Hamburg. Green Mobility Interior beginnt mit der Fertigung des Anhängers. Produktion soll hochgefahren werden. Auch für Tiny Houses gibt es etwas.

Die Tischler Mike Bohlens und Nick Thater stecken zwei Holzplatten senkrecht ineinander, Thater nimmt den Akkuschrauber in die Hand und fixiert die beiden Stücke mit einer Schraube. Es ist einer der ersten Produktionsschritte in der neu aufgebauten Fertigung des Start-ups Green Mobility Interior (GMI) in Barsbüttel. Was hier später einmal entstehen wird, ist an großen Bildern in der Halle zu erkennen: ein Campingwagen. Die beiden Teile werden die Dach- und Seitenwand bilden. „Er wird aus Holz gebaut. Wir fräsen alles selbst“, sagt ihr Chef Nils Stoll.

Der 41-Jährige ist Mehrheitsgesellschafter von GMI. Am 22. Juni gründete er das Unternehmen. Nur vier Wochen später hatte es den ersten großen Auftrag. Die Idee für den Campingwagen namens Bruno stammt allerdings nicht aus dem hohen Norden, sondern aus der Nähe von Stuttgart.

Hamburger Start-up begann als Corona-Projekt

Als Corona-Projekt habe Daniel Blum aus Löchgau für seine wachsende Familie den Anhänger im Carport gebaut, erzählt Stoll. Als Blum fertig war, sei ihm dieser sofort abgekauft worden. Beim zweiten Versuch lief es genauso. Also suchte Blums Firma Kuckoo einen Serienfertiger. Und zwar in einem Artikel des Reisemagazins „explorer“, auf den Stoll aufmerksam gemacht wurde. Er griff zum Telefon und sprach beim ersten Mal mehr als zwei Stunden mit dem Bruno-Erfinder. „Die Chemie stimmte gleich“, sagt Stoll. Gegenseitige Besuche folgten, ehe der Deal geschlossen wurde.

Personal für den Zusammenbau wollte Stoll eigentlich von seinem langjährigen Arbeitgeber Krüger Aviation rekrutieren, bei dem er Geschäftsführer ist und deren Gesellschafterin Carola Keller 22 Prozent an GMI hält. Der Luftfahrtzulieferer litt im Sommer unter der Auftragsflaute wegen der coronabedingten Branchenkrise. Der Großteil der Beschäftigten war in Kurzarbeit.

Nachhaltigkeit wird in Barsbüttel großgeschrieben

Doch dann verkündete Airbus, die Raten für die Flugzeugfertigung wieder hochzufahren. Das Geschäft bei dem weltweit führenden Hersteller von Spiegeln für Flugzeugwaschräume sprang wieder an. Stoll wurde extern fündig und fand vier Tischler, die er ebenso einstellte wie einen Ingenieur und eine Verwaltungskraft.

Die erste eigene Idee des Start-ups wurde auch schon umgesetzt. „Wir haben gerade zwei Badezimmer für Tiny Houses entwickelt“, sagt Stoll. Noordsk.Studio, ein schleswig-holsteinischer Anbieter der mobilen Mini-Häuser, würde diese Badezimmermodule künftig einsetzen. Zudem liefere man an das Unternehmen nahe Flensburg Innenwände. Die Steinberger Firma setze ebenso wie GMI auf eine möglichst nachhaltige Produktion.

Green Mobility Interior forscht an Materialien

Green Mobility Interior soll sich – nomen est omen – auf die Entwicklung von grünen Inneneinrichtungen für die Mobilität konzentrieren. Die Erforschung neuer Materialien sei das Hauptanliegen seiner Unternehmensgründung gewesen, sagt Stoll. Beispielsweise sei Flachs früher für Kleidung verwendet worden. Es könne überall angebaut, gewebt, in Lagen gebracht und zu einem Compositematerial verbunden werden. Wenn es einen Kern aus recycelten PET-Flaschen erhielte, sei es beispielsweise als Dach verwendbar.

Blick in den gemütlichen Inneraum des kleinen Campingwagens.
Blick in den gemütlichen Inneraum des kleinen Campingwagens. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Es gibt schon Kunststoffe, die aus Reishülsen bestehen. GMI wolle nun miterforschen, ob auch Getreidehülsen dafür geeignet sind. Diese würden im Mähdrescher ohnehin aufgefangen und ansonsten weggeworfen. Dabei arbeite man mit dem Institut für Polymertechnologien in Wismar zusammen.

Auch Luftfahrt könnte profitieren

Perspektivisch könnten die Erkenntnisse auch in der Luftfahrt angewendet werden, um die Flugzeugkabine grüner zu machen. Momentan läuft der Wissenstransfer aber noch andersherum. Die Prozessabläufe seien aus der Luftfahrt in die Fertigung des Campingwagens übernommen worden. Das gilt zum Beispiel für die exakte Dokumentation der Arbeitsschritte, die auch für den Fahrzeugbau wichtig sei. Das gilt für die Holzbearbeitung, die ähnlich wie das in Flugzeugen verbaute Verbundmaterial Honeycamb sei, und für die errichteten Stationen.

Nachdem die Teile auf der anderen Straßenseite bei Krüger Aviation mit der CNC-Fräse hergestellt wurden, kommen sie zu GMI ins Gebäude. In einem Raum am Halleneingang erfolgt der Endschliff des Holzes. Nach der Montage wird der Wohnwagen im nächsten Separee versiegelt. Stoll ist zu einer Glasscheibe gegangen und schaut einem Mitarbeiter dabei zu.

Eigenes Design und viele Farbvarianten

„Hier wird Bruno wasserfest gemacht. Er bekommt eine Hülle aus Epoxidharz und wird in den Radien glasfaserverstärkt“, sagt Stoll. Eine Nacht muss das Material durchhärten. Ein paar Meter weiter findet die Lackierung statt. Der Besuch von möglichen Kunden ist dabei durchaus gewünscht, die Produktion solle gläsern sein.

Während herkömmliche Campinganhänger meist weiß sind, gebe es für das Kuckoo-Modell viele Farbvarianten. Zudem können Wälder, Berge oder ein eigenes Design als Motiv gewählt werden. Letzteres kostet dann aber ebenso extra wie zum Beispiel ein Solarpanel als besondere Ausstattung. Der Grundpreis des einachsigen Vehikels beträgt 16.680 Euro. „Der nächste Bruno bekommt eine Skyline von Hamburg – das wird mein eigener sein“, sagt Stoll, der seit frühester Kindheit Campinganhänger ist und dessen Familie seit Jahrzehnten einen Campingplatz betreibt. Daher sagt er: „Das ist für mich ein Herzensprojekt.“

„Wir sehen täglich, wie sich die Auftragsbücher füllen“

Zum Abschluss erfolgt die Endmontage auf einem zugelieferten Teil. Es ist ein gebremstes Fahrzeuggestell aus Metall, das serienmäßig für maximal 100 Kilometer pro Stunde zugelassen ist. In der Grundausstattung wiegt der Anhänger nur rund 530 Kilogramm. Man wolle nun die Produktion industrialisieren ohne ihren „handwerklich-ehrlichen“ Charakter zu verlieren, sagt Stoll: „Wir schaffen jetzt zehn Campingwagen pro Monat. Nächstes Jahr sollen es 20 sein.“ Dabei packt der gelernte Fluggerätmechaniker auch gerne selbst mit an. Er habe den Anspruch, alle in seiner Firma verbauten Teile einmal selbst hergestellt zu haben.

So sieht die Außenhülle des Campingwagens vor der Bearbeitung aus.
So sieht die Außenhülle des Campingwagens vor der Bearbeitung aus. © Michael Rauhe / FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Ohne bisher Marketing betrieben zu haben, gebe es um die 100 Bestellungen für Bruno. „Wir sehen täglich, wie sich die Auftragsbücher füllen“, sagt Stoll. Ein Phänomen, das typisch für die Branche ist. Während der Pandemie ist die Nachfrage nach Urlaubsmobilen stark gestiegen. Entsprechend kommen die Hersteller mit der Fertigung nicht hinterher. Wer sich jetzt für Bruno entscheide, könne im nächsten Sommer mit der Lieferung rechnen, heißt es.

Bis zu 2,20 Meter Liegefläche möglich

Stoll geht ein paar Meter weiter und setzt sich in einem bereits fertigen Campingwagen in eine gepolsterte Ecke. „Er ist relativ groß und bietet Platz zum Entspannen“, sagt Stoll. Die Stoffquader, auf denen er sitzt, sind umklappbar. So lässt sich ein Bett mit 1,40 Meter mal zwei Meter Liegefläche auf dem Fußboden bauen. Für großgewachsene Menschen gibt es die Möglichkeit, am Ende statt eines Schrankes eine Aussparung mit Matratze zu setzen.

Damit sind bis zu 2,20 Meter Liegefläche möglich. Drei Glasfenster und ein Oberlicht lassen Licht ins Innere fallen – wenn es nicht durch die Jalousie ausgesperrt werden soll. Die Fenster können geöffnet werden. „Ich kann mit Bruno auch im moskitoreichen Schweden an einem See stehen“, sagt Stoll. Schwarze Netze können zugezogen werden und halten die stechenden Plagegeister ab.

Am Kopfende ist eine Küchenzeile mit Gaskocher

Es gibt Stauflächen an allen vier Seiten. Am Kopfende ist eine Küchenzeile mit einem Gaskocher untergebracht. Sie ist von drinnen bedienbar. Oder von draußen, wenn man sie rauszieht. Dazu muss man zuvor eine Tür öffnen, in der Gewürze und Kaffeebecher per Magnet gehalten werden. Die Weingläser hängen kopfüber in einem Regal und werden durch ein Band zusätzlich gesichert – damit bei der Fahrt nichts verrutscht. Unter der Küchenzeile ist die Batterie verstaut. „Eine Woche kann man bequem autark sein“, sagt Stoll. Direkt neben der Eingangstür ist ein Flaschenöffner montiert.

Mit einer Länge von 4,45 Meter ist Bruno kürzer als so manches Auto, kann auf einem normalen Parkplatz abgestellt werden und gehört noch zu den Mini-Wohnwagen. Man dürfe ihn mit jedem Autoführerschein fahren und auch das Rangieren sei kein Problem. Es gibt Griffe an Bug und Heck des Anhängers. Stoll: „Den zieht man einfach von Hand.“

Hamburger Start-up: Emma steht in den Startlöchern

Allein soll Bruno übrigens nicht bleiben. Familienzuwachs ist geplant. Schwester Emma steht in den Startlöchern, soll noch leichter sein – zum Beispiel durch das Dach aus Flachs – und damit für Elektroautos besser zu ziehen sein. Denn diese haben teilweise gar keine Anhängelast oder deutlich geringere als Pkw mit Verbrennungsmotor. Wenn alles gut läuft, könnte Emma im Januar auf der Urlaubsmesse CMT in Stuttgart das Licht der Öffentlichkeit erblicken.