Hamburg. Wasserstoff statt Erdgas, Mineralöl und Kohle. Es passiert eine Menge, doch es gibt auch viele offene Fragen für die Zukunft der Stadt.

Bei Aurubis haben sie sich neulich über eine Auszeichnung gefreut: Der Verband der Chemischen Industrie kürte den Kupferkonzern unter mehr als 90 Bewerbern zum Gewinner seines Responsible-Care-Preises 2021. Teilnehmen konnten Unternehmen, die freiwillig Klimaschutzprojekte angeschoben haben.

Die Jury würdigte den „innovativen Ansatz“ von Aurubis und zeigte sich überzeugt, dass es „nicht nur in Europa wegweisend“ für die Metallherstellungsbranche sein werde, was im Hamburger Werk auf der Veddel seit Mai und bis in den Oktober hinein getestet wird: den Einsatz von Wasserstoff statt Erdgas in einem Teil der Produktion. Als Anerkennung gab es vom Chemie-Verband eine Urkunde und eine Sieger-Plastik.

Nachhaltigkeit: Stahlwerk stößt viel Kohlendioxid aus

Als Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) wenige Tage später dem Stahlwerk Hamburg einen Besuch abstattete, hatte sie deutlich mehr im Gepäck: Wenn die EU kein Veto einlegt, wird die Bundesregierung 55 Millionen Euro an den Arcelor Mittal-Konzern überweisen. Es ist die Hälfte der Summe, die der weltweit zweitgrößte Stahlhersteller in den nächsten Jahren in das Werk in Waltershof investieren will, um dort im großen Maßstab ebenfalls Wasserstoff in der Produktion einzusetzen.

Die Kupferhütte und das Stahlwerk gehören zu den größten Energieverbrauchern in der Stadt. Und weil diese Energie überwiegend aus fossilen Brennstoffen wie Erdgas, Kohle oder Mineralöl stammt, gehören sie auch zu den Hamburger Unternehmen, die viel klimaschädliches Kohlendioxid (CO2) ausstoßen.

Tempo bei Dekarbonisierung soll erhöht werden

Alles in allem mehr als 4,1 Millionen Tonnen davon bliesen sämtliche Hamburger Industriebetriebe laut den jüngsten verfügbaren Zahlen im Jahr 2019 in die Atmosphäre. Das war etwas mehr als ein Viertel der gesamten CO2-Emissionen in der Stadt und fast so viel wie der ganze Verkehrssektor verursachte. Immerhin: Gegenüber 2010 war der Ausstoß der Industrie damit um 1,8 Millionen Tonnen geringer.

Nun soll und muss sie das Tempo erhöhen bei der sogenannten Dekarbonisierung durch den Umstieg auf Energie aus erneuerbaren Quellen wie Sonne, Wind und Wasser. Spätestens 2045 – besser früher – soll Deutschland komplett klimaneutral sein. Hamburg hat sich in seinem Klimaplan ehrgeizige Zwischenziele bis 2030 gesetzt – und forciert in der energieintensiven Grundstoffindustrie insbesondere den Einsatz von grünem Wasserstoff, der mit Strom aus erneuerbaren Quellen hergestellt wird.

Grüne Wasserstoffwirtschaft würde CO2-Ausstoß senken

Allein wenn Aurubis, das Stahlwerk und das Hamburger Aluminiumwerk mit umweltverträglich produziertem Wasserstoff betrieben würden, könne der gesamte CO2-Ausstoß in der Stadt um mehr als sieben Prozent gesenkt werden, heißt es.

Die fünf norddeutschen Bundesländer haben in ihrer Wasserstoffstrategie bereits 2019 versprochen: „In Norddeutschland wird bis zum Jahr 2035 eine grüne Wasserstoffwirtschaft aufgebaut, um eine nahezu vollständige Versorgung aller an grünem Wasserstoff interessierten Abnehmer zu ermöglichen.“

Wasserstoff-Leitungsnetz im Hafengebiet geplant

Die Vorbereitungen laufen: So hat der Senat zu Jahresbeginn ein Bündnis mit mehreren Unternehmen geschlossen, die auf dem Gelände des stillgelegten Kohlekraftwerks Moorburg eine Anlage zur Wasserstoffproduktion errichten wollen. Im Jahr 2025, so der Plan, soll es mit einer Kapazität von 100 Megawatt in Betrieb gehen.

Im Hafengebiet ist in den nächsten Jahren der Bau eines Wasserstoff-Leitungsnetzes geplant, ein Dutzend große Unternehmen hat sich im Wasserstoffverbund zusammengeschlossen. Schiffe sollen künftig importierten Wasserstoff in Hamburg anliefern können.

Zunächst wird grauer Wasserstoff eingesetzt

Nach den Plänen von Arcelor Mittal könnte allein das Hamburger Stahlwerk im Jahr 2030 gut 800.000 Tonnen CO2-Emissionen einsparen bei der Produktion von „mehr als einer Million Tonnen kohlenstoffneutralem Stahl pro Jahr“. Die 55 Millionen Euro ermöglichen einen ersten Schritt dorthin. 2025 soll an der Dradenaustraße eine Demonstrations­anlage in Betrieb gehen, in der Eisenerz mittels Wasserstoff zu Eisenschwamm reduziert wird, dem Vorprodukt von Stahl. Bislang geschieht das mit Erdgas.

„Unser Projekt trägt zur Treibhausgasreduktion und einer kohlenstoffarmen Wirtschaft bei“, sagt Stahlwerkschef Uwe Braun. Allerdings wird zunächst noch kein grüner, sondern grauer Wasserstoff eingesetzt. Mit Strom aus erneuerbaren Quellen produzierter grüner Wasserstoff solle erst verwendet werden, „sobald er in ausreichenden Mengen und zu einem erschwinglichen Preis zur Verfügung steht“, so der Konzern.

Aurubis produziert schon mit Wasserstoff

Aurubis ist schon einen Schritt weiter. Im Hamburger Werk wurde am 27. Mai die erste Kupferanode hergestellt, bei deren Produktion statt Erdgas Wasserstoff eingesetzt wurde. Zum Start des Pilotversuchs stattete Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) dem Werk einen Besuch ab und betonte: „Wir haben das Ziel, der größte Wasserstoff-Standort im Norden zu werden: in der nachhaltigen Produktion, der Technologieentwicklung sowie beim Aufbau einer starken Wasserstoffwirtschaft.“

Bis zu 6200 Tonnen CO2 könnten im Hamburger Stammwerk bei diesem Arbeitsschritt eingespart werden, erhofft sich Aurubis. Mit dem erstmaligen Einsatz von Wasserstoff zeige man einen entscheidenden nächsten Schritt in Richtung klimaneutrale Produktion auf.

„Die Ergebnisse sind vielversprechend“

„Die Ergebnisse sind vielversprechend“, heißt es jetzt kurz vor Ende der Testphase. Doch Vorstandschef Roland Harings hatte schon zu Beginn des Pilotprojekts Erwartungen gedämpft, der neue Energieträger, bei dessen Einsatz lediglich Wasser als Nebenprodukt entsteht, sei schon in naher Zukunft die Standard­lösung. „Wasserstoff könnte mittelfristig fossile Energieträger im Produktionsprozess ersetzen“, sagte er. Größtes Hindernis: Grüner Wasserstoff ist derzeit noch bis zu sechsmal teurer als die entsprechende Menge Erdgas.

Die technologischen Herausforderungen sind offenbar beherrschbar, doch es gibt noch keine Antworten auf eine ganze Reihe von entscheidenden Fragen: Wo werden die Unmengen Wasserstoff, die in der Industrie – aber nicht nur von ihr – benötigt werden, hergestellt? Wann gibt es dafür ausreichend viel elektrischen Strom aus erneuerbaren, also grünen Quellen? In welchem Umfang finanziert der Staat die notwendige technische Umrüstung von Industrieanlagen mit? Wie viel teurer werden die Produkte? Und: Können die Hersteller noch gegen Konkurrenten aus anderen Staaten bestehen, die den Klimaschutz weniger stark vorantreiben?

2027 soll Zement ohne CO2-Ausstoß produziert werden

Ein anderes Hamburger Industrieunternehmen hat zumindest schon auf die ersten beiden Fragen Antworten gefunden. Der Baustoffhersteller Holcim will sein Zementwerk in Lägerdorf bei Itzehoe bereits im Jahr 2027 komplett klimaneutral betreiben – als erstes Zementwerk in Deutschland. Dabei gilt die Zement- neben der Stahlindustrie als größter Verursacher von CO2-Emissionen. Allein in Lägerdorf sind es eine Million Tonnen pro Jahr, also fast ein Viertel der Menge aus sämtlichen Hamburger Industriebetrieben.

Dass bei der Zementproduktion große Mengen Kohlendioxid entstehen, ist unvermeidlich. Um es zu entschärfen, arbeitet Holcim in einem Projekt namens Westküste 100 mit der Raffinerie Hemmingstedt bei Heide, dem Offshore-Windenergieunternehmen Örsted und dem Wasserstoffspezialisten Hynamics zusammen. Der Plan: Mit grünem Strom aus Meereswindparks wird Wasserstoff hergestellt.

Methanol statt Erdöl für die Kunststoffproduktion

Der Sauerstoff, der dabei auch entsteht, wird im Zementofen eingesetzt. Dadurch entsteht hochreines Kohlendioxid, das aufgefangen wird. Aus diesem CO2 und Wasserstoff wird Methanol hergestellt – das statt Erdöl in der Kunststoffproduktion oder für die Herstellung von grünem Flugzeugtreibstoff genutzt werden kann.

Technisch umsetzbar sei dieses sogenannte Qxyfuel-Verfahren bereits, heißt es. Als Bundeswirtschaftminister Peter Altmaier (CDU) das Zementwerk Ende August besuchte, ging es auch um die Finanzierung. Der Minister sagte weitere Förderung zu. Holcim-Deutschland-Chef Thorsten Hahn hatte ein weiteres Anliegen: „Wenn wir in klimafreundliche Lösungen investieren, brauchen wir die Sicherheit, dass unsere Produkte nicht durch klimaschädlichere mit niedrigeren Preisen ausgestochen werden“, sagte er.

Nachhaltigkeit: Dekarbonisierung schon in Sicht

Um zu beschreiben, wie weit das Projekt schon gediehen ist, nutzt der Zement-Manager gern den Vergleich mit einer Raumfahrtmission zum Mond: „Im All sind wir schon, vor der Landung sind aber noch ein paar Details zu klären.“ Das können nur wenige sagen. Große Teile der Industrie stehen bei der Dekarbonisierung noch auf der Startrampe.