Berlin. Der GDL-Chef Claus Weselsky kämpft bei den Bahn-Streiks mit harten Bandagen. Aber nicht nur mit dem Unternehmen liegt er im Clinch.
Ein paar Dutzend Mitglieder der Lokführergewerkschaft GDL demonstrieren vor dem Bahntower in Berlin, als Claus Weselsky der Deutschen Bahn und ihren Kunden am Dienstagmittag mit einer zweiten Streikwelle droht – vielleicht schon am Wochenende. „Ihr wisst, dass wir dieses letzte Mittel wieder zum Einsatz bringen müssen, wenn das Management, unterstützt vom Eigentümer, sich weiter so verhält“, ruft der Gewerkschaftsboss. Die Szene steht symbolisch für den Tarifstreit: Weselsky braucht nicht viele Leute, um mit der kleinen Spartengewerkschaft maximale Wirkung zu entfalten.
Wer ist der Mann, der Deutschlands Bahnkunden mitten in der Urlaubszeit einmal mehr das Fürchten lehrt? Und wer sind seine Gegenspieler?
Claus Weselsky (62), Chef der Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL), kommt aus Dresden. Klaus-Dieter Hommel (64), Vorsitzender der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), ist im Ruhrgebiet geboren, in Sachsen aufgewachsen und lebt jetzt in Ostfriesland. Martin Seiler, 57, Personalvorstand der Deutschen Bahn, wuchs in Baden-Baden auf und steht zwischen den beiden anderen. Aktuell hätten sie viel zu besprechen. Doch es herrscht Funkstille.
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Wesselsky: Poltergeist und geschätzter Verhandlungsführer
Weselsky und Seiler konnten sich nicht auf eine Lohnerhöhung einigen. Wie viele Streikwellen es gibt, ist offen. Denn es geht auch um andere Konflikte. Der GDL-Chef schlägt dabei harsche Töne an. Die EVG nennt er „Einkommens-Verhinderungs-Gewerkschaft“, Seiler einen „Lügenbaron“. So wird er als Poltergeist wahrgenommen, der gerne mal die Republik lahmlegt.
Tatsächlich ist der Sachse ein angenehm ruhiger Gesprächspartner. Deshalb nehmen seine Gegenspieler die wüsten Beschimpfungen auch nicht sonderlich persönlich. Am Verhandlungstisch sitze stets ein sachlich orientierter Verhandlungsführer der Lokführer, heißt es übereinstimmend. Das bedeutet nicht, dass der gelernte Schlosser, der die GDL seit 2008 führt, auch nur einen Millimeter seiner Position freiwillig preisgibt.
Kampferprobt ist Weselsky auch. Der große Arbeitskampf der Lokführer 2014 ist vielen Bahnkunden noch übel in Erinnerung. Auch damals ging es nur am Rande ums Geld. Im Zentrum stand die Machtfrage. Die GDL wollte nicht mehr nur Lokführer, sondern das gesamte Zugpersonal vertreten. Das hat sie geschafft. Heute geht es um alle Eisenbahn-Beschäftigten. Dieses Ziel verfolgt er mit der gleichen Hartnäckigkeit.
Bahn-Streik: Wesselsky trifft die wichtigsten Entscheidungen
Weselsky gilt als uneingeschränkter Herrscher der GDL. Auch in diesem Arbeitskampf trifft der Hauptvorstand der Gewerkschaft alle wesentlichen Entscheidungen, also vor allem Weselsky.
Unbeugsam war er auch schon zu DDR-Zeiten, als er noch selbst im Cockpit einer Lok stand, nicht jedoch auf der Mitgliederliste der SED. Die Wiedergründung der GDL nach der Wende war ein voller Erfolg. 95 Prozent der ostdeutschen Lokführer traten der Gewerkschaft bei. Das erklärt auch heute noch die hohe Streikbeteiligung in den neuen Ländern. Wenn es um die Macht geht, versteht Weselsky keinen Spaß und teilt mächtig aus, gerade gegen die EVG.
Klaus-Dieter Hommel hat dazu lange geschwiegen, obwohl die GDL massiv versucht, seiner Gewerkschaft Mitglieder abzuwerben. Grund für seine Gelassenheit: Mit über 190.000 Mitgliedern ist die EVG ungleich größer als die GDL mit rund 36.000. Beide Zahlen täuschen, jeweils die Hälfte ist im Ruhestand. Doch sichert die Größe der EVG die Mehrheit in fast allen der 300 Bahnbetrieben. Laut Tarifeinheitsgesetz gilt immer nur der Abschluss der größten Gewerkschaft. Von gut 70 Betrieben, in denen beide Gewerkschaften aktiv sind, schreibt die Bahn nur 16 der GDL zu. „Die GDL kämpft um ihre Existenz“, sagt Hommel.
Bahn sieht in Streik um Lohnerhöhungen nur einen Vorwand
Daher ist der Streit um die Lohnerhöhung für viele Beobachter nur ein Vorwand: Forderungen und Angebot liegen gar nicht so weit auseinander. Hier kommt Seiler ins Spiel. „Darüber verhandelt man normalerweise und sucht nach Lösungen“, sagt der Bahn-Manager. Stattdessen steht er mitten in einem Konflikt zwischen den Gewerkschaften. Bis Ende 2020 gab es ein Abkommen, dass die Koexistenz von EVG und GDL regelte. Das ist ausgelaufen. Gerne würde Seiler eine neue Regelung treffen. Da spielt die GDL nicht mit. Seiler ist derzeit ziemlich machtlos.
Dabei kommt er fast aus der gleichen Ecke wie seine Tarifpartner. Bei der Deutschen Post war er einst Betriebsrat und rückte später in den Vorstand auf. 2018 wechselte er von seinem letzten Posten als Personalvorstand der Telekom zur Bahn. Die Auswahl bei den Spitzenposten der Bahn ist fein austariert. Das Bundeskanzleramt bestimmt den Bahnchef, die Gewerkschaften den Personalvorstand. Von gleicher Wellenlänge ist derzeit wenig zu spüren. Seiler will trotzdem eine einvernehmliche Lösung erreichen. „Es gibt noch eine Zusammenarbeit nach dem Konflikt“, sagt er.
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