Hamburg. Hamburg hat als erste deutsche Großstadt die “Gründachstrategie“ ins Leben gerufen - es geht um die Nutzung riesiger Flächen.

Wie in allen deutschen Großstädten werden auch in Hamburg ständig neue Flächen versiegelt – zum Beispiel im Zuge von Haus- und Straßenbau. Während dann unter anderem Parkplätze und Radweg im Alltag laufend in Benutzung sind, gibt es, von vielen kaum wahrgenommen, riesige Flächen, die immer weiterwachsen und weitgehend brachliegen: die Dächer.

Um sie sinnvoll nutzbar zu machen, hat Hamburg als erste deutsche Großstadt die sogenannte Gründachstrategie ins Leben gerufen. Deren ehrgeiziges Ziel ist es, langfristig mindestens 70 Prozent der Dachflächen zu begrünen. Das gilt für Neubauten, aber auch für geeignete flache oder nur wenig geneigte Dächer.

Hamburg plant 100 Hektar Gründächer

In Hamburg sollen, so jedenfalls der Plan der Behörde, in den kommenden Jahren Gründächer mit einer Gesamtfläche von etwa 100 Hektar entstehen, das entspricht rund der doppelten Fläche von Planten un Blomen. Alleine beim Neubau von Wohnungen ergibt sich laut Umweltbehörde ein Gründachpotenzial von 44 Hektar, beim Gewerbeneubau von 66 Hektar. Und: 20 Prozent der neu begrünten Flächen sollen Bewohner oder Beschäftigte danach als Freiflächen nutzen können. Vorerst bis 2024 unterstützt die Umweltbehörde das Projekt mit 3,5 Millionen Euro.

Wohnen in einer grünen Oase in Frankfurt am Main.
Wohnen in einer grünen Oase in Frankfurt am Main. © picture alliance / blickwinkel/McPHOTO/H.-R. Muelle | McPHOTO/H.-R. Mueller

Städte heizen sich weltweit immer stärker auf

Übergeordnetes Ziel ist auch bei diesem Projekt eine Verbesserung des Klimas. Denn durch Erderwärmung und die zunehmende Verdichtung heizen sich Städte weltweit immer stärker auf. Begrünte Dächer aber kühlen die Luft ab und feuchten sie an. Das schafft laut wissenschaftlichen Erkenntnissen ein angenehmeres Klima im Stadtgebiet – und sogar im darunterliegenden Gebäude selbst.

Für diejenigen, denen das zu ab­strakt ist, gibt es noch eine ganze Reihe weiterer Vorteile, zum Beispiel eine verbesserte Wohn- und Lebensqualität. „Alle baulichen Verdichtungen sollen mit einem grünen Mehrwert und einer Verbesserung der Freiräume in den Quartieren einhergehen“, kündigt Umweltsenator Jens Kerstan (Grüne) an. Im Klartext: Gründächer bieten Anwohnern und den Beschäftigten in Bürohäusern neue Erholungs- und Nutzflächen, sodass die durch Bebauung verloren gegangenen Flächen „oben“ quasi ersetzt werden.

Vision von neuen begehbaren und grünen Freiflächen für viele

Manches von alledem ist noch Zukunftsmusik, aber es gibt die Vision von neuen begehbaren und grünen Freiflächen für viele – buchstäblich abgehoben vom Lärm und Schmutz der Großstadt. Eindrucksvolle Vorbilder finden sich überall auf der Welt, unter anderem in London, Singapur und Delft. Die Umgestaltung der historischen Bahntrasse „High Line“ in New York zu einer grünen Parkanlage wurde ein spektakulärer Erfolg – und zum Touristenmagnet.

Mehr als nur eine Zukunftsvision: Der spektakuläre Gebäudekomplex „Bosco Verticale“ in Mailand bietet viel Grün.
Mehr als nur eine Zukunftsvision: Der spektakuläre Gebäudekomplex „Bosco Verticale“ in Mailand bietet viel Grün. © picture alliance/AP Images | Luca Bruno

In Hamburg gibt es bereits auf Wohnhäusern, zum Beispiel in der HafenCity, prachtvolle Dachgärten, weitere Beispiele sind das Verwaltungsgebäude "Wilde Weiden" im Höltigbaum, das Geschäftshaus Brahmsquartier und die noch nicht abgeschlossene Umgestaltung des Bunkers an der Feldstraße. „Auf dem Dach können sich die Menschen erholen, Sport treiben, gemeinsam oder allein die Natur genießen, Gemüse anbauen oder Blumen pflanzen“, heißt es in der Broschüre „Mehr Gründächer für Hamburg“ der Umweltbehörde. „Kinder können auf intensiv begrünten Dächern ungestört vom Straßenverkehr spielen (...). „ Und dabei können sie frische Luft atmen.“

Mittlerweile gibt es in diversen deutschen Städten begrünte Bürodächer, die wie mittelgroße Nutzgärten angelegt sind, und in denen Beschäftigte während der Mittagspause oder nach Feierabend zur Entspannung sogar Blumen und Gemüse ziehen können. Die Behörde hat in enger Zusammenarbeit mit Experten der HafenCity Universität ein Bündel weiterer Vorteile ermittelt und festgeschrieben. Einige Beispiele:

  1. Wasser-Regulierung: Mithilfe von Gründächern passt sich Hamburg den Folgen des Klimawandels an. Die Dächer halten Regenwasser zurück und lassen es verdunsten. Das ist wichtig, da in der laufend kompakter werdenden Stadt immer weniger Wasser versickern kann. Dadurch wird die Kanalisation überlastet und Gewässer steigen leichter über ihre Ufer. Ziel ist, dass Hamburger Gründächer durchschnittlich 60 Prozent des Regenwassers zurückhalten. Niederschläge gelangen dadurch erst verzögert und in geringeren Mengen in die Entwässerungssysteme und verhindern deren Überlastung.


Das Hundertwasserhaus in Magdeburg
Das Hundertwasserhaus in Magdeburg © picture alliance / Robert B. Fishman | Robert B. Fishman


  • Kostenersparnis: Für den Rückhalt des Regenwassers werde Eigentümern eines Gründachs laut Umweltbehörde 50 Prozent der Niederschlagswasser-Gebühr erlassen. Außerdem sparen sie Energiekosten, weil die Vegetation die Temperatur des Gebäudes reguliert. Im Winter gehen, so zeigen es Messungen, bis zu zehn Prozent weniger Energie über das Dach verloren, sodass die Heizkosten sinken. Im Sommer schirmt das begrünte Dach die Hitze ab. Ein Gründach senkt auch nachweislich die Umgebungstemperatur der Solarzellen einer Fotovoltaik-Anlage ab. Ergebnis: Der Wirkungsgrad wird erhöht.
  • Haltbarkeit: Laut Umweltbehörde halten Gründächer länger als konventionelle Flachdächer. Denn die Vegetationsschicht schützt die Dachabdichtung vor UV-Strahlung und dem direkten Einfluss der Witterung. Und sie verhindert schädliche Temperaturschwankungen der Dachhaut.
  • Artenvielfalt: Gründächer bieten Vögeln, Käfern oder Schmetterlingen neue Rückzugsorte – auch in der dicht bebauten inneren Stadt. Dort finden sie Nahrung und Schutz. Nach Darstellung der Umweltbehörde sind viele Dachpflanzen aufgrund des geringen Pflegeaufwands fast völlig auf sich allein gestellt. So bilden sie einen eigenen, weitgehend unberührten Lebensraum.

  • Umweltbehörde: Hamburger sollen ihre Dächer begrünen

    Die Umweltbehörde fordert alle Hamburgerinnen und Hamburger auf, Dächer zu begrünen. Bis zu 60 Prozent der Kosten pro Quadratmeter können Grund- und Gebäudeeigentümer als Zuschüsse erhalten, die sie nicht zurückzahlen müssen. Für sie reduziert sich auch die Niederschlagswasser-Gebühr um 50 Prozent. In besonderen Fällen kann diese Gebühr sogar ganz gestrichen werden. Wenn das Gebäude im Bereich der inneren Stadt liegt, sind zudem noch zusätzliche Förderzuschläge möglich.

    Die Fördermittel werden durch die Hamburgische Investitions- und Förderbank (IFB Hamburg) bewilligt und ausgezahlt. „Die Gründachförderung hat sich etabliert“, teilt eine Behördensprecherin auf Nachfrage mit. „Die bereitgestellten Mittel in Höhe von 3,5 Millionen Euro sind zu etwa Zweidritteln ausgeschöpft. Bisher wurden 285 Anträge gestellt, 234 Bewilligungen erteilt und 1200 Beratungsgespräche bei der Hamburgischen Investitions- und Förderbank geführt.“

    Jeder Schulneubau wird mit einem Gründach realisiert

    Doch was leistet die Stadt selbst in Sachen Gründächer – zum Beispiel bei ihren vielen Behördenbauten? Bei notwendigen Sanierungen von Bestandsbauten werde geprüft, ob die statischen und technischen Möglichkeiten bestehen, diese mit einem Gründach nachzurüsten, so die Sprecherin. „Bei den seit 2013 neu errichteten Behördenbauten, wie der Stadtentwicklungs- und Umweltbehörde, werden Dachbegrünungen realisiert, beziehungsweise befinden sich in Planung, wie bei dem neuen Verwaltungsbau in Wandsbek oder dem Betriebshof in Ohlsdorf.“

    Und: „Für den Schulbau wurden im Sommer 2018 7,5 Millionen Euro für Gebäudebegrünung bereitgestellt, da hier ein großes Bauvolumen liegt. Jeder Schulneubau wird mit einem Gründach realisiert, und bei Sanierung wird geprüft, ob eine Nachrüstung mit einem Gründach möglich ist.“