Hamburg. Oberbaudirektor Franz-Josef Höing ist skeptisch, was ein Naturkundemuseum angeht, sieht aber Potenzial bei Wohnraum in der City.

Als vor gut einem Jahr an der Mönckebergstraße mit dem Kaufhof und Karstadt Sports gleich zwei große Warenhäuser schlossen, war das ein sichtbares Signal für den Umbruch, vor dem der Einzelhandel in der Hamburger Innenstadt steht. Seitdem ist viel geredet worden, aber noch nicht viel passiert. Ein Gespräch mit Oberbaudirektor Franz-Josef Höing über neue Handelskonzepte, weniger Verkehr, mehr Wohnraum und die Chancen für ein Naturkundemuseum in einem der zentral leerstehenden Gebäude.

Der Handel in der Hamburger Innenstadt ist im Wandel. Die Bedürfnisse und Anforderungen in den großen Einkaufsstraßen wie der Mönckebergstraße ändern sich gerade fundamental. Wie sehen Sie die aktuelle Situation?

Franz-Josef Höing: Ja, dort passiert momentan viel. Vielleicht müssen wir aber nicht nur ausschließlich auf den östlichen Teil der Innenstadt mit der Mönckebergstraße und der Spitalerstraße schauen, auch wenn dies der Hauptort für den Einzelhandel ist. Ich glaube, ein Teil der Aufgabe besteht darin, den Blick zu weiten und zu überlegen, wie verknüpfen wir die sehr unterschiedlichen Quartiere in der Hamburger Innenstadt besser miteinander.

Franz-Josef Höing ist Oberbaudirektor von Hamburg.
Franz-Josef Höing ist Oberbaudirektor von Hamburg. © picture alliance / dpa / Christian Charisius

Noch mal zurück zu meiner Frage: Wie beurteilen Sie die Situation in der Mönckebergstraße, die von vielen wegen der existierenden und geplanten Baustellen gerade als Problemfall gesehen wird?

Franz-Josef Höing: Die Situation dort ist augenblicklich in der Schwebe. Wir haben einige deutlich sichtbare Leerstände, etwa im ehemaligen Kaufhof-Gebäude und bei Karstadt Sport. Gleichzeitig denken die Eigentümer darüber nach, was man hier in Zukunft machen kann – aber noch ist nichts entschieden. Vor allem, wenn es darum geht, bauliche Veränderungen herbeizuführen und neue Nutzungen zu ermöglichen, gibt es einen Austausch, an dem wir als Stadt uns aktiv beteiligen. Auch wenn es planungsrechtliche Hemmnisse gibt, sind wir Ansprechpartner.

Wird die Mönckebergstraße die wichtige Einkaufsstraße bleiben?

Franz-Josef Höing: Ich warne immer davor Abgesänge auf den Einzelhandel anzustimmen und sich selbst erfüllende Prophezeiungen abzugeben. Die Mönckebergstraße funktioniert über weite Strecken sehr gut und es handelt sich nach wie vor um interessante Einzelhandelslagen. Und trotzdem wird sich einiges ändern. Ein Beispiel ist der Abriss des heutigen C&A-Hauses und der geplante Neubau, der deutlich mehr Nutzungen mit Gastronomie, Hotels und Büros vorsieht. Man spürt schon, dass die Eigentümer sehr genau überlegen, inwieweit Einzelhandel noch ein treibender Faktor ist. Das nehme ich auch beim Neubau der Gänsemarkt-Passage wahr, den die Firmengruppe Signa Real Estate realisiert. Nutzungen werden wieder vielfältiger – so, wie wir uns das ja auch wünschen – der Einzelhandel wird sehr viel kleinteiliger, und Manufakturen bekommen die Chance zurückzukehren in die Stadt. Da gibt es ein Umdenken, und das finde ich persönlich extrem gut. Über noch mehr Fantasie beim Entwickeln neuer Konzepte würde ich mich trotzdem freuen.

Sie haben davon gesprochen, dass die Stadt bauliche Veränderungen flankiert. Was heißt das? Müsste die Stadt nicht aktiv einen Rahmen setzen?

Franz-Josef Höing: Es sind die Eigentümer, die frische und neue Ideen für ihre Immobilien entwickeln müssen. Wenn ich von Flankieren spreche, meine ich, dass wir Dinge möglich machen und dort unterstützen, wo es uns möglich ist. Zum Beispiel, wenn es um das Wohnen in der Innenstadt geht. Wir fordern seit Jahren mehr Wohnungen bei jedem Projekt. Das ist in der Vergangenheit eine ziemliche Anstrengung gewesen, weil viele darin keinen ökonomischen Sinn gesehen haben. Das ist mittlerweile anders. Bei allen Unwägbarkeiten glaube ich, dass ‚Wohnen‘ ein solider Baustein ist.

Das heißt aber ganz konkret auf den Punkt gebracht: Sie fordern mehr Wohnraum in der Innenstadt?

Franz-Josef Höing: Ja, aber wir sind nicht naiv und sehen auch, wie viele Möglichkeiten es dafür in den nächsten Jahren gibt. Wir haben nicht die große, zentrale Brache und große, zusammenhängende Flächen, die neu entwickelt werden. Es ist ein Einsammeln von kleineren Projekten, die in der Summe für die Innenstadt interessant und richtig sind.

Um welche Größenordnung geht es?

Franz-Josef Höing: Wir gehen davon aus, dass es ein Potenzial von 800 bis 900 Wohnungen im gesamten innerstädtischen Bereich gibt. Das wären dann 1500 bis 2000 Menschen, die dazukommen. Das ist ein interessanter Aspekt, der zur Belebung beiträgt.

Im Handel wird ein städtebaulicher Wettbewerb für die zentralen Innenstadtbereiche gefordert...

Franz-Josef Höing: Wir werden dazu ein Verfahren in Gang setzen, um genau zu schauen, welches zusätzliche Potenzial es in der Mönckebergstraße gibt, wenn wir die verkehrlichen Parameter verändern. Dabei geht es darum, wie viele Busse dort künftig fahren oder welche Rolle der Radverkehr spielt. Daraus ergeben sich dann Spielräume für eine gestalterische Antwort, die anders aussehen könnte, als sich die Situation heute darstellt.

Und was ist das genau? Mehr Bäume, mehr Bänke…

Franz-Josef Höing: Wenn ich das jetzt sagen könnte, hätten wir das Verfahren schon abgeschlossen. Wir schaffen die Rahmenbedingungen und entwickeln die verschiedenen verkehrlichen Optionen. Danach sehen wir, welche Konsequenzen das haben kann. Wie kann die Mönckebergstraße von einer Nutzung als Verkehrsraum zu einem Aufenthaltsraum werden? Ob das mehr Bäume oder mehr Bänke sind, weiß ich noch nicht. Aber nachdem ja vor einiger Zeit mehr Bänke aufgestellt wurden, sieht man, dass sie sich größter Beliebtheit erfreuen. Das mag jetzt banal sein, aber mich freut das. Vielleicht müssen wir auch darüber nachdenken, welche anderen Zielgruppen wir in der Stadt mit einem Angebot versorgen können. Wie viele Spielplätze gibt es eigentlich in zentraler Lage? Da fallen einem nicht so viele ein. Vielleicht wird ein Gertrudenkirchhof, der ein trübes Dasein fristet und als Raum noch nicht seine Rolle gefunden hat, eine grüne Oase werden. Solche Dinge können sich daraus ergeben, je nachdem welche verkehrlichen Stellschrauben man neu stellt. Auch über die Steinstraße muss man nachdenken – die soll ja auch nicht wie ein Dienstboten-Eingang in die Stadt aussehen. Eine weitere Aufgabe ist die Verknüpfung der Mönckebergstraße mit dem Kontorhausviertel.

Wie soll das besser werden?

Franz-Josef Höing: Wir haben einen internationalen Wettbewerb zur Erschließung von öffentlichen Räumen im Kontorhausviertel durchgeführt. Dabei haben wir umfangreiche Untersuchungen zum ruhenden Verkehr gemacht und uns gefragt: Wie kann man den Burchardplatz von parkenden Autos freispielen, nach Jahrzehnten der Diskussion? Da stecken große Chancen drin. Ich bin anderer Meinung als die, die sagen, im Kontorhausviertel sei nichts los. Da wird gewohnt, es gibt Gastronomie. Und es kann sich vieles entwickeln, nachdem der öffentliche Raum zurückerobert ist. Jetzt tüfteln wir an einem Verfahren, wie wir uns der Mönckebergstraße widmen und dabei auch nach links und rechts gucken können. Wir untersuchen also alle Möglichkeiten – auch den Fall, dass keine Busse zurückkommen.

In welchem Zeitrahmen soll das stattfinden?

Franz-Josef Höing: Zügig. Ich möchte noch in diesem Jahr die Eckpunkte für so ein Verfahren haben und im nächsten Jahr anfangen. Es gibt keinen Grund zu warten.

Die Handelskammer hat in einem Arbeitspapier zur Zukunft der Innenstadt einen Fluss statt einer Fahrbahn in der Mönckebergstraße vorgeschlagen. Stichwort: Amazonas Mönckebergstraße.

Franz-Josef Höing: Der Steinbruch an gesammelten Ideen der Handelskammer war interessant. Aber daraus entsteht noch kein konsistentes Bild von Stadträumen. Ich träume nicht von einem Fluss in der Mönckebergstraße.

Noch mal zurück zu den beiden leerstehenden Kaufhäusern. Ist ein Naturkundemuseum im ehemaligen Kaufhof realistisch?

Franz-Josef Höing: Fakt ist: Der Stadt gehört das Gebäude nicht. Es gibt eine Eigentümerin mit eigenen Vorstellungen. Ich bin zwar davon überzeugt, dass es richtig ist, auch kulturelle Anziehungspunkte in der Innenstadt zu schaffen und ich verstehe, dass man sich ein Haus der digitalen Welt vorstellen kann oder dass man die naturkundliche Sammlung unterbringen will. Aber ob man sich gedanklich schon in Häuser einmieten muss, die einem nicht gehören, das weiß ich nicht.

Und was ist ihre Lieblingsvorstellung für eine künftige Nutzung?

Franz-Josef Höing: Wenn die Möglichkeit für eine kulturelle Prägung besteht, ist das spannend. Man muss aber schauen, welche Logik haben die bestehenden Häuser, welche Nutzungen passen zu den Geschosshöhen und Gebäudetiefen. Das ist dann etwas weniger trivial als zu sagen: ‚Da war doch mal eine naturkundliche Sammlung, die kann ja in das leer stehende Gebäude einziehen‘. Ich wünsche mir, dass in die Häuser Nutzungen kommen, die langfristig anziehend sind und auch ein Alleinstellungsmerkmal ausmachen.

Was wird die Mönckebergstraße im Jahr 2050 ausmachen?

Franz-Josef Höing: 2050 ist die Mönckebergstraße gemischt mit Angeboten, die sich an eine breitere Bevölkerung richten, nicht nur an die Menschen, die dort einkaufen oder arbeiten. Es wird ein größeres gastronomisches Angebot geben und mehr Wohnungen. Ich persönlich wünsche mir die Innenstadt sehr viel gemischter, kleinteiliger, mit einem breiteren Angebot. Aber das heißt nicht, dass wir die vielen unterschiedlichen Milieus nivellieren wollen. Das ist auch eine Qualität.