Hamburg. Preise für Wohnungen und Häuser in Hamburg steigen immer weiter. Sollte man trotzdem investieren? Experten nennen die Bedingungen.
Die Immobilienpreise in Hamburg klettern immer weiter. Viele Experten sind alarmiert, weil die Verschuldung der Kreditnehmer steigt, die sogenannten Kaufpreisfaktoren schwindelerregende Höhen erreicht haben und sich unter wirtschaftlichen Aspekten ein Immobilienerwerb kaum mehr lohnt. Denn die Mieten in der Hansestadt halten mit dieser Entwicklung nicht Schritt.
Doch wer in die eigenen vier Wände einziehen will, beschäftigt sich nicht mit Kaufpreisfaktoren, ihm geht es um Komfortverbesserung, Unabhängigkeit und auch etwas Gruppendruck von jenen, die sich schon Immobilienbesitzer nennen können.
Lohnt also noch der Kauf einer selbst genutzten Immobilie, obwohl die Preise schon so stark gestiegen sind? Wie ist das Verhältnis von Chancen und Risiken? Welche Immobilienpreise können sich Hamburger Durchschnittsverdiener noch leisten, wo werden sie fündig? Sind 100-Prozent-Finanzierungen möglich? Welche Kriterien sollten Immobilienkäufer erfüllen? Das Abendblatt sprach mit Experten und beantwortet die wichtigsten Fragen.
Immobilien: Lohnt sich Kauf zur Selbstnutzung noch?
Das hängt zunächst von den eigenen Ersparnissen, den beruflichen Perspektiven und privaten Plänen ab. „Man sollte sich schon sicher sein, dass die beruflichen Perspektiven klar sind und keinen Ortswechsel erfordern“, sagt Dirk Scobel, Baufinanzierungsexperte der Verbraucherzentrale Hamburg. Und ohne Eigenkapital braucht sich niemand mit dem Immobilienkauf zu beschäftigen. Mindestens die Erwerbsnebenkosten, die rund zehn Prozent des Kaufpreises ausmachen, müssen aus eigenen Ersparnissen aufgebracht werden.
Wer diese Voraussetzungen erfüllt, kann sich mit dem Immobilienerwerb beschäftigen, wenn das mit den privaten Vorstellungen übereinstimmt. „Bei mancher Beratung stellen wir fest, dass es doch so etwas wie einen Gruppendruck zu geben scheint, weil Freunde und Cousins schon eine Immobilie haben“, sagt Scobel. Die eigene Immobilie muss man aber schon selbst wollen, weil sie auch Konsumverzicht in anderen Bereichen bedeutet, wie zum Beispiel beim Urlaub. Anders lassen sich die hohen Kaufpreise kaum noch stemmen.
Lesen Sie auch:
- Experte erwartet extremen Preissturz in Hamburg
- Hamburg: Immobilienpreise steigen trotz Corona
- Wie Hamburg den Wohnungsbau revolutionieren will
- Wohnung mieten in Hamburg oder lieber Haus kaufen? Was ist günstiger?
„Passen Finanzhintergrund und die persönlichen Umstände insgesamt, würden wir nicht vom Kauf eines Eigenheims in Hamburg oder Umland abraten“, sagt Andreas Gnielka, Geschäftsleiter Wohnen Bestand von Grossmann & Berger. Hauptgrund für die Annahme einer Immobilienblase in Hamburg sei die Preisentwicklung. „Sie spiegelt jedoch den realen Bedarf an Wohnraum wider und nicht massenhafte Spekulationen und Kreditaufnahmen wie seinerzeit vor der Immobilien-Krise in den USA“, sagt Gnielka.
Aber sind Preise in Hamburg nicht schon zu stark gestiegen?
Reiner Braun, Vorstandsmitglied beim Forschungs- und Beratungsinstitut Empirica, registriert aufgrund der gestiegenen Preise in mehr als 80 Prozent der Landkreise eine Immobilienblasengefahr. Hamburg und die Umlandkreise gehören dazu. Eine ganz andere Rechnung macht Michael Voigtländer, Immobilienexperte des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW), auf.
Demnach sind nahezu in allen deutschen Landkreisen und kreisfreien Städten die Selbstnutzerkosten eines Eigentümers noch geringer als die Mieten für eine vergleichbare Wohnung. „Gemessen an den Wohnkosten pro Quadratmeter ist es in Hamburg rund 50 Prozent günstiger, Wohneigentum zu erwerben als langfristig zu mieten“, sagt Voigtländer. Viele Mieter könnten diese Chance nur nicht ergreifen, weil ihnen das Eigenkapital fehle.
Wie sind so unterschiedliche Einschätzungen möglich?
Beides sind ausgewiesene Experten, die unterschiedliche Einschätzung ist von den Faktoren abhängig, die betrachtet werden. Fest steht, die Immobilienpreise sind in den vergangenen fünf Jahren in der Hansestadt massiv gestiegen. Nach dem Immobilienmarktatlas der LBS Bausparkasse Schleswig-Holstein-Hamburg haben sich Eigentumswohnungen aus dem Bestand um 56,5 Prozent verteuert.
Die Preise von Einfamilienhäusern stiegen um 48,2 Prozent. Im Umland fiel der Preisanstieg noch etwas höher aus: Wohnungen + 61,3 Prozent, Häuser + 54,7 Prozent. Was Wohneigentum betrifft, so ist Hamburg nach Berlin im Bundesvergleich am schlechtesten aufgestellt: Nur 21 Prozent der Haushalte leben in den eigenen vier Wänden. Braun macht eine Bestandsaufnahme vom Status quo, der Preise, Einkommen und Neubaugeschehen betrachtet.
Formel erfasst auch wichtigste Aspekte der Finanzierung
Voigtländer erfasst in seiner Formel neben den Zinsen für die Immobilienfinanzierung auch die Nebenkosten des Erwerbs, die spätere Instandhaltung und auch eine erwartete Wertsteigerung von drei Prozent pro Jahr. Im Ergebnis liegen die Selbstnutzerkosten pro Quadratmeter Wohnfläche deutlich unter den Kosten eines Mieters. Das liegt aber auch an einem besonderen Umstand. Die Tilgung des Immobilienkredits, die heute meist zwischen zwei und drei Prozent liegt, fließt nicht mit in die Berechnung ein. Der Kreditnehmer muss sie aber dennoch leisten.
„Der Tilgungsanteil bleibt bei den Selbstnutzerkosten unberücksichtigt, weil dieser vermögensbildend ist“, sagt Voigtländer. Denn indem er die Darlehenssumme abzahlt, bildet der Immobilienkäufer ja zugleich ein Vermögen. Die monatlichen Aufwendungen eines Mieters für das Wohnen sind hingegen verlorene Kosten – ein weiteres Argument für den Immobilienerwerb.
Welche Vorteile haben Selbstnutzer in Hamburg?
Für den Selbstnutzer stehen langfristige Überlegungen stärker im Vordergrund als mögliche Preisrückgänge. Dazu gehören im Rentenalter mietfrei zu wohnen, Vermögensaufbau mit praktischem Nutzen und später eine deutlich wertvollere Immobilie zu verkaufen oder zu vererben. Ein möglicher Rückschlag bei den Immobilienpreisen ändert an einer soliden Finanzierung zunächst nichts. Solange der Immobilienbesitzer nicht verkaufen will oder muss, ist er von sinkenden Preisen nicht direkt betroffen.
Experte Voigtländer rechnet ohnehin damit, dass die Immobilienpreise und auch die Mieten gerade in Großstädten und Ballungsgebieten weiter steigen, weil Wohnungen ein knappes Gut sind. „Wenn auch nicht so stark wie im vergangenen Jahrzehnt“, wie er sagt. Bislang sind selbst diese Erwartungen aus Sicht der Immobilienbesitzer positiv übertrumpft wurden. Wohnimmobilien in Hamburg verteuerten sich nach Berechnungen des Verbandes deutscher Pfandbriefbanken im ersten Quartal um 9,1 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum.
„Das beschlossene Baulandmobilisierungsgesetz enthält auch ein Umwandlungsverbot von Miet- in Eigentumswohnungen, was dazu führen wird, dass das Angebot in diesem Segment noch weiter abnimmt und die Preise für Wohneigentum perspektivisch weiter zulegen“, sagt Gnielka von Grossmann & Berger.
Immobilien: Wie läuft das Geschäft der Banken bei der Finanzierung?
Die Kriterien bei der Kreditvergabe sind offenbar unterschiedlich streng. So berichtet die Hamburger Volksbank, dass im ersten Halbjahr 2021 rund 30 Prozent weniger Immobilienkredite vergeben wurden als im Vorjahreszeitraum. Es gab bei der Genossenschaftsbank für eine gewisse Zeit in der Corona-Pandemie verschärfte Richtlinien für die Kreditvergabe.
Danach durften Immobilien nur bis maximal 72 Prozent des Kaufpreises finanziert werden. Diese Regelung wurde inzwischen zurückgenommen. Die Hamburger Sparkasse (Haspa) berichtet dagegen, dass die Anzahl der Neufinanzierungen im Vergleich zum Vorjahr noch einmal leicht gestiegen ist. „Unsere Anforderungen und die gesetzlichen Vorgaben haben sich in den letzten Jahren kaum verändert“, sagt Haspa-Baufinanzierungsexpertin Ulrike Zobel.
Wann werden Finanzierungen von Immobilien abgelehnt?
Die Haspa macht dazu keine konkreten Angaben. „Wir achten darauf, dass die Finanzierung und das Objekt zum Kunden und seinen Möglichkeiten passt“, sagt Zobel. Wenn dies nicht der Fall sei, würden Alternativen aufgezeigt. „Denkbar sind längere Laufzeiten oder andere Finanzierungsstrukturen“, sagt Zobel. Wenn bei der Hamburger Volksbank Finanzierungen abgelehnt werden, dann liegt das daran, „dass der Objektwert und der Finanzierungsbedarf in einem Missverhältnis stehen“, sagt Tim Rosenberg, Baufinanzierungsleiter der Hamburger Volksbank.
Sind 100-Prozent-Finanzierungen noch möglich?
Nachdem die Kreditvergaberichtlinien wieder gelockert wurden, sind auch bei der Hamburger Volksbank 100-Prozent-Finanzierungen möglich. 100 Prozent bedeutet, dass 100 Prozent des Kaufpreises finanziert werden. Für die Nebenkosten benötigt der Käufer dennoch Eigenkapital. „100-Prozent-Finanzierungen sind möglich, und solche Anfragen nehmen auch leicht zu“, sagt Zobel. Voraussetzung sei eine gute Bonität.
Was müssen Käufer von Immobilien in Hamburg beachten?
Die Verbraucherschützer haben eine einfache Formel, die zeigt, ob man sich den Immobilienkauf leisten kann. „Die monatliche Belastung aus Zins und Tilgung, also der Kreditrate, und der Nebenkosten sollen 40 Prozent des verfügbaren Haushaltseinkommens nicht übersteigen“, sagt Verbraucherschützer Scobel. Zu den Nebenkosten gehören Müllabfuhr, Versicherungen, Heizung und Grundsteuer.
Es sind also Ausgaben, die der Mieter aus seiner Nebenkostenabrechnung kennt. „Außerdem sollte eine möglichst lange Zinsbindung von 15 bis 20 Jahren gewählt werden, um Überraschungen durch steigende Zinsen auszuschließen“, sagt Scobel und rechnet vor: „Bei einer Zinsbindung von 20 Jahren und einer Tilgung von zwei Prozent ist nach zwei Jahrzehnten rund die Hälfte der Schulden getilgt.“
Wie teuer wird eine so lange Zinsbindung?
Bei einem Kredit in Höhe von 400.000 Euro über 20 Jahre und einer anfänglichen Tilgung von zwei Prozent beträgt der Zinssatz bei der Haspa zum Beispiel 1,30 Prozent. Die monatliche Rate liegt bei 1100 Euro, und nach 20 Jahren beträgt die Restschuld 217.000 Euro. Die günstigsten Zinssätze von Baugeldvermittlern betragen 1,14 Prozent, was die monatliche Rate um rund 50 Euro günstiger macht. Unter Berücksichtigung von Nebenkosten (rund 2 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche) steigt die monatliche Belastung bei angenommenen 120 Quadratmetern auf 1340 Euro.
Gemessen an der 40-Prozent-Regel müsste die Familie also mindestens 3350 Euro netto monatlich zur Verfügung haben. Das Durchschnittshaushaltseinkommen lag 2020 in Hamburg bei 46.859 Euro (netto), also rund 3900 Euro im Monat. Im Umland liegen die Einkommen sogar bis zu 18 Prozent höher (Landkreis Harburg). Bezogen auf das Durchschnittseinkommen ist also durchaus Spielraum für den Immobilienerwerb vorhanden. Wer die Zinsen nur auf 15 Jahre festschreibt, drückt die monatliche Finanzierungsrate auf knapp unter 1000 Euro.
Wie viel Immobilie können sich Käufer dann leisten?
Mit dem Kredit über 400.000 Euro könnte eine Immobilie im Wert von 500.000 Euro erworben werden. Zusätzlich werden 150.000 Eigenkapital (inklusive Erwerbsnebenkosten) benötigt. Wenn das Eigenkapital nur für die Erwerbsnebenkosten reicht, dann steigt die monatliche Belastung wegen höherer Zinsen auf 1840 Euro. Die Familie müsste monatlich 4600 Euro zur Verfügung haben. Für ein Hamburger Durchschnittseinkommen geht die Rechnung dann allerdings nicht mehr auf.
Wo finde ich noch Immobilien in dieser Preislage?
In Hamburg wird es schwierig mit einem Budget von 500.000 Euro, zumindest wenn es ein Einfamilienhaus sein soll. Der Makler von Poll ermittelte einen Durchschnittspreis von knapp 600.000 Euro, aber viele Angebote liegen noch darüber. Wer das Wohnen auf der Etage bevorzugt, für den ist zumindest eine rund 100 Quadratmeter große Eigentumswohnung möglich. Grossmann & Berger beziffert den durchschnittlichen Quadratmeterpreis auf 4900 Euro.
Die hohen Preise in Hamburg führen zu einer immer größeren Nachfrage im Umland. „Die Pandemie hat diese Entwicklung weiter verstärkt, wodurch die Immobilienpreise unmittelbar um Hamburg stark gestiegen sind“, sagt Daniel Ritter, geschäftsführender Gesellschafter bei von Poll Immobilien. Aber dort können nach seinen Angaben Einfamilienhäuser noch unter 500.000 Euro erworben werden. An Hamburg schließen sich drei Landkreise aus dem ersten Ring um Hamburg an: Gleich 20 Prozent günstiger ist es im Landkreis Stormarn.
Was Immobilien im Umland von Hamburg kosten
Hier müssen Kaufinteressenten im Schnitt mit 475.000 Euro für ein Objekt rechnen. Noch etwas preiswerter ist es in Pinneberg mit 429.000 Euro sowie in der Region Harburg mit 420.000 Euro. „Durch den sogenannten Homeoffice-Effekt sind viele Kaufinteressenten kompromissbereiter, längere Arbeitswege in die Stadt auf sich zu nehmen“, sagt Ritter.
Das preisliche Mittelfeld im Kaufpreisranking bei den Einfamilienhäusern bilden die Landkreise Lüneburg mit circa 389.000 Euro, Segeberg mit 380.000 Euro, Herzogtum Lauenburg mit 362.500 Euro und Ostholstein mit durchschnittlich 360.000 Euro an. Also zumindest außerhalb Hamburgs gibt es noch Spielraum für den Immobilienerwerb.