Hamburg. Die Initiative E-Fuel Alliance und ExxonMobil mit seiner Deutschlandzentrale in der Hansestadt wollen den Kraftstoff fördern. Ergibt das Sinn?

Es war eines der wenigen konkreten Ergebnisse des gerade beendeten Klimagipfels von Glasgow: 32 Staaten und sechs Autokonzerne haben sich in einer gemeinsamen Erklärung darauf festgelegt, dass ab 2040 keine Pkw mit Verbrennungsmotor mehr verkauft werden. Deutschland hat die Selbstverpflichtung jedoch nicht unterzeichnet. Auch Volkswagen und BMW haben das Papier – im Gegensatz zu Mercedes-Benz – nicht unterschrieben.

Dabei bestehe innerhalb der geschäftsführenden Bundesregierung zwar der Konsens, dass ab 2035 nur noch Null-Emissionsfahrzeuge zugelassen werden sollen, sagte ein Sprecher des Umweltministeriums. Doch im Hinblick auf die Frage, ob CO2-neutrale Kraftstoffe, gewonnen aus erneuerbaren Energien, ein Teil der Lösung sein können, bestehe keine Einigkeit.

Umweltfreundliche Mobilität in Hamburg mit CO2-neutralem Benzin?

Auch in den Hamburger Deutschlandzentralen der Mineralölkonzerne Shell und ExxonMobil sieht man die Rolle der sogenannten E-Fuels offenbar unterschiedlich. So ist ExxonMobil ein Mitglied der Interessenvertretung „E-Fuel Alliance“ – ebenfalls mit Sitz in Hamburg, dem Beirat gehört der ehemalige Bürgermeister Ole von Beust an –, ebenso wie andere Mineralölunternehmen wie Jet, Repsol oder Gulf, aber Shell ist nicht dabei.

Bei der Lobbyorganisation ist man naturgemäß erfreut über die offizielle Position Deutschlands zu der Erklärung von Glasgow. „Wir sind gegen Verbote – auch gegen ein Verbrenner-Verbot“, sagt Ralf Diemer, Geschäftsführer der E-Fuel Alliance: „Nicht die Technologie ist das Problem, sondern der Energieträger. Es muss darum gehen, aus fossilen Energien auszusteigen.“

Welche Vorteile synthetische Kraftstoffe haben

Keineswegs sei man mit Blick auf den Pkw-Markt gegen die Elektromobilität, so Diemer. „Wir fragen uns aber, ob das die einzige Lösung sein kann.“ Der Klimawandel müsse weltweit bekämpft werden, in weiten Teilen Afrikas und Südamerikas werde es jedoch schwierig sein, flächendeckend eine völlig neue E-Ladesäulen-Infrastruktur aufzubauen: „Wenn wir möglichst schnell Klimaneu­tralität erreichen wollen, wäre es nicht sinnvoll, die weltweit 1,4 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor außer Acht zu lassen.“

Benzin-teuer und klimaschädlich
© F. Hasse

Zwei Vorteile synthetischer Kraftstoffe liegen auf der Hand: Sie können im Prinzip von den vorhandenen Benzin- und Dieselmotoren genutzt und über das bestehende Tankstellennetz verteilt werden. Zur Erzeugung CO2-neutraler E-Fuels benötigt man regenerativ gewonnenen Strom, mit dem Wasser per Elek­trolyse in Sauerstoff (O₂) und Wasserstoff (H₂) aufgespalten wird. Im zweiten Schritt wird der Wasserstoff mit Kohlendioxid (CO₂) verbunden, das entweder als Abfallprodukt aus Industrieprozessen stammt oder direkt der Umgebungsluft entzogen wurde.

Im Hamburger Hafen könnten E-Fuels aus Übersee entladen werden

Eine der bisher größten Elektrolyse-Anlagen zur Erzeugung von „grünem“ Wasserstoff soll bis 2025 im Hamburger Hafen entstehen – Shell ist einer der Projektpartner. Auch nach Einschätzung von Diemer bieten sich für Hamburg und die Küstenregion mit dem Wandel im Energiesektor „enorm große Chancen als potenzieller Standort für die Produktion neuer Energieträger wie Wasserstoff – je kürzer die Entfernung vom Ort der Stromerzeugung, umso besser“.

Gleichzeitig könnten im Hamburger Hafen natürlich auch E-Fuels aus Übersee entladen werden. Zwar gibt es schon heute eine Pilotanlage für CO2-freien Kraftstoff in Norddeutschland. Im emsländischen Werlte ist im Oktober eine Anlage in Betrieb gegangen, die künftig künstliches Kerosin in kleinen Mengen für den Flughafen Hamburg liefern soll. Doch die Verfügbarkeit erneuerbarer Energien ist ein Engpassfaktor für die großtechnische Erzeugung von E-Fuels.

Solaranlagen auf der Arabischen Halbinsel?

„Es gibt Weltregionen, die für die Erzeugung von Wind- und Solarstrom sehr viel bessere Voraussetzungen haben als Deutschland“, erklärt Diemer. „So erreicht man in Südamerika, in Patagonien, mit einer Windturbine viermal mehr Volllast-Stunden als in Europa. Es ist kein Zufall, dass Porsche und Siemens Energy gerade in Chile die weltweit erste kommerzielle Großanlage zur Herstellung synthetischer Kraftstoffe bauen.“ An diesem Vorhaben ist auch ExxonMobil beteiligt. Für Solaranlagen biete sich unter anderem die Arabische Halbinsel an. „Es gibt Prognosen, wonach man eine Kilowattstunde Solarstrom in Saudi-Arabien künftig für zwei Cent erzeugen kann – in Deutschland werden wir erneuerbare Energien nicht annähernd zu solchen Kosten produzieren können“, sagt Diemer.

Es gibt allerdings einen gewichtigen Einwand gegen die E-Fuels: der schlechte Wirkungsgrad. Wegen der Umwandlungsverluste – erst bei der Erzeugung von Wasserstoff aus „Grünstrom“ und dann noch einmal bei der Produktion von Kraftstoffen aus diesem Wasserstoff – bleiben nach Angaben des ADAC von der ursprünglich eingesetzten Energie am Ende nur zehn bis 15 Prozent für den Antrieb eines Pkw übrig. Zum Vergleich: Im Elektroauto kommen 70 bis 80 Prozent der Ausgangsenergie am Rad an.

Batterieelektrischer Antrieb als „Königsweg“ für Pkw

Trotz ihrer niedrigen Effizienz können E-Fuels nach Einschätzung der Umweltorganisation Greenpeace bei der Verkehrswende eine Rolle spielen – allerdings nur dort, wo es keine Alternativen gebe, wie im Flugverkehr oder der Schifffahrt. Um die Nachfrage dort zu decken, seien enorme Strommengen nötig: „Das begrenzte Potenzial strombasierter Kraftstoffe sollte deshalb nicht bei Autos verschwendet werden.“

Wohl nicht zuletzt aus solchen Gründen sieht Fabian Ziegler, Leiter des Deutschland-Geschäfts von Shell, den batterieelektrischen Antrieb als den „Königsweg“ für Pkw an und investiert massiv in den Bau von Schnellladesäulen an Tankstellen. Das sei aber keine grundsätzliche Entscheidung gegen E-Fuels, stellt eine Firmensprecherin klar: „Wir sehen das nicht als ein Entweder-oder.“ E-Fuels könnten beispielsweise eine Lösung für „schwer zu dekarbonisierende Sektoren“ wie die Luftfahrt oder die Schifffahrt sein.

Nachhaltigen Flugkraftstoff mit neuartiger Technik erforschen

Tatsächlich hat Shell gerade erst vor wenigen Tagen gemeinsam mit Partnern wie Vattenfall und der skandinavischen Fluggesellschaft SAS vereinbart, die Produktion nachhaltigen Flugkraftstoffs mittels einer neuartigen Technik zu erforschen. Eine erste Anlage könne 2026 oder 2027 in Schweden in Betrieb gehen.

Zwar räumt Diemer den Nachteil des schlechteren Wirkungsgrads von E-Fuels für Pkw-Anwendungen ein. Er findet aber: „Die rein technische Effizienzbetrachtung greift zu kurz.“ Erneuerbare Energie für E-Fuels zum Beispiel aus Chile oder Saudi-Arabien stehe ja nicht in Konkurrenz zu Windstrom aus Deutschland. „Außerdem gibt es Hinweise darauf, dass sich der Wirkungsgrad in großtechnischen Anlagen auf bis zu 55 Prozent verbessern lässt“, so Diemer.

„Wichtig wären politische Zielvorgaben“

Nur gebe es derzeit kaum Anreize, in solche großen E-Fuel-Produktionsstätten zu investieren. „Wichtig wären politische Zielvorgaben, zum Beispiel eine verbindliche Beimischungsquote von E-Fuels zu herkömmlichem Benzin oder Diesel“, sagt Diemer. Mit der größeren Verbreitung des synthetischen Kraftstoffs könne dann auch der Preis sinken.

Denn bisher geht unter anderem der ADAC von 4,50 Euro pro Liter aus. Dabei werde es nicht bleiben, ist Diemer überzeugt: „In den jetzt geplanten E-Fuel-Projekten wird ein Produktionspreis zwischen 1,00 und 1,50 Euro pro Liter angepeilt.“