zum Klimaschutz beitragen.
Auf dem 2100 Hektar großen Gelände westlich von Kaltenkirchen in Schleswig-Holstein, wo der Flughafen seit 1960 mit Blick auf einen damals geplanten neuen Standort nach und nach Flächen zusammengekauft hatte, befindet sich der sogenannte „Klimawald“ des Airports. Zu den gut eine Million Bäumen, die dort in den vergangenen 20 Jahren gepflanzt wurden, kommen nun 100.000 weitere hinzu – die von Eggenschwiler symbolisch gepflanzte Eiche ist der erste davon. In drei Abschnitten bis 2023 wächst damit die Waldfläche von derzeit 750 Hektar um 50 Hektar an.
Hamburger Flughafen: Was bringt der Klimawald?
Dafür gibt der Flughafen trotz der hohen Verluste durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie rund 500.000 Euro aus. „Diese Investition in nachhaltigen, regionalen Waldaufbau ist auch ein Baustein zum CO2-neutralen Flughafenbetrieb, den Hamburg Airport schon Ende 2021 erreichen wird“, sagt Eggenschwiler. Der Flughafen in Fuhlsbüttel wird nach eigenen Angaben der erste in Deutschland sein, der eine rechnerisch neutrale CO2-Bilanz aufweist.
Zwar hat der Airport seit 2009 die Emissionen des Klimagases um 71 Prozent reduziert. In den zurückliegenden Jahren hat man auf sparsame LED-Beleuchtung und auf Ökostrom umgestellt, fast alle Fahrzeuge benötigen keinen fossilen Treibstoff mehr – so werden auf dem Vorfeld Wasserstoff-Flugzeugschlepper genutzt. Doch 2020 fielen im reinen Flughafenbetrieb noch immer 10.800 Tonnen CO2 an. Zum Vergleich: Einschließlich der Neuanpflanzungen bis 2030 soll der Klimawald eine CO2-Senkung von 3300 Tonnen pro Jahr bringen, in 50 Jahren sei mit jährlich etwa 5000 Tonnen zu rechnen. Das bedeutet aber, dass der Flughafen das Ziel der CO2-Neutralität zum größten Teil über den Zukauf von CO2-Kompensationszertifikaten erreicht.
Durchs Bäumepflanzen fliegen Flugzeuge nicht weniger oft
Flugzeuge und ihr Kerosinverbrauch sind in der CO2-Rechnung des Airports allerdings gar nicht berücksichtigt. Würden sie mit einbezogen, erschiene der Effekt des Klimawalds geradezu vernachlässigbar klein: Laut Statistikamt Nord war der Luftverkehr im Jahr 2019 auf Basis der hier getankten Treibstoffmenge mit nicht weniger als 1,073 Millionen Tonnen an den CO2-Emissionen Hamburgs beteiligt. Ein anderes Beispiel: Ein einziger Jet des modernen Typs Airbus A320neo stößt bei durchschnittlicher Nutzung ungefähr 20.000 Tonnen CO2 pro Jahr aus. Der Klimawald könnte rechnerisch bestenfalls gerade einmal höchstens drei von zwölf Betriebsmonaten eines einzelnen Jets ausgleichen.
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„Es ist immer gut, Bäume zu pflanzen, aber dadurch wird kein einziger Flugkilometer eingespart – und das muss das Ziel sein“, sagt Paul Schmid, Sprecher der Umweltschutzorganisation BUND in Hamburg. Vor diesem Hintergrund sei es „Augenwischerei und Greenwashing“, mit dem Klimawald zu werben. Ähnlich sieht das Benjamin Stephan, Verkehrs- und Klimaexperte bei Greenpeace.
CO-neutraler Flughafen? „Damit werden Menschen getäuscht“
„Fliegen ist die klimaschädlichste Form der Fortbewegung“, sagt Stephan: „Wir finden es höchst problematisch, wenn sich ein Flughafen CO2-neutral nennt und dabei die Emissionen der Flugzeuge außen vor lässt. Damit werden die Menschen getäuscht.“ Autohersteller berücksichtigten in ihrer CO2-Bilanz inzwischen auch den Kraftstoffverbrauch der Fahrzeuge über den gesamten Lebensweg, erklärt Stephan: „Dieses Prinzip, das sich international gerade etabliert, wird hier von den Flughäfen nicht angewandt.“
Airport-Chef Eggenschwiler hat darauf eine Antwort: „Jeder muss bei sich selbst beginnen und seinen eigenen Beitrag leisten“, sagt er. Beim Flughafen weiß man auch, dass Kritiker von Waldprojekten zum Klimaschutz immer wieder die Frage stellen, ob die Bäume überhaupt selbst dem Klimawandel viele Jahrzehnte lang widerstehen werden. „Wir haben uns dazu viele Gedanken gemacht und Arten ausgesucht, die zum Beispiel ursprünglich aus dem Mittelmeerraum stammen“, sagt Markus Musser, fest angestellter Förster des Flughafens. Neu gepflanzt werden unter anderem Edelkastanien, auf den bisherigen Waldflächen stehen überwiegend Birken und Fichten.
Auch Münchens Flughafen bekommt einen Klimawald
Auch wenn die Bäume zweifelsfrei dem Klimawandel entgegenwirken, darf der Flughafen den CO2-Bindungseffekt nicht in der eigenen Klimabilanz berücksichtigen. Denn die Bundesregierung lässt sich für den Klimaschutz jeden einzelnen Baum anrechnen, selbst wenn er einer Privatperson oder einem Unternehmen gehört. Aus diesem Grund hat man beim Flughafen beschlossen, CO2-Zertifikate in dem Umfang, den der Klimawald beisteuern würde, zu kaufen. „Wir zahlen also doppelt“, sagt Eggenschwiler – für die neuen Bäume und für die Ausgleichszertifikate.
Erst kürzlich hat Münchens Flughafen beschlossen, sich ebenfalls einen Klimawald zuzulegen. Die Münchner haben aber keine eigenen Flächen, die sie bepflanzen könnten, sondern bekommen von der Gräflich von Arco’schen Forstverwaltung bereits bestehende Waldflächen zur Verfügung gestellt, auf denen der Klimawald „langfristig im Bestand gesichert“ wird.
In dieser Hinsicht ist Hamburgs Airport durch die alten Kaltenkirchen-Pläne in einer besseren Position. Die Fuhlsbütteler wollen bei der eigenen CO2-Neutralität, die demnächst erreicht werden soll, jedoch nicht stehen bleiben. Das nächste Ziel lautet jetzt, tatsächlich CO2-frei zu arbeiten, also keine Ausgleichszertifikate mehr kaufen zu müssen. „Bis dahin wird es aber voraussichtlich noch etwa zehn Jahre dauern“, sagt Eggenschwiler. Er würde schon jetzt gern mehr tun. „Aber es gibt zum Beispiel noch nicht genügend CO2-freies Gas.“